Wie Filmemacher von der Mauer erzählen
Fluchtgeschichte, Liebesdrama, lakonische Komödie – die Mauer und ihr Fall haben deutsche Filmemacher inspiriert. Eine Werkschau.
DÜSSELDORF Wenn eine Narbe aus Stein verschwindet, wenn eine Mauer fällt, die Liebende trennte, Familien zerriss, ein System der Unfreiheit abschottete, dann bietet ein solches historisches Großereignis natürlich Stoff für fiktive Geschichten. Der deutsche Film hat die Mauer als Zeichen ideologischer Verhärtung und Unmenschlichkeit inszeniert, als brutales Hindernis zwischen Menschen, die eigentlich zueinander gehören. Verratene Geliebte, zurückgelassene Kinder, getrennte Zwillinge, die später Rollen tauschen – die Mauer dient als die unüberwindliche Linie, an der Lebenswege brechen. Filme wie „Himmel ohne Sterne“, die Komödie „Kleinruppin forever“oder die weniger bekannten Dramen „Novemberkind“und „Westwind“erzählen solche Familiengeschichten, in denen den intimsten Beziehungen etwas Unerbittliches im Wege steht: die Mauer.
Filmisch genauso ergiebig ist ihr Fall. Nicht nur als späte Genugtuung wie in „Das Leben der anderen“. Der Mauerfall macht aus Mitläufern, Spitzeln, bornierten Machtmenschen über Nacht die Verlierer der Geschichte und stillt das Urbedürfnis von Zuschauern nach Ausgleich und Gerechtigkeit. Die „Wende“ist eben nicht nur Label eines historischen Ereignisses, sondern ein uraltes Mittel gekonnter Dramaturgie. Die besten Geschichten streben auf einen Scheitelpunkt zu, ab dem sich Rollen verkehren, Wahrheit zu ihrem Recht kommt.
Von der Mauer und ihrem Fall haben Filmemacher in allen Genres erzählt. Am eindeutigsten vielleicht in Fluchtfilmen wie „Durchbruch Lok 234“, „Der Tunnel“oder vor Kurzem erst Michael Bully Herbig in „Ballon“. Im Fluchtfilm versuchen verwegene und verzweifelte Menschen auf eigene Faust, eine Stein gewordene politische Konfrontation zu überwinden. Sie schaufeln Gänge, präparieren Kofferräume, nähen Heißluftballons, sie scheitern tragisch oder schlagen sich heroisch durch. In jedem Fall ist der Kitzel der drohenden Entdeckung ein Garant für Spannung.
Trotzdem ist der wohl schönste Fluchtfilm einer, in dem die Flucht am Ende nebensächlich wird. Christian
Petzolds „Barbara“erzählt von einer Ärztin, die fort will aus der
DDR. Sie sehnt sich nach Freiheit, Selbstverwirklichung, Entfaltung und trifft den Mann, der ihr das am verhassten Ort schenken kann: ein richtiges Leben im falschen.
Lakonische Komödien nutzen den Mauerfall eher als Kulisse. „Habt Ihr schon gehört, die Mauer ist offen. Die kommen jetzt alle rüber“, raunt es etwa an einer Kreuzberger Theke. In „Herr Lehmann“ist der Mauerfall ganz nah und doch weit weg. Er weckt Westberliner Kneipen-Bohémiens aus ihrer Kellnern-statt-Karriere-Lethargie. Leander Haußmann hatte schon mit „Sonnenallee“einen ungewohnten Blick auf die DDR gewagt, Absurditäten herausgekitzelt, dem Alltag hinter der Mauer Rock-’n’-Roll-Qualitäten zugestanden. In der Verfilmung des Sven-Regener-Romans spielt der Mauerfall im Hintergrund und ist doch keine Nebensache. Als der Film 2003 in die Kinos kam, wusste man eben schon, dass die Wende auch Berlin auf immer verändern würde. Und dass die „Herr Lehmanns“Berlins die Nestwärme der geteilten Stadt verlören.
Auf andere Art nostalgisch fällt Wolfgang Beckers Versuch aus, in „Good Bye, Lenin!“den Mauerfall ungeschehen zu machen. Wie Daniel Brühl für seine Filmmutter Katrin Sass DDR-Alltag inszeniert, ist ein wundervolles Schelmenstück. Der Film erzählt vom Osten mit einer versöhnlichen Wärme, die heute verloren scheint. Natürlich kann man der erfolgreichen Tragikomödie vorwerfen, dass sie eine überzeugte DDR-Bürgerin gerade so lange ins Koma schickt, bis aus der DDR scheinbar alternativlos die erweiterte Bundesrepublik geworden ist. Doch sind Komödien eben nie politische Lehrstunden. Dafür können sie ungezwungen zeigen, was Menschen im Osten verloren ging. Vielleicht sollte man den Film aus dem
Jahr 2003 wieder einmal schauen.
Und dann sind da noch Werke, die von Menschen erzählen, die nach dem Mauerfall im Westen vor die Hunde gingen. So wie die Schriftstellerin Gisela Elsner, Mutter des Regisseurs Oscar Roehler. In seinem großartigen Porträt „Die Unberührbare“mit Hannelore Elsner ist der Mauerfall die letzte Katastrophe im Leben einer Frau, die schon länger vergeblich nach Anerkennung hungert. Als die DDR untergeht, verliert sie auch ihre letzte Illusion von Ruhm.
Und es gibt Regisseure, die sich nach dem Mauerfall aufmachten, jenen Schwebezustand zu beschreiben, wie es ihn nur nach großen Umbrüchen gibt. So wie Wim Wenders mit „In weiter Ferne, so nah!“: Otto Sander streunt in dieser Fortsetzung von „Der Himmel über Berlin“als gefallener Engel Cassiel durch das Nach-Wende-Berlin, betrachtet unbehauste Orte, an denen früher die Mauer stand, hört trübe Sätze wie „Im Westen ist es wie im Osten: kälter als im Süden.“Für das neue, kalte Berlin ist Wenders’ Engel nicht gemacht. Er kehrt zurück in das „Dahinter“, das Jenseits, in dem die Liebe ist. Und lässt der weiteren Geschichte ihren Lauf.