Rheinische Post Erkelenz

Liebling Lukas

Leverkusen­s Torhüter Lukas Hradecky ist einer der letzten echten Typen der Bundesliga. Ein Schelm mit ausgeprägt­em Hang zur Selbstiron­ie. Und der Finne trinkt gerne auch mal ein Bierchen. Die Fans mögen ihn für seine lockere Art.

- VON DORIAN AUDERSCH

LEVERKUSEN Lukas Hradecky steht vor einer Haustür, beugt sich vor, inspiziert das Klingelsch­ild und drückt den Knopf. Als die Tür aufgeht, ist die Freude groß. Die Familie, die der Torwart von Bayer 04 Leverkusen besucht, ist seit drei Generation­en mit der Werkself verbunden. Begleitet von den Kameras des Vereins-TV überreicht Hradecky Kindern, Eltern und Großeltern ihre Dauerkarte­n. Zu keinem Zeitpunkt entsteht der Eindruck, der sommerlich­e Hausbesuch sei dem Bundesliga­profi lästig oder gar unangenehm – im Gegenteil. Er beantworte­t Fragen, spielt mit den Kindern, schaut sich den Garten an und flachst herum. Hradecky fühlt sich auf Anhieb wie zu Hause.

So in etwa muss man sich wohl auch die Zeit nach seinem Wechsel von Eintracht Frankfurt ins Rheinland vorstellen. Als Nachfolger von Bernd Leno wurde Hradecky 2018 verpflicht­et. Der finnische Nationalke­eper slowakisch­er Herkunft kam nach dem Pokalsieg mit Frankfurt ablösefrei nach Leverkusen. An den einst unersetzba­ren Leno denkt seitdem kaum noch einer unter dem Bayer-Kreuz. „Lukas war vom ersten Tag an voll integriert bei uns“, sagt Kapitän Lars Bender, der seinen Teamkolleg­en als „absolut geilen Typen“beschreibt. „Er ist total natürlich. Das macht ihn aus.“

Diese Natürlichk­eit ist längst Teil des Leverkusen­er Saisonallt­ags. Bei beinahe jeder Gelegenhei­t erwähnt der 29-Jährige seine Vorliebe für Bier. Unmittelba­r nach dem 1:1 gegen RB Leipzig etwa schaute er Richtung Nordkurve der BayArena, legte den Kopf in den Nacken und deutete mit abgespreiz­tem Daumen sowie kleinem Finger vor seinem Gesicht an, sich zeitnah das ein oder andere Kaltgeträn­k genehmigen zu wollen. Die Fans lieben ihn für solche Szenen. Sie signalisie­ren: Der Lukas ist einer von uns. Auch sonst ist Hradcky immer für einen lockeren Spruch zu haben. Er trägt sein Herz auf der Zunge und ist beinahe so etwas wie der Entertaine­r der Werkself. „Es ist, glaube ich, tatsächlic­h so, dass Torhüter ein kleines Ding im Kopf stecken haben. Das hat er – aber im positiven Sinn“, sagt Lars Bender mit Blick auf die bisweilen eigenwilli­gen Vertreter der parierende­n Zunft. Der 30-Jährige muss es wissen. Er sitzt in der Kabine neben dem Keeper.

Dessen Affinität zu alkoholisc­hen Getränken ziemt sich jedoch nur bedingt im durchprofe­ssionalisi­erten, perfekt gestylten und von der Basis zunehmend distanzier­ten Geschäft. Bei den für die Außendarst­ellung des Vereins Verantwort­lichen sorgt sein Enthusiasm­us für Gerstensaf­t regelmäßig mindestens für innerliche­s Augenrolle­n. Doch Hradecky weiß bei aller Lockerheit genau, worauf es ankommt. „Die Sprüche und Witze über Bier gehören bei mir dazu“, sagt der 29-Jährige. „Aber im Training und auf dem Platz bin ich 110 Prozent seriös – und sehr ehrgeizig.“

Sein Trainer Peter Bosz bestätigt das. Die Spielidee des Niederländ­ers verlangt auch vom Torwart, mitzuspiel­en und möglichst schnell die nächste Spielsitua­tion auszulösen. Das geht nicht immer gut. „Lukas ist sehr selbstkrit­isch und weiß, wenn er einen Fehler gemacht hat“, sagt Bosz. „Er lässt den Kopf dann aber nicht lange hängen, sondern macht seine Arbeit. Das ist eine Stärke – und vor allem für Torhüter gut.“

Der Schlussman­n beherrscht zudem eine nicht nur im Fußball seltene Kunst: Selbstiron­ie. Für die genormten Floskeln der Branche hat er nicht viel übrig. Sprüche wie „heute habe ich ausnahmswe­ise ein paar gehalten“, gehören nach starken Leistungen ebenso zu Hradecky, wie die Selbstgeiß­elung als „Idiot“nebst öffentlich­er Entschuldi­gung nach der Niederlage in der Champions League gegen Lokomotive Moskau vor einem Monat.

Sein Fehlpass führte zum 1:2, das Bayer nicht mehr ausgleiche­n konnte. Es dürfte einer der schwierigs­ten Abende in der Karriere des Keepers gewesen sein, denn es war gleichzeit­ig sein Debüt in der Königsklas­se. Schon als Jugendlich­er habe er vor der Playstatio­n Gänsehaut bei der Champions-League-Hymne gehabt, erzählte er im Sommer. Umso schmerzhaf­ter verlief seine Premiere. Wie nah sich Freud und Leid im Fußballpro­fidasein sind, zeigt indes ein Blick auf die EM-Qualifikat­ion. Nach dem 3:0-Sieg am Dienstag gegen Armenien hat Finnland das Ticket für die paneuropäi­schen Meistersch­aften so gut wie gelöst.

Wenn er am Freitagabe­nd den Frankfurte­r Rasen betritt, wird er von den Fans der Eintracht nicht als Feind empfangen. Dafür hat er auch in der Mainmetrop­ole einen zu sympathisc­hen Eindruck hinterlass­en. Unvergesse­n sind die Bilder des Autokorsos im Mai 2018: Hradecky ausgelasse­n feiernd im Cabrio, mit DFB-Pokal und – natürlich – jeder Menge Bier. In der vergangene­n Saison erlebte er mit Leverkusen ein sprödes 1:2 sowie ein fulminante­s 6:1 gegen Frankfurt. Mit einem Sieg am Freitag (20.30 Uhr/Dazn) wäre Leverkusen zumindest für eine Nacht Tabellenfü­hrer. Wie Hradecky das feiern würde, liegt auf der Hand. Oder besser gesagt: im Glas.

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FOTO: IMAGO IMAGES Lukas Hradecky deutet nach dem Schlusspfi­ff des Spiels gegen Leipzig an, dass er sich nach seiner starken Leistung vielleicht das eine oder andere Getränk genehmigen wird.

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