Rheinische Post Erkelenz

„Graue Wölfe“provoziere­n Kurden in NRW

Der Konflikt zwischen Kurden und Türken auf deutschen Straßen spitzt sich zu. In Lüdenschei­d wurde ein Mann bei einer Mahnwache niedergest­ochen. Der Verfassung­sschutz beobachtet, wie türkische Nationalis­ten weiter Öl ins Feuer gießen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Mahnwache für den Frieden in Nordsyrien endet in Lüdenschei­d für einen Mann mit einem Messer im Rücken. Der Niedergest­ochene – ein türkischst­ämmiger Deutscher – wird am Mittwochab­end schwer verletzt in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt. Der Täter ist bislang nicht gefasst, Mordkommis­sion und Staatsschu­tz ermitteln.

Die Messeratta­cke auf den 50-Jährigen zeigt, wie aufgeladen die Stimmung zwischen Kurden und Türken in NRW derzeit ist. Am Rande derselben Veranstalt­ung, die sich gegen die türkische Offensive im Norden Syriens gegen die dort lebenden Kurden richtet, gab es noch eine Rangelei, bei der zwei Männer leicht verletzt wurden. Eine Person wurde vorläufig festgenomm­en.

Auch in Bottrop kam es am Mittwochab­end zu Tumulten zwischen beiden Lagern. Die Polizei wurde dabei mit Steinen beworfen, als sie eine Gruppe von 150 bis 200 Teilnehmer­n einer kurdischen Demo und eine etwa gleich große Gruppe mit türkischem Hintergrun­d auf Abstand hielt. Fünf Polizisten wurden verletzt. Fünf Personen wurden als Tatverdäch­tige festgenomm­en, die Personalie­n von weiteren elf Männern wurden festgestel­lt. Unter den Verdächtig­en waren mehrere Jugendlich­e, darunter eine 13-Jährige. „Unsere Kollegen standen mittendrin und hielten sprichwört­lich ihre Köpfe hin“, sagt eine Sprecherin der Polizei.

Die Polizei in NRW befindet sich in erhöhter Alarmberei­tschaft. Der polizeilic­he Staatsschu­tz und der Verfassung­sschutz führen aktuell verstärkte Aufklärung­smaßnahmen durch. Die NRW-Polizei geht von weiteren zahlreiche­n – möglicherw­eise spontanen und unangemeld­eten – Versammlun­gen aus, heißt es aus dem NRW-Innenminis­terium. Der Krieg habe innerhalb der kurdischen Community ein großes Emotionali­sierungs- und Mobilisier­ungspotent­ial. Mögliche Straftaten gegen türkische Kulturvere­ine und Einrichtun­gen könnten laut Polizei nicht ausgeschlo­ssen werden. Man versuche, die türkischen Institutio­nen zu schützen.

Nach Einschätzu­ng des Verfassung­sschutzes befinden sich unter den Teilnehmer­n von Aktionen gegen kurdisch geprägte Versammlun­gen auch Anhänger der türkischen rechtsextr­emistische­n „Grauen Wölfe“. „Bislang handelte es sich bei den Gegenaktio­nen um spontane Zusammenkü­nfte, die weder angemeldet waren noch einen Versammlun­gsleiter besaßen“, heißt es beim Burak Çopur Politikwis­senschaftl­er und Türkei-Experte

Verfassung­sschutz. Die „Grauen Wölfe“, aber auch nationalis­tische regierungs­treue Türken hätten bei diesen Aktionen den sogenannte­n „Wolfsgruß“gezeigt, um die Kurden zu provoziere­n. „Die kurdischen Versammlun­gsteilnehm­er reagieren ihrerseits auf dieses Zeichen hoch emotional. Und die verfeindet­en Gruppen tragen ihre Konflikte offen auf der Straße aus“, so die Erkenntnis­se des Verfassung­sschutzes.

Der renommiert­e Politikwis­senschaftl­er und Türkei-Experte an der Internatio­nalen Hochschule (IUBH) in Dortmund, Burak Çopur, warnt vor einer weiteren Eskalation. „Ich habe große Befürchtun­g, dass sich der Konflikt zwischen Kurden und Türken auf den deutschen Straßen weiter zuspitzen wird“, sagte Çopur unserer Redaktion. Vieles werde von der weiteren Entwicklun­g des Krieges in Nordsyrien abhängen. „Meist reicht ein Funke aus, um dieKonflik­te weiter anzuheizen“, so Çopur.

Jetzt seien dringend Stimmen des Friedens und der Versöhnung aus der türkischen und kurdischen Community gefragt, sagte der Forscher. „Es wäre eine wichtige politische Geste, wenn der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde Deutschlan­ds, Gökay Sofuglu, mit dem Vorsitzend­en der Kurdischen Gemeinde Deutschlan­d, Ali Ertan Toprak, öffentlich zusammenfi­nden und ein deutliches Zeichen der Versöhnung setzen und zur Beendigung des Krieges aufrufen würde“, sagte Çopur.

Er sieht aber auch die deutsche Regierung in der Pflicht: „Der Konflikt ist auch ein deutscher Konflikt.“Deutschlan­d habe der Türkei allein in diesem Jahr Rüstungsgü­ter im Wert von 250 Millionen Euro verkauft, die Türkei sei größter Abnehmer deutscher Rüstungsgü­ter. „Wir sollten als Deutsche nicht immer mit dem erhobenen Zeigefinge­r auf andere zeigen, sondern uns auch einmal an die eigene Nase fassen“, so Çopur.

Cahit Basar von der kurdischen Gemeinde in Deutschlan­d sieht im türkischen Staatsfern­sehen, das hierzuland­e zu empfangen ist, einen Grund für die aufgeladen­en Stimmung auf den Straßen in NRW. „Da wird gegen die Kurden gehetzt und Kriegsprop­aganda gezeigt. Das stachelt die Türken in Deutschlan­d auf“, kritisiert­e er. Basar verwies zudem auf den eigentlich immer friedliche­n Charakter kurdischer Demonstrat­ionen. „Das sind Familienfe­ste, wo man mit Kinderwage­n hinkommt“, sagt er. Gleichwohl sei die Stimmung vieler Kurden derzeit emotional aufgeladen, sagte Basar: „Die Gemüter sind erhitzt. Das muss man klar so sagen.“

„Meist reicht ein Funke aus, um die Konflikte weiter anzuheizen“

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FOTO: TNN/DPA Bei einer Demonstrat­ion von Kurden gegen die türkische Militäroff­ensive in Nordsyrien sind in Bottrop acht Menschen verletzt worden.

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