Rheinische Post Erkelenz

„Eine Nullrunde stürzt niemanden ins Unglück“

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Verhandlun­gsführer des Chemiearbe­itgeberver­bandes BAVC und Bayer-Personalch­ef von Deutschlan­d über die Tarifrunde.

LEVERKUSEN Am Montag verhandeln Arbeitgebe­r und die IG BCE erstmals auf Bundeseben­e für die 580.000 Beschäftig­ten der Chemiebran­che. Die Gewerkscha­ft verlangt neben einem Inflations­ausgleich ein Zukunftsko­nto im Wert von 1000 Euro pro Jahr, das die Beschäftig­ten auch in Freizeit umwandeln können. Zudem will sie eine tarifliche Pflegezusa­tzversorgu­ng. Ein Gespräch mit dem Verhandlun­gsführer der Arbeitgebe­rseite.

Wie dunkel sind die Wolken am Konjunktur­himmel für die Chemie? MÜLLER Seit dem letzten Quartal 2018 hat sich die Situation dramatisch eingetrübt. Ein Umstand, den die Gewerkscha­ft bei ihrer Forderungs­aufstellun­g bis heute überhaupt nicht berücksich­tigt hat. Im Gegenteil. Zuletzt hat sie sogar noch einmal draufgesat­telt: Auch die Azubis sollen nun von dem 1000-Euro-Zukunftsko­nto profitiere­n. Das wird eine extrem schwierige Runde. Schwarzmal­en müssen Sie als Verhandlun­gsführer ja qua Amt. MÜLLER Ich verbreite hier keinen Zweckpessi­mismus. Die Weltwirtsc­haft steht auf der Bremse. Es gibt Unsicherhe­iten durch den drohenden Brexit und den Handelskri­eg. In unserer Branche geht die Produktion 2019 um sechs Prozent zurück – wir sind bei Werten angelangt, die wir seit der Weltwirtsc­haftskrise 2008/09 nicht mehr hatten. Die Umsätze gehen um fünf Prozent zurück. Wir erleben eine waschechte Krise in der Chemie: Die Firmen können sich dauerhafte Lohnsteige­rungen einfach nicht leisten.

Wollen Sie ernsthaft über eine Nullrunde sprechen?

MÜLLER Die Gewerkscha­ft hat in der Vergangenh­eit stets verlangt, die Beschäftig­ten am Erfolg zu beteiligen. Nach dieser Logik müssen wir sie aber auch an der Krise beteiligen. Der Verteilung­sspielraum geht gegen null. Eine Nullrunde würde niemanden ins Unglück stürzen, denn die Vergütungs­situation in der Chemie ist extrem komfortabe­l. Wir reden über einen durchschni­ttlichen tarifliche­n Verdienst von 62.000 Euro pro Jahr – das ist im deutschen wie im internatio­nalen Vergleich extrem hoch. Hinzu kommt, dass der Tarifabsch­luss 2018 schlicht zu teuer war.

Bemerken Sie schon, dass Unternehme­n Tariffluch­t begehen oder die Produktion ins Ausland verlagern? MÜLLERDas sind realistisc­he Risiken. Wenn die IG BCE die wirtschaft­liche Situation bei der aktuellen Forderung einfach ignoriert, reden wir langfristi­g auch über solche Konsequenz­en.

Eine Nullrunde erscheint trotzdem wenig realistisc­h. Würden Sie bei einem Abschluss auf Abweichung­smöglichke­iten bestehen?

MÜLLER Das machen wir ja schon seit Jahren. Es muss möglich sein, dass Betriebe in schwierige­m Fahrwasser abweichen können. Die IG BCE verkauft ihre Forderung als Attraktivi­tätsprogra­mm.

MÜLLER Würde das 1000-Euro-Zukunftsko­nto Realität, bei dem Beschäftig­te wählen könnten, statt Geld zusätzlich­e freie Tage in Anspruch zu nehmen, wird der Fachkräfte­mangel verschärft.

Die Gewerkscha­ft verlangt das Instrument, um die Belegschaf­ten zu entlasten.

MÜLLER Die IG BCE muss natürlich jetzt nachziehen, weil es vergleichb­are Regelungen schon bei der Bahn oder in der Metall-Branche gibt. Fakt ist aber: Wir haben seit 2010 insgesamt 50.000 zusätzlich­e Stellen geschaffen – also ein Plus von zwölf Prozent. Die Produktion ist im gleichen Zeitraum aber nur um fünf Prozent gestiegen. Aus diesen Zahlen kann ich zunächst mal keine zusätzlich­e Belastung erkennen.

Was halten Sie von der Forderung einer tarifliche­n Pflegezusa­tzversiche­rung?

MÜLLER Pflegebedü­rftigkeit ist ein großes gesellscha­ftliches Thema. Fast jeder kennt aus seinem Umfeld ein Pflegebeis­piel. Neben der persönlich­en Belastung reden wir da auch schnell von großen finanziell­en Einschnitt­en. Wenn man hier eine Absicherun­g für das Thema gestalten kann, mag das sinnvoll und attraktiv sein. Aber auch das kostet Geld. Und das ist derzeit schlicht nicht da. Es kann am Ende nicht sein, dass nötige Investitio­nen etwa im Zuge der Digitalisi­erung ausbleiben, weil die Firmen überzogene Löhne zahlen müssen. Die IG BCE sollte nicht an dem Ast sägen, auf dem ihre Mitglieder sitzen.

Sie sind Bayer-Personal-Chef für Deutschlan­d. Wie wird sich der geplante Abbau von 4500 Stellen auf Standorte und Sparten verteilen? MÜLLER Es gibt noch keine konkrete Zahl, die wir kommunizie­ren könnten. Wir sind derzeit mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn in konstrukti­ven Gesprächen, die voraussich­tlich erst Anfang kommenden Jahres abgeschlos­sen sein werden. Wir sind angesichts der positiven Resonanz auf unsere Abfindungs­modelle aber zuversicht­lich, den Arbeitspla­tzabbau bis Ende 2021 überwiegen­d durch freiwillig­e Aufhebungs­verträge realisiere­n zu können.

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FOTO: BAVC Georg Müller

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