Vorsicht, Kind am Steuer!
Immer wieder kapern Kinder das Auto der Eltern. Ein Verkehrspsychologe erklärt, was dahinter steckt.
HAGEN Das Anlassen des Chryslers klappte, das Losfahren und Lenken auch – doch nach einigen Metern war Schluss und das Auto krachte in einen Anhänger am Straßenrand, der auf ein geparktes Auto geschoben wurde. Zeugen informierten die Polizei, dass zwei kleine Jungs im Auto gesessen hätten – und sonst niemand. Bei der Unfallaufnahme am späten Montagabend in Hagen stellte sich heraus, dass ein Achtjähriger den Chrysler gefahren hatte, sein kleiner Bruder (5) saß auf dem Beifahrersitz. Die Eltern hatten nicht bemerkt, dass die Jungs sich den Autoschlüssel geschnappt und die Wohnung nach 23 Uhr verlassen hatten. Sie dachten, ihre Kinder schliefen. Der Chrysler musste abgeschleppt werden, die Brüder blieben unverletzt.
Es kommt immer wieder vor, dass Kinder – es sind fast immer Jungen – eine Spritztour mit dem Wagen der Eltern unternehmen. Im Mai fuhr ein Neunjähriger aus Recklinghausen allein mit dem Auto nach Oer-Erkenschwick und besuchte dort die Kirmes. Ein Achtjähriger aus Soest nahm das Auto seiner Eltern im August sogar gleich zweimal innerhalb weniger Tage und wurde beide Male von der Polizei gestoppt. Die Eltern müssen in solchen Fällen mit Anzeigen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht rechnen.
Sebastian Rabe, Verkehrspsychologe aus Essen, sieht mehrere Gründe, warum das Auto der Eltern auf Kinder anziehend wirkt. „Schlüssellose Zugangssysteme sind weit verbreitet, das Öffnen der Autos und das Anlassen des Motors funktionieren einfacher als früher“, sagt er. Wie Vater oder Mutter das Auto nutzen, erlebten Kinder täglich. „Sie haben oft gesehen, wie die Eltern das Auto mit dem Keyless-Go-Schlüssel öffnen und den Startknopf drücken, oder die Automatik-Schaltung bedienen – sie können dadurch schnell das Gefühl kriegen: Das ist leicht, das kann ich auch.“Kinder hätten mit acht oder neun Jahren zudem eine relativ gute Motorik.
„Betrachtet man es von der klassisch biologischen Seite, kann man sagen, dass kleine Jungs neugieriger sind als Mädchen. Sie gehen höhere Risiken ein – das zeigt sich später bei jungen Erwachsenen auch in den Unfallstatistiken: Männer bauen häufiger Unfälle als Frauen“, sagt Rabe. Manche Eltern würden ihre Kinder auch mal heimlich fahren lassen, mutmaßt er.
Zwar machen immer weniger Jugendliche – wohl auch angesichts der Klimadebatte – den Führerschein, aber: „Bei kleinen Kindern hat das Auto und das Beherrschen von Technik noch nicht an Strahlkraft verloren“, sagt Rabe. Vor allem Jungs fühlten sich von allem angezogen, was einen Motor habe. „Die Gefahren können sie in dem Alter aber noch nicht einschätzen. Sie verfolgen ein Ziel, etwa den Kirmes-Besuch, und verdrängen alles andere aus ihrem Blickfeld.“
Die Polizei rät, Autoschlüssel außer Reichweite von Kindern aufzubewahren, und auch den Ersatzschlüssel nicht am oder im Fahrzeug zu deponieren.