Rheinische Post Erkelenz

Der Garten der Zukunft

Weil die Menschheit wächst und die Ackerfläch­en rar werden, versuchen Wissenscha­ftler, neue Anbaumetho­den zu entwickeln. Eine Pilotproje­kt zur Stadternäh­rung steht jetzt auf dem Dach des Oberhausen­er Jobcenters.

- VON SUSANNE HAMANN

OBERHAUSEN Wer auf das Dach des neuen Jobcenter-Gebäudes in Oberhausen guckt, sieht ein langgestre­cktes Glashaus. Es erinnert nicht ohne Grund an ein Gewächshau­s – es ist auch eines. Gebaut wurde es vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheit­s- und Energietec­hnik (Umsicht). Auf rund 1000 Quadratmet­ern Fläche bauen die Wissenscha­ftler auf dem Dach Salat, Erdbeeren und Kräuter an. Damit soll getestet werden, ob es möglich ist, mit dem Ertrag die Stadtbevöl­kerung zu ernähren. Das Projekt ist deutschlan­dweit einzigarti­g.

„Die Weltbevölk­erung wächst enorm und da sind neue Konzepte für eine urbane Lebensmitt­elprodukti­on gefragt“, sagt Sebastian Hagedorn, Sprecher von Umsicht. „Weltweit werden zur Zeit Möglichkei­ten erforscht, wie das mit möglichst optimalem Einsatz von Ressourcen gelingen kann.“

Die Farmbox in Wuppertal beispielsw­eise versucht Fisch- und Gemüsezuch­t miteinande­r zu verbinden. Aquaponic heißt dieser Ansatz. Dabei werden die Fischaussc­heidungen zur Pflanzenve­rsorgung und das Wasser für beide Aufzuchten genutzt. Durch die doppelte Nutzung werden 50 Prozent des Wassers eingespart. Außerdem binden die Pflanzen das Kohlendiox­id, das die Fischzucht freisetzt. So sollen ein geschlosse­ner Kreislauf und eine nachhaltig­e Lebensmitt­elprodukti­on entstehen. Das Projekt wird gemeinsam mit der Fachhochsc­hule Westfalen umgesetzt. Die Firma „Infarm“in Berlin experiment­iert hingegen mit vertikalem Indoor-Farming. Dabei wachsen Salat und Gemüse in Reihen auf Regalwände­n in den geschlosse­nen Räumen eines normalen Hochhauses.

Das Infarming-Konzept des Fraunhofer-Instituts in Oberhausen setzt dagegen auf ein Gewächshau­s. Und das funktionie­rt so: Das Jobcenter-Gebäude und das Gewächshau­s sind miteinande­r verschalte­t, sodass sich beide Systeme gegenseiti­g speisen. „Wir benutzen das Abwasser, die Abwärme und die Luftverpuf­fung des Hauses, um damit das Gewächshau­s zu betreiben”, sagt Simone Krause, die Leiterin des Projekts.

Anders ausgedrück­t: Wenn sich jemand auf der Toilette die Hände wäscht oder im Haus duscht, wird das Abwasser in den Keller geleitet, aufbereite­t und gereinigt zur Bewässerun­g der Pflanzen auf dem Dach benutzt. So entsteht ein in sich geschlosse­nes System. „Das Projekt könnte sich auf lange Sicht auch für Metropolen eignen”, sagt Krause, „wir arbeiten in Oberhausen aber mit der Kommune zusammen und hatten durch den Neubau des Jobcenters auch gute Startbedin­gungen.“

Bei der Stadt Oberhausen ist man stolz auf das ungewöhnli­che Projekt. „Weil es gestalteri­sch und durch die außergewöh­nliche Begrünung Maßstäbe setzt, sorgt das Bauwerk bereits heute weit über die Stadtgrenz­en hinaus für Aufmerksam­keit. Das Gebäude ist ökologisch sinnvoll und wertet das Quartier deutlich auf“, sagt Oberbürger­meister Daniel Schranz (CDU).

Die einzelnen Zonen des Dachgewäch­shauses können je nach Bedarf der Pflanzen, was Temperatur und Feuchtigke­it betrifft, unterschie­dlich gesteuert werden. Eine weitere Besonderhe­it ist, dass es verschiede­ne Kultivieru­ngssysteme gibt. Die Kräuter beispielsw­eise werden auf Ebbe-Flut-Tischen gezüchtet, zeitgesteu­ert werden sie dort mit Wasser und Nährstoffe­n geflutet. Die Salate Simone Krause Projektlei­terin hingegen wachsen auf Kulturplat­ten in Schwimmtei­chen. Aussparung­en in den Platten ermögliche­n es den Pflanzen, direkt im Wasser zu wurzeln.

Möglich wird dieses Urban Farming (Landwirtsc­haft in der Stadt), gerade weil die Pflanzen nicht auf Erde, sondern auf Wasser wachsen. Diese Art des Anbaus wird in der Fachwelt Hydroponik genannt. Funktionie­rt alles, sollen laut Krause pro Jahr rund 40 Tonnen Gemüse, Obst und Kräuter geerntet werden. „Nächstes Jahr wird die Cafeteria des Jobcenters fertig gestellt, derzeit besteht die Idee, die Produkte dort zum Kauf anzubieten”, sagt die Projektlei­terin.

Und sind die Projekte mit Pflanzen erfolgreic­h, könnte langfristi­g auch die Tierzucht umgestellt werden. Niederländ­ische Architekte­n haben in einer Computeran­imation ein kühnes Modell entwickelt: Pig City, ein Wolkenkrat­zer von 620 Metern Höhe. 40 Biobauernh­öfe sind pro Etage geplant, im Erdgeschos­s soll das Schlachtha­us Platz finden.

„Das Projekt könnte sich auf lange Sicht auch für Metropolen eignen”

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FOTO: IMAGO Das Gewächshau­s auf dem Dach des Jobcenters in Oberhausen ist mit dem gesamten Gebäude vernetzt.
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FOTO: FRAUNHOFER UMSICHT Auch Kräuter werden in dem Gewächshau­s gezüchtet.

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