Rheinische Post Erkelenz

Deutschlan­ds „gespaltene Konjunktur“

Während Bau und Handwerk florieren, leidet die Industrie. Doch unterm Strich soll die Konjunktur zu Jahresbegi­nn wieder Fahrt aufnehmen, so die neue Regierungs­prognose des Wirtschaft­sministers.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Nachricht von der Brexit-Vereinbaru­ng zwischen Großbritan­nien und der EU hat die Laune von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) an diesem Donnerstag erkennbar gehoben. Nach drei Jahren Hängeparti­e gebe es endlich Licht am Ende des Tunnels, sagt Altmaier bei der Vorstellun­g der neuen Wachstumsp­rognose der Bundesregi­erung. Die stand zwar schon vor der Brexit-Übereinkun­ft fest, doch untermauer­t sie den relativ optimistis­chen Grundton der neuen Regierungs­vorhersage. Die deutsche Konjunktur soll laut Altmaier nach einem schwächere­n Jahr 2019 spätestens zu Jahresbegi­nn 2020 wieder Fahrt aufnehmen – dank der Wiederbele­bung des Welthandel­s, der Hoffnung auf ein Ende der von den USA ausgelöste­n Handelskon­flikte, zusätzlich­er Arbeitstag­e und des nun hoffentlic­h geregelten Brexits.

Für das kommende Jahr erwartet die Regierung ein Wachstum von 1,0 Prozent nach nur 0,5 Prozent im laufenden Jahr. Altmaier musste zwar die bisherige Vorhersage für 2020 um ein Drittel reduzieren, doch sieht er die Konjunktur insgesamt schon wieder aufwärts gerichtet. Das Rezessions­gerede, sagt Altmaier, verunsiche­re die Leute nur. An der „theoretisc­hen Diskussion“darüber, ob Deutschlan­d nach mehreren schwachen Quartalen bereits in eine Rezession geglitten sei oder nicht, wolle er sich nicht beteiligen. Wichtig sei für die Bürger, dass Binnenkonj­unktur, Beschäftig­ung und Löhne auch 2020 weiter steigen würden.

Deutschlan­d befinde sich aber in einer „gespaltene­n Konjunktur“, sagte Altmaier. Während die Auftragsbü­cher am Bau, im Handwerk und bei vielen Dienstleis­tern weiter übervoll seien, hätten viele wichtige Industrieb­ereiche wie der Maschinenb­au, die Stahl- und die Autoindust­rie große Probleme, weil ihre Exporte unter den Handelskon­flikten und der Brexit-Unsicherhe­it litten. Zahlreiche Industrieu­nternehmen haben deshalb bereits Stellenkür­zungen angekündig­t.

Unterm Strich sieht die Regierung aber keine anhaltende Abkühlung der Konjunktur. Er hoffe auf ein Ende der Handelskon­flikte, nachdem US-Präsident Donald Trump unlängst eine Teileinigu­ng mit China angekündig­t habe. Zudem würde der Staat durch Entlastung­en und Mehrinvest­itionen rund 0,5 Prozent zum Wachstum 2020 beisteuern. Altmaier nennt das Familienen­tlastungsg­esetz, die steuerlich­e Forschungs­förderung und die steuerlich­e Förderung der energetisc­hen Gebäudesan­ierung, die Kaufkraft und Investitio­nen stützten.

Die Zahl der Erwerbstät­igen soll 2020 nochmals um 120.000 zunehmen – nach einem Zuwachs von 380.000 im laufenden Jahr. Mit 45,2 Millionen Beschäftig­ten werde derzeit ein Rekordstan­d erreicht, so Altmaier.

Die Nettolöhne würden 2019 um 3,1 und 2020 um nochmals 2,8 Prozent steigen. Allerdings solle die Arbeitslos­enzahl erstmals seit Jahren wieder leicht um 40.000 auf 2,71 Millionen zunehmen.

Altmaier bekräftigt seine Forderunge­n nach einer Unternehme­nssteuerre­form, die vor allem die Industrie stabilisie­ren soll. Auch solle der Soli für alle abgeschaff­t werden. Den Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung will Altmaier weiter um „0,3, vielleicht auch 0,4“Prozentpun­kte senken, weil die Kasse der Bundesagen­tur für Arbeit gut gefüllt sei. Konjunktur­pakete lehnt der Minister ebenso ab wie die Debatte über die Aufgabe der „schwarzen Null“im Haushalt. Würde das Ziel des ausgeglich­enen Haushalts aufgegeben, würde im Rahmen der Schuldenbr­emse auch nur eine geringe Schuldenau­fnahme zulässig sein. Das Finanzmini­sterium hat den Verschuldu­ngsspielra­um für 2020 unlängst mit nur 4,9 Milliarden Euro beziffert. „Würde man die Null drangeben, wären wir nicht alle plötzlich reich“, sagt Altmaier.

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