„Der Rechtsstaat muss auch onlin verteidigt werde
Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und
Katja Kipping (Linke) kämpfen für einen Machtwechsel. Aber nur Kipping setzt auf Rot-Rot-Grün, die Grüne auf Mehrheiten.
Rheinische Post tief im Westen sitzt und Ihre Leser nicht dauernd in den Osten fahren: Drei Viertel der Wähler im Osten stimmen nicht für die AfD. Wir sind an einem Punkt, an dem man das erklären kann, wie Katja Kipping es gemacht hat. Es muss jedoch klar sein: Es gibt keine Entschuldigung, heute AfD zu wählen – auch nicht, wenn man sich abgehängt fühlt. Die AfD besteht heute, in ihrer dritten Phase nach Lucke und Petry, in weiten Teilen aus Nazis und Faschisten, die das demokratische System abschaffen und Zwietracht säen wollen. Sie sind eine echte Gefahr für unsere Demokratie, und das muss jedem Wähler klar sein.
Die Linke war fast überall in der Regierung, die Grünen sitzen in Thüringen am Kabinettstisch. Was tun Ihre Parteien, um den Menschen das Gefühl zurückzugeben, dass der Staat noch funktioniert? GÖRING-ECKARDT Er funktioniert, aber eben nicht überall und nicht in ganz Deutschland gleich gut. Das muss sofort angeschoben werden, und innerhalb von drei, vier Jahren muss eine klare Verbesserung da sein. Allein die Wahrnehmung, dass sich etwas zum Positiven entwickelt, wird auch das Gefühl der ungerechten Ungleichbehandlung verändern. Für gleiche Lebensverhältnisse wie für Klimaschutz gilt: Was wir jetzt nicht durch Investitionen voranbringen, kostet Lebensqualität und wird später viel teurer, weil immer mehr Reparaturarbeiten hinzukommen. Wir brauchen zusätzlich öffentliche Investitionen in Klimaschutz von 30 Milliarden Euro pro Jahr.
KIPPING Es eilt. Wenn das Klima einmal gekippt ist, gibt es kaum noch ein Umsteuern. Es gibt aber auch einen sozialen Kipp-Punkt, wenn Lebenswege einmal verstellt sind, Menschen sich von der Demokratie abwenden oder abdriften. Den können wir zwar nicht so genau messen wie die globale Erderwärmung, aber die Gefahr ist genauso groß. Deshalb ist eine Haltung, „ach, den armen Menschen können wir auch noch in zehn Jahren mehr Geld geben“, unverantwortlich. Wir brauchen jetzt schnell viel Geld, ca. 120 Milliarden Euro, für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt. Und solange wir die Schuldenbremse nicht lösen, können wir das nur mit angezogener Handbremse machen.
Können sich ärmere Menschen Grünen-Politik überhaupt leisten? GÖRING-ECKARDT Natürlich. Sie profitieren vom Klimaschutz am meisten, weil sie es sind, die in den schlechten Gegenden wohnen mit viel Straßenverkehr und Luftverschmutzung. Auch Jobs in der Industrie werden wir langfristig nur in Deutschland halten, wenn wir CO2frei produzieren. Wir wollen außerdem, dass jeder zu Beginn des Jahres vorab 100 Euro Klimaprämie bekommt, wenn der CO2-Preis 40 Euro pro Tonne beträgt.
KIPPING Die eine Schwachstelle der Grünen ist die mangelnde Courage, sich mit den großen Konzernen anzulegen, sie stärker zur Finanzierung des Umbaus heranzuziehen... GÖRING-ECKARDT …dass mit uns ein anderer Wind wehen würde, wissen die. Ich werde nicht ohne Grund auf der schwarzen Kritiker-Liste von Monsanto stehen.
KIPPING …die andere Schwachstelle formuliere ich mal in einer Frage: Mit wem in der Union wollen die Grünen die sozial-ökologischen Verbesserungen denn durchsetzen? Die Groko ist fertig, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie zerfällt. Wenn es danach zu Schwarz-Grün kommen sollte, werden sie vielleicht einige wenige Klimapunkte durchbringen, aber die sozialen Anliegen werden sie einem Kompromiss mit der Union opfern. Deswegen braucht ein sozial-ökologischer Umbau Mehrheiten links der Union und eine starke Linke. Da ist nur auf uns Verlass. GÖRING-ECKARDT Wir sollten keine Theoriediskussion führen. Wenn es eine Mehrheit im Bundestag gibt, muss man innerhalb dieser Möglichkeiten versuchen, Kompromisse hinzubekommen. Das kann eine linke, eine schwarz-grüne oder eine andere Mehrheit sein. Ich halte nichts davon, in altem Lagerdenken zu verharren. Für uns ist eine soziale Politik in Verhandlungen genauso wichtig wie eine ökologische Politik und eine weltoffene.
KIPPING … das ist doch keine Theoriediskussion.
Grüne koalieren in den Ländern mit der SPD, den Linken, der FDP und der CDU. Sind Sie zu beliebig? GÖRING-ECKARDT Wir gehen nicht aus Spaß in Koalitionen, aber wir übernehmen Verantwortung, wenn es eine tragfähige Grundlage für Zusammenarbeit gibt, auch zwischen Personen. Ich sehe im Moment nicht, dass es eine rot-rot-grüne Mehrheit auf Bundesebene gibt.
KIPPING Das ist genau die Frage, wie mobilisieren wir mehr Leute für Mehrheiten links der Union? Ich habe verstanden, die Grünen wollen sich nicht in einen Lagerwahlkampf begeben. Aber wir müssen die gesellschaftliche Fantasie füttern, damit wir die Menschen dafür begeistern, dass anders als bisher eine Regierungspolitik möglich wäre, die alle garantiert vor Armut schützt, die Mitte besser stellt, bezahlbaren Wohnraum garantiert und mit Klimaschutz und Frieden dafür sorgt, dass wir überhaupt noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben. GÖRING-ECKARDT Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Fantasie zu füttern. Das können andere machen. Wir haben Programme und die Leute sind klug genug, Übereinstimmungen zu erkennen.