Rheinische Post Erkelenz

„Der Rechtsstaa­t muss auch onlin verteidigt werde

- KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und

Katja Kipping (Linke) kämpfen für einen Machtwechs­el. Aber nur Kipping setzt auf Rot-Rot-Grün, die Grüne auf Mehrheiten.

Rheinische Post tief im Westen sitzt und Ihre Leser nicht dauernd in den Osten fahren: Drei Viertel der Wähler im Osten stimmen nicht für die AfD. Wir sind an einem Punkt, an dem man das erklären kann, wie Katja Kipping es gemacht hat. Es muss jedoch klar sein: Es gibt keine Entschuldi­gung, heute AfD zu wählen – auch nicht, wenn man sich abgehängt fühlt. Die AfD besteht heute, in ihrer dritten Phase nach Lucke und Petry, in weiten Teilen aus Nazis und Faschisten, die das demokratis­che System abschaffen und Zwietracht säen wollen. Sie sind eine echte Gefahr für unsere Demokratie, und das muss jedem Wähler klar sein.

Die Linke war fast überall in der Regierung, die Grünen sitzen in Thüringen am Kabinettst­isch. Was tun Ihre Parteien, um den Menschen das Gefühl zurückzuge­ben, dass der Staat noch funktionie­rt? GÖRING-ECKARDT Er funktionie­rt, aber eben nicht überall und nicht in ganz Deutschlan­d gleich gut. Das muss sofort angeschobe­n werden, und innerhalb von drei, vier Jahren muss eine klare Verbesseru­ng da sein. Allein die Wahrnehmun­g, dass sich etwas zum Positiven entwickelt, wird auch das Gefühl der ungerechte­n Ungleichbe­handlung verändern. Für gleiche Lebensverh­ältnisse wie für Klimaschut­z gilt: Was wir jetzt nicht durch Investitio­nen voranbring­en, kostet Lebensqual­ität und wird später viel teurer, weil immer mehr Reparatura­rbeiten hinzukomme­n. Wir brauchen zusätzlich öffentlich­e Investitio­nen in Klimaschut­z von 30 Milliarden Euro pro Jahr.

KIPPING Es eilt. Wenn das Klima einmal gekippt ist, gibt es kaum noch ein Umsteuern. Es gibt aber auch einen sozialen Kipp-Punkt, wenn Lebenswege einmal verstellt sind, Menschen sich von der Demokratie abwenden oder abdriften. Den können wir zwar nicht so genau messen wie die globale Erderwärmu­ng, aber die Gefahr ist genauso groß. Deshalb ist eine Haltung, „ach, den armen Menschen können wir auch noch in zehn Jahren mehr Geld geben“, unverantwo­rtlich. Wir brauchen jetzt schnell viel Geld, ca. 120 Milliarden Euro, für Klimaschut­z und sozialen Zusammenha­lt. Und solange wir die Schuldenbr­emse nicht lösen, können wir das nur mit angezogene­r Handbremse machen.

Können sich ärmere Menschen Grünen-Politik überhaupt leisten? GÖRING-ECKARDT Natürlich. Sie profitiere­n vom Klimaschut­z am meisten, weil sie es sind, die in den schlechten Gegenden wohnen mit viel Straßenver­kehr und Luftversch­mutzung. Auch Jobs in der Industrie werden wir langfristi­g nur in Deutschlan­d halten, wenn wir CO2frei produziere­n. Wir wollen außerdem, dass jeder zu Beginn des Jahres vorab 100 Euro Klimaprämi­e bekommt, wenn der CO2-Preis 40 Euro pro Tonne beträgt.

KIPPING Die eine Schwachste­lle der Grünen ist die mangelnde Courage, sich mit den großen Konzernen anzulegen, sie stärker zur Finanzieru­ng des Umbaus heranzuzie­hen... GÖRING-ECKARDT …dass mit uns ein anderer Wind wehen würde, wissen die. Ich werde nicht ohne Grund auf der schwarzen Kritiker-Liste von Monsanto stehen.

KIPPING …die andere Schwachste­lle formuliere ich mal in einer Frage: Mit wem in der Union wollen die Grünen die sozial-ökologisch­en Verbesseru­ngen denn durchsetze­n? Die Groko ist fertig, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie zerfällt. Wenn es danach zu Schwarz-Grün kommen sollte, werden sie vielleicht einige wenige Klimapunkt­e durchbring­en, aber die sozialen Anliegen werden sie einem Kompromiss mit der Union opfern. Deswegen braucht ein sozial-ökologisch­er Umbau Mehrheiten links der Union und eine starke Linke. Da ist nur auf uns Verlass. GÖRING-ECKARDT Wir sollten keine Theoriedis­kussion führen. Wenn es eine Mehrheit im Bundestag gibt, muss man innerhalb dieser Möglichkei­ten versuchen, Kompromiss­e hinzubekom­men. Das kann eine linke, eine schwarz-grüne oder eine andere Mehrheit sein. Ich halte nichts davon, in altem Lagerdenke­n zu verharren. Für uns ist eine soziale Politik in Verhandlun­gen genauso wichtig wie eine ökologisch­e Politik und eine weltoffene.

KIPPING … das ist doch keine Theoriedis­kussion.

Grüne koalieren in den Ländern mit der SPD, den Linken, der FDP und der CDU. Sind Sie zu beliebig? GÖRING-ECKARDT Wir gehen nicht aus Spaß in Koalitione­n, aber wir übernehmen Verantwort­ung, wenn es eine tragfähige Grundlage für Zusammenar­beit gibt, auch zwischen Personen. Ich sehe im Moment nicht, dass es eine rot-rot-grüne Mehrheit auf Bundeseben­e gibt.

KIPPING Das ist genau die Frage, wie mobilisier­en wir mehr Leute für Mehrheiten links der Union? Ich habe verstanden, die Grünen wollen sich nicht in einen Lagerwahlk­ampf begeben. Aber wir müssen die gesellscha­ftliche Fantasie füttern, damit wir die Menschen dafür begeistern, dass anders als bisher eine Regierungs­politik möglich wäre, die alle garantiert vor Armut schützt, die Mitte besser stellt, bezahlbare­n Wohnraum garantiert und mit Klimaschut­z und Frieden dafür sorgt, dass wir überhaupt noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben. GÖRING-ECKARDT Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Fantasie zu füttern. Das können andere machen. Wir haben Programme und die Leute sind klug genug, Übereinsti­mmungen zu erkennen.

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FOTO: URBAN Linken-Chefin Katja Kipping (l.) und Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsc­hefin der Grünen, in der Parlaments­redaktion der Rheinische­n Post in Berlin.

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