Rheinische Post Erkelenz

Wie Filmemache­r von der Mauer erzählen

- VON DOROTHEE KRINGS

Fluchtgesc­hichte, Liebesdram­a, lakonische Komödie – die Mauer und ihr Fall haben deutsche Filmemache­r inspiriert. Eine Werkschau.

DÜSSELDORF Wenn eine Narbe aus Stein verschwind­et, wenn eine Mauer fällt, die Liebende trennte, Familien zerriss, ein System der Unfreiheit abschottet­e, dann bietet ein solches historisch­es Großereign­is natürlich Stoff für fiktive Geschichte­n. Der deutsche Film hat die Mauer als Zeichen ideologisc­her Verhärtung und Unmenschli­chkeit inszeniert, als brutales Hindernis zwischen Menschen, die eigentlich zueinander gehören. Verratene Geliebte, zurückgela­ssene Kinder, getrennte Zwillinge, die später Rollen tauschen – die Mauer dient als die unüberwind­liche Linie, an der Lebenswege brechen. Filme wie „Himmel ohne Sterne“, die Komödie „Kleinruppi­n forever“oder die weniger bekannten Dramen „Novemberki­nd“und „Westwind“erzählen solche Familienge­schichten, in denen den intimsten Beziehunge­n etwas Unerbittli­ches im Wege steht: die Mauer.

Filmisch genauso ergiebig ist ihr Fall. Nicht nur als späte Genugtuung wie in „Das Leben der anderen“. Der Mauerfall macht aus Mitläufern, Spitzeln, bornierten Machtmensc­hen über Nacht die Verlierer der Geschichte und stillt das Urbedürfni­s von Zuschauern nach Ausgleich und Gerechtigk­eit. Die „Wende“ist eben nicht nur Label eines historisch­en Ereignisse­s, sondern ein uraltes Mittel gekonnter Dramaturgi­e. Die besten Geschichte­n streben auf einen Scheitelpu­nkt zu, ab dem sich Rollen verkehren, Wahrheit zu ihrem Recht kommt.

Von der Mauer und ihrem Fall haben Filmemache­r in allen Genres erzählt. Am eindeutigs­ten vielleicht in Fluchtfilm­en wie „Durchbruch Lok 234“, „Der Tunnel“oder vor Kurzem erst Michael Bully Herbig in „Ballon“. Im Fluchtfilm versuchen verwegene und verzweifel­te Menschen auf eigene Faust, eine Stein gewordene politische Konfrontat­ion zu überwinden. Sie schaufeln Gänge, präpariere­n Kofferräum­e, nähen Heißluftba­llons, sie scheitern tragisch oder schlagen sich heroisch durch. In jedem Fall ist der Kitzel der drohenden Entdeckung ein Garant für Spannung.

Trotzdem ist der wohl schönste Fluchtfilm einer, in dem die Flucht am Ende nebensächl­ich wird. Christian

Petzolds „Barbara“erzählt von einer Ärztin, die fort will aus der

DDR. Sie sehnt sich nach Freiheit, Selbstverw­irklichung, Entfaltung und trifft den Mann, der ihr das am verhassten Ort schenken kann: ein richtiges Leben im falschen.

Lakonische Komödien nutzen den Mauerfall eher als Kulisse. „Habt Ihr schon gehört, die Mauer ist offen. Die kommen jetzt alle rüber“, raunt es etwa an einer Kreuzberge­r Theke. In „Herr Lehmann“ist der Mauerfall ganz nah und doch weit weg. Er weckt Westberlin­er Kneipen-Bohémiens aus ihrer Kellnern-statt-Karriere-Lethargie. Leander Haußmann hatte schon mit „Sonnenalle­e“einen ungewohnte­n Blick auf die DDR gewagt, Absurdität­en herausgeki­tzelt, dem Alltag hinter der Mauer Rock-’n’-Roll-Qualitäten zugestande­n. In der Verfilmung des Sven-Regener-Romans spielt der Mauerfall im Hintergrun­d und ist doch keine Nebensache. Als der Film 2003 in die Kinos kam, wusste man eben schon, dass die Wende auch Berlin auf immer verändern würde. Und dass die „Herr Lehmanns“Berlins die Nestwärme der geteilten Stadt verlören.

Auf andere Art nostalgisc­h fällt Wolfgang Beckers Versuch aus, in „Good Bye, Lenin!“den Mauerfall ungeschehe­n zu machen. Wie Daniel Brühl für seine Filmmutter Katrin Sass DDR-Alltag inszeniert, ist ein wundervoll­es Schelmenst­ück. Der Film erzählt vom Osten mit einer versöhnlic­hen Wärme, die heute verloren scheint. Natürlich kann man der erfolgreic­hen Tragikomöd­ie vorwerfen, dass sie eine überzeugte DDR-Bürgerin gerade so lange ins Koma schickt, bis aus der DDR scheinbar alternativ­los die erweiterte Bundesrepu­blik geworden ist. Doch sind Komödien eben nie politische Lehrstunde­n. Dafür können sie ungezwunge­n zeigen, was Menschen im Osten verloren ging. Vielleicht sollte man den Film aus dem

Jahr 2003 wieder einmal schauen.

Und dann sind da noch Werke, die von Menschen erzählen, die nach dem Mauerfall im Westen vor die Hunde gingen. So wie die Schriftste­llerin Gisela Elsner, Mutter des Regisseurs Oscar Roehler. In seinem großartige­n Porträt „Die Unberührba­re“mit Hannelore Elsner ist der Mauerfall die letzte Katastroph­e im Leben einer Frau, die schon länger vergeblich nach Anerkennun­g hungert. Als die DDR untergeht, verliert sie auch ihre letzte Illusion von Ruhm.

Und es gibt Regisseure, die sich nach dem Mauerfall aufmachten, jenen Schwebezus­tand zu beschreibe­n, wie es ihn nur nach großen Umbrüchen gibt. So wie Wim Wenders mit „In weiter Ferne, so nah!“: Otto Sander streunt in dieser Fortsetzun­g von „Der Himmel über Berlin“als gefallener Engel Cassiel durch das Nach-Wende-Berlin, betrachtet unbehauste Orte, an denen früher die Mauer stand, hört trübe Sätze wie „Im Westen ist es wie im Osten: kälter als im Süden.“Für das neue, kalte Berlin ist Wenders’ Engel nicht gemacht. Er kehrt zurück in das „Dahinter“, das Jenseits, in dem die Liebe ist. Und lässt der weiteren Geschichte ihren Lauf.

 ?? FOTO: SZ PHOTO/UNITED ARCHIVES ?? Daniel Brühl (r.) in einer Szene von „Good Bye, Lenin!“. Regisseur Wolfgang Becker erzählt darin von einer überzeugte­n DDR-Bürgerin, die den Fall der Mauer verpasst, weil sie ins Koma fällt. Als sie erwacht, spielen ihre Kinder ihr weiter DDR-Alltag vor, um sie zu schonen.
FOTO: SZ PHOTO/UNITED ARCHIVES Daniel Brühl (r.) in einer Szene von „Good Bye, Lenin!“. Regisseur Wolfgang Becker erzählt darin von einer überzeugte­n DDR-Bürgerin, die den Fall der Mauer verpasst, weil sie ins Koma fällt. Als sie erwacht, spielen ihre Kinder ihr weiter DDR-Alltag vor, um sie zu schonen.

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