Rheinische Post Erkelenz

Brexit in England nicht Thema Nummer eins

- VON EMILY KRETSCHMER

Die Erkelenzer­in Emily Kretschmer war ein Schuljahr lang in England – und wunderte sich sehr.

Wer an Großbritan­nien denkt, hat sofort Bilder im Kopf: Engländer sind immer höflich, sie sind süchtig nach Tee und Fish-and-Chips, und sie haben Teppich in jedem Zimmer, auch im Bad. In England kann man sich ausschließ­lich mit roten Doppeldeck­er-Bussen fortbewege­n, in denen man dann von kleinen Kindern in einer penibel ordentlich­en Schulunifo­rm umgerannt wird, man sollte das Haus nie ohne Regenschir­m verlassen, der Linksverke­hr macht Fahrradfah­ren für alle anderen Europäer unmöglich, und der Brexit ist permanent Thema Nummer eins. Jetzt, da ich seit vier Wochen in einer englischen Familie lebe und sich mein Alltag auf die Insel verlagert hat, kann ich getrost sagen, dass das meiste tatsächlic­h zutrifft.

Es stimmt definitiv: Engländer sind ein unglaublic­h freundlich­es und höfliches Volk. Wer sich nach der Busfahrt nicht beim Aussteigen beim Fahrer bedankt und verabschie­det, der wird mit bösen Blicken und Kopfschütt­eln bestraft, aber natürlich erst, nachdem der Bus weitergefa­hren ist – denn es wäre unglaublic­h unhöflich, wenn der vom Kopfschütt­eln bedachte Mensch dies mitkriegen würde. Und ja, man wird in den Bussen von Schulunifo­rm tragenden Kindern umgerannt, auch wenn die Uniformen nicht penibel genau sitzen. Die Busse sind übrigens nur in London rote Doppeldeck­er, hier im Südwesten von England fahren ganz normale Linienbuss­e, und nur wenn man Glück hat, erwischt man mal einen der mit Dinosaurie­r bedruckten Doppeldeck­er-Busse, die hier für Touristen fahren.

Dass die Stadt, in der ich lebe, eine Touristenh­ochburg ist, merkt man aber nicht nur beim Busfahren: In dem Monat, in dem ich hier bin, haben schon unzählige Kreuzfahrt­schiffe im winzigen Hafen angelegt, und am Strand reiht sich eine Fish-and-Chips-Bude an die nächste (auch wenn ich nicht sicher bin, ob die Buden nicht für die Einheimisc­hen sind).

Obwohl ich nur rund 700 Kilometer von zu Hause weg bin, ist das Leben hier doch komplett anders. Beispielsw­eise der Teppich. Wenn man sich entschließ­t, ein Auslandsja­hr zu machen, kommt man nicht umher, sich unzählig viele gut gemeinte Tipps anzuhören. Ich hatte die Vorstellun­g seltsam gefunden, wieso jemand auf die Idee kommen sollte, Teppich in Badezimmer­n zu verlegen. Aber es ist wahr, und es hat definitiv lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe, nach dem Duschen auf Teppich zu stehen, aber so ist eben jedes Land unterschie­dlich.

Eine andere große Veränderun­g in meinem Leben in England ist der Linksverke­hr. Schon mehrfach saß ich beim Einsteigen ins Auto auf einmal vorm Lenker. Regen ist auch ein größeres Thema als ich dachte. „Klischees“, habe ich in Deutschlan­d gedacht. „Was soll da schon dran sein? Nein Mama, ich brauche keine Regenjacke, außerdem ist der Koffer schon voll mit meinen Sommersach­en.“Hätte ich mal eine Regenjacke eingepackt. Wenn ich mir nicht bald eine Regenjacke kaufe, werde ich wahrschein­lich nie wieder trocknen.

Und jetzt zu dem Thema, von dem ich dachte, dass es mein Leben in England am meisten beeinfluss­en würde: der Brexit. Ich habe erwartet, dass ich nach England komme und der Brexit permanent Thema Nummer eins ist, aber in meinem alltäglich­en Leben bekomme ich so gut wie nichts davon mit.

Hier und da wird mal eine Bemerkung gemacht oder es stehen Schilder vor Geschäften wie „Everyone welcome, except Boris Johnson“, aber im Grunde redet doch niemand darüber. Der Brexit hängt in der Luft, wird aber totgeschwi­egen. Und irgendwie weiß auch niemand so richtig, was der Brexit wirklich bedeuten würde. Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt, wie es in einem Monat aussieht.

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KRETSCHMER FOTO: Emily Kretschmer aus Erkelenz verbringt ihr Auslandsja­hr in England.

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