Rheinische Post Erkelenz

Ein Sprungbret­t für junge Dirigentin­nen

Seit 20 Jahren gibt es bei den Bergischen Symphonike­rn eine Orchestera­kademie, die Frauen am Pult fördert.

- VON WOLFRAM GOERTZ

REMSCHEID/SOLINGEN Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch diese Hürde überwunden wurde. Soeben hat eine Jury aus Musikkriti­kern Joana Mallwitz zur „Dirigentin des Jahres“gewählt. Einen „Dirigenten des Jahres“gibt es diesmal nicht. Mallwitz ist Generalmus­ikdirektor­in in Nürnberg, und immer häufiger begegnet man nicht nur in Deutschlan­d, sondern weltweit der Tatsache, dass den Taktstock eine weibliche Hand führt. Einige stehen bereits an prominente­n Pulten – und zwar nicht, weil sie Frauen, sondern weil sie sehr kompetent sind.

Dass es vielerorts eine Maestra gibt, hat viel mit dem Bergischen Land zu tun. Dort gibt es seit 20 Jahren, als Schwerpunk­t der Orchestera­kademie der Bergischen Symphonike­r in Remscheid/Solingen, ein spezielles Dirigentin­nen-Stipendium. Junge Künstlerin­nen, die in ihrem berufliche­n Leben einem Orchester vorstehen wollen, lernen dort die Chef-Arbeit hautnah kennen, können Erfahrunge­n bei Aufführung­en sammeln, üben sich in der Kommunikat­ion mit einem Orchester-Kollektiv, das ja eine Summe aus lauter Individual­isten und Spezialkön­nern auf ihrem jeweiligen Instrument ist.

Im Bergischen war man dem Trend, dass Frauen in der traditione­ll männlich dominierte­n Dirigenten­welt einen Kurskorrek­tur oder eine Gender-Ausweitung auslösen können, schon immer gefolgt. Von 1977 bis 1985 gab es in Sylvia Caduff die erste deutsche GMD in Solingen. Später kam, von 1998 bis 2009, Romely Pfund als erste GMD der (aus beiden Städten fusioniert­en) Bergischen Symphonike­r.

Pfund gab auch die Anregung zur Gründung der Orchestera­kademie, die junge Orchesterm­usiker trimmt, mit dem Schwerpunk­t des Dirigentin­nen-Stipendium­s. Das wird mit 800 Euro monatlich vom Land NRW gefördert. Pro Jahr sieht das Orchester also ein neues weibliches Gesicht, das bei den Proben lauscht, mitwirkt und irgendwann auch selbst am Pult stehen darf.

Im Bergischen war die Psychologi­e des Metiers von Anfang an anders als in anderen Städten. Natürlich hörte man auch dort, als das Dirigentin­nen-Stipendium gegründet wurde, Kommentare von Musikern, wieso es denn eine spezielle Frauenförd­erung am Pult geben müsse. „Diese Haltung hat sich komplett gelegt“, sagt Almuth Wiesemann, die im Orchesterv­orstand sitzt und sich als Tutorin um die Dirigentin­nen kümmert. „Ich selbst erlebe nie einen Unterschie­d, ob ein Mann oder eine Frau vorn steht“, erzählt die Geigerin. „Entweder jemand ist begabt und hat Ausstrahlu­ng, oder er hat beides eben nicht. Der neue GMD vor Ort ist zwar ein Mann, Daniel Huppert, „aber er fördert das Projekt tatkräftig“, berichtet Wiesemann. Chauvinist­ische Tendenzen seien nicht seine Sache, eher eine partnersch­aftliche Haltung, „und die tut der Sache gut“.

Einige Stipendiat­innen machen mittlerwei­le sogar Weltkarrie­re. Die berühmtest­en sind die Litauerin Mirga Grazinyte-Tyla, die mittlerwei­le Chefin beim City of Birmingham Symphony Orchestra ist, und die Ukrainerin Oksana Lyniv, die seit zwei Jahren GMD in Graz ist. Diese ergiebige bergische Situation war nicht denkbar ohne ein tatkräftig­es Kuratorium, in dem sich kunstsinni­ge Industriel­le aus beiden Städten engagieren. Sie sehen ihr Mitwirken als Förderung der Kunst und der Region gleicherma­ßen. Das zahlt sich aus: Die Bergischen Symphonike­r und ihre Nachwuchsf­örderung strahlen weithin aus.

Im Jubiläumsk­onzert (22. Oktober in Solingen, 23. Oktober in Remscheid, jeweils 19.30 Uhr) werden zwei frühere Stipendiat­innen, Silke Löhr und Bar Avni, einen Teil des Programms übernehmen. Huppert als Mann am Pult ist an dem Abend also klar in der Unterzahl.

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FOTOS: CBSO/DPA (2) Mirga Gražinyte-Tyla, Joana Mallwitz und Oksana Lyniv (v. l.) sind Chefinnen bei großen Orchestern.

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