„Eine Nullrunde stürzt niemanden ins Unglück“
Der Verhandlungsführer des Chemiearbeitgeberverbandes BAVC und Bayer-Personalchef von Deutschland über die Tarifrunde.
LEVERKUSEN Am Montag verhandeln Arbeitgeber und die IG BCE erstmals auf Bundesebene für die 580.000 Beschäftigten der Chemiebranche. Die Gewerkschaft verlangt neben einem Inflationsausgleich ein Zukunftskonto im Wert von 1000 Euro pro Jahr, das die Beschäftigten auch in Freizeit umwandeln können. Zudem will sie eine tarifliche Pflegezusatzversorgung. Ein Gespräch mit dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite.
Wie dunkel sind die Wolken am Konjunkturhimmel für die Chemie? MÜLLER Seit dem letzten Quartal 2018 hat sich die Situation dramatisch eingetrübt. Ein Umstand, den die Gewerkschaft bei ihrer Forderungsaufstellung bis heute überhaupt nicht berücksichtigt hat. Im Gegenteil. Zuletzt hat sie sogar noch einmal draufgesattelt: Auch die Azubis sollen nun von dem 1000-Euro-Zukunftskonto profitieren. Das wird eine extrem schwierige Runde. Schwarzmalen müssen Sie als Verhandlungsführer ja qua Amt. MÜLLER Ich verbreite hier keinen Zweckpessimismus. Die Weltwirtschaft steht auf der Bremse. Es gibt Unsicherheiten durch den drohenden Brexit und den Handelskrieg. In unserer Branche geht die Produktion 2019 um sechs Prozent zurück – wir sind bei Werten angelangt, die wir seit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 nicht mehr hatten. Die Umsätze gehen um fünf Prozent zurück. Wir erleben eine waschechte Krise in der Chemie: Die Firmen können sich dauerhafte Lohnsteigerungen einfach nicht leisten.
Wollen Sie ernsthaft über eine Nullrunde sprechen?
MÜLLER Die Gewerkschaft hat in der Vergangenheit stets verlangt, die Beschäftigten am Erfolg zu beteiligen. Nach dieser Logik müssen wir sie aber auch an der Krise beteiligen. Der Verteilungsspielraum geht gegen null. Eine Nullrunde würde niemanden ins Unglück stürzen, denn die Vergütungssituation in der Chemie ist extrem komfortabel. Wir reden über einen durchschnittlichen tariflichen Verdienst von 62.000 Euro pro Jahr – das ist im deutschen wie im internationalen Vergleich extrem hoch. Hinzu kommt, dass der Tarifabschluss 2018 schlicht zu teuer war.
Bemerken Sie schon, dass Unternehmen Tarifflucht begehen oder die Produktion ins Ausland verlagern? MÜLLERDas sind realistische Risiken. Wenn die IG BCE die wirtschaftliche Situation bei der aktuellen Forderung einfach ignoriert, reden wir langfristig auch über solche Konsequenzen.
Eine Nullrunde erscheint trotzdem wenig realistisch. Würden Sie bei einem Abschluss auf Abweichungsmöglichkeiten bestehen?
MÜLLER Das machen wir ja schon seit Jahren. Es muss möglich sein, dass Betriebe in schwierigem Fahrwasser abweichen können. Die IG BCE verkauft ihre Forderung als Attraktivitätsprogramm.
MÜLLER Würde das 1000-Euro-Zukunftskonto Realität, bei dem Beschäftigte wählen könnten, statt Geld zusätzliche freie Tage in Anspruch zu nehmen, wird der Fachkräftemangel verschärft.
Die Gewerkschaft verlangt das Instrument, um die Belegschaften zu entlasten.
MÜLLER Die IG BCE muss natürlich jetzt nachziehen, weil es vergleichbare Regelungen schon bei der Bahn oder in der Metall-Branche gibt. Fakt ist aber: Wir haben seit 2010 insgesamt 50.000 zusätzliche Stellen geschaffen – also ein Plus von zwölf Prozent. Die Produktion ist im gleichen Zeitraum aber nur um fünf Prozent gestiegen. Aus diesen Zahlen kann ich zunächst mal keine zusätzliche Belastung erkennen.
Was halten Sie von der Forderung einer tariflichen Pflegezusatzversicherung?
MÜLLER Pflegebedürftigkeit ist ein großes gesellschaftliches Thema. Fast jeder kennt aus seinem Umfeld ein Pflegebeispiel. Neben der persönlichen Belastung reden wir da auch schnell von großen finanziellen Einschnitten. Wenn man hier eine Absicherung für das Thema gestalten kann, mag das sinnvoll und attraktiv sein. Aber auch das kostet Geld. Und das ist derzeit schlicht nicht da. Es kann am Ende nicht sein, dass nötige Investitionen etwa im Zuge der Digitalisierung ausbleiben, weil die Firmen überzogene Löhne zahlen müssen. Die IG BCE sollte nicht an dem Ast sägen, auf dem ihre Mitglieder sitzen.
Sie sind Bayer-Personal-Chef für Deutschland. Wie wird sich der geplante Abbau von 4500 Stellen auf Standorte und Sparten verteilen? MÜLLER Es gibt noch keine konkrete Zahl, die wir kommunizieren könnten. Wir sind derzeit mit den Arbeitnehmervertretern in konstruktiven Gesprächen, die voraussichtlich erst Anfang kommenden Jahres abgeschlossen sein werden. Wir sind angesichts der positiven Resonanz auf unsere Abfindungsmodelle aber zuversichtlich, den Arbeitsplatzabbau bis Ende 2021 überwiegend durch freiwillige Aufhebungsverträge realisieren zu können.