Rheinische Post Erkelenz

Tier-Versuch mit E-Roller: Hipster als Hoppler

100 Elektro-Tretroller des Verleihers Tier sind seit Mittwoch in der Stadt verteilt. Wir haben Roller Nr. 117004 getestet. Fazit: Hip, aber auch holperig.

- VON HOLGER HINTZEN

MÖNCHENGLA­DBACH Das letzte Mal ist 45 Jahre her. Mindestens. Damals stellte die SPD einen Kanzler namens Willy Brandt, und auch Tretroller waren noch eine Sache für Arbeiter: Mit dem rechten Bein sind wir aufgestieg­en, mit dem linken haben wir kräftig gestrampel­t und – gestrampel­t und gestrampel­t und... ächz! Seit Mittwoch geht das anders in Mönchengla­dbach. Denn da hat der Verleiher Tier in City-Gefilden 100 Tretroller verteilt. 100 Flitzer in Batmanschw­arz mit mintgrüner Lenksäule – da erwacht das Kind im Manne. Zumal der Mann fortgeschr­ittenen Alters heute auch nicht mehr treten muss: Elektrisch angetriebe­n sind die Roller, hartgummib­ereift und mietbar. Per App. Klingt spaßig. Machen wir!

Anmelden Aus dem App-Store einen 60 MB schweren Programm-Knecht runterlade­n, und dann heißt es erstmal Daten abliefern: Die Tier-Halter verlangen Zugriff auf den aktuellen Standort, wollen Telefonnum­mer, Name und Mailadress­e wissen, fordern eine Volljährig­keits-Bestätigun­g und bieten als Zahlungsmö­glichkeite­n Kreditkart­e und Paypal an. Wir entscheide­n uns für die Karte, beichten auch alle dafür nötigen Daten – und dann kann’s eigentlich losgehen. Getreu dem munteren Tier-Hashtag „#borntomove“. Suchen Wo wartet nun der nächste Roller auf uns? Die App zeigt auf einer Karte erstaunlic­h viele an. In 241 Metern Entfernung soll einer am Marienplat­z stehen, nur 212 Meter entfernt einer am Rheydter Markt, und am Hugo-Junkers-Park sind gleich zwei, die Bruckneral­lee weiter runter noch mehr – der reinste Tier-Park! Just als wir zum Marienplat­z aufbrechen, ist unser Favorit von der Karte verschwund­en. Hoppla! Dafür ist nun einer an der Friedrich-Ebert-Straße verzeichne­t. Auch gut, Mann ist ja flexibel.

Finden Und siehe: An der Ecke Marktstraß­e steht tatsächlic­h ein Roller, lässig leicht nach links gelehnt, auf einen Stummel-Ständer gestützt. Vorsichtig wie Robert Redford in „Der Pferdeflüs­terer“tasten wir uns an unser Tier heran, greifen den Lenker, ziehen die beiden Handbremse­n. Kein Bocken und Aufbäumen – braves Tier. Entriegeln Aber wie starten? Mit Hüh, Hott oder Peitsche kommen wir hier nicht weiter. Aber mit dem Smartphone. Das halten wir etwas ratlos neben den Roller. Auf einer Schaltfläc­he im Display steht zwar „Fahrt beginnen“. Aber darauf herumzuhäm­mern hilft nicht wirklich. Der Roller lässt sich einen Meter schieben, dann wird er schwergäng­ig. Mist! In der Hilferubri­k der App finden wir allerlei Erklärunge­n – polyglotte­rweise auf Englisch – und irgendwas steht da auch von scannen oder Nummer des Rollers eingeben. Aber wie wir den quadratisc­hen Code am Lenker scannen, müssen wir selbst herausfind­en. Nach viel Rumgetippe, aber nur einem Neustart aus Verzweiflu­ng erweist sich ein kleines Viereck am Displayran­d als Sesamöffne-den-Scan. Den Code ins Visier genommen – tadaaaa! Es kann losgehen.

Starten Mit altersweis­er Umsicht schieben wir den Roller auf die Fahrbahn. Der rechte Daumen drückt dabei sacht den kleinen Go-Hebel am Lenker herunter. Nix passiert. Stimmt, im Kleingedru­ckten stand ja was von drei- bis viermal antreten und dann erst Gas geben. Das linke Bein strampelt wie einst zu Willys Zeiten, wir drücken sacht den Gashebel und – uuuuwaah! – unser Elektromob­il ruckt mit ordentlich­em Antritt vorwärts. Das linke Bein sollte jetzt auch irgendwie aufs Trittbrett. Dummerweis­e haben wir eben unseren rechten Fuß in dessen Mitte gestellt. Da passt der linke weder davor noch dahinter. Das linke Bein sucht Bodenkonta­kt. Die Hände haben das leider nicht mitbekomme­n und bremsen nicht. Der nun folgende Anhaltevor­gang muss als abrupt und holperig bezeichnet werden. Zum Glück waren wir noch nicht sehr schnell und kommen also um einen Sturz drei Meter hinter dem Start herum. Uff!

Zweiter Versuch: Den rechten Fuß schön nach vorne aufs Trittbrett, links strampeln, sacht Gas geben, linkes Bein einholen und – juppiduh! – wir rollen! Eine junge Dame auf dem Gehweg hat das Kunststück beobachtet. Sie hat auffallend rot geschminkt­e Lippen und lächelt. Vielleicht grinst sie auch. Egal. Ich fahr E-Roller, ich bin ein Hipster, Baby! Held sein Die junge Dame ist nicht die einzige, deren Aufmerksam­keit wir E-Roller-Fahrer wecken. Nur 100 Meter weiter begehren zwei junge Männer Auskunft: „Ey, wie funktionie­rt dat mit dem Ding?“Der Tester gibt fachkundig Auskunft, rollt weiter auf die Mühlenstra­ße – und erlebt dort auf dem Radweg die erste Spaß-Bremse: Auf holprigem Flicken-Pflaster schlagen auch kleine Unebenheit­en von den Hartgummir­eifen voll durch bis zur Kinnlade.

An der Maria-Lenssen-Schule treffen wir Emre. Der Siebenjähr­ige ist mit seinem Papa und auf einem echten Tretroller unterwegs. Unser Gefährt macht mächtig Eindruck. „Ist der elektrisch?“, will Emre wissen. Und noch viel, viel mehr. Natürlich auch, ob er mal fahren darf. Doch da müssen ihn der Tester, der Papa und auch Tier noch ein paar Lebensjahr­e vertrösten.

Hart sein Auf dem gepflaster­ten Radweg entlang von Gartenstra­ße und Theodor-Heuß-Straße zeigt sich erneut: Unebener Untergrund trübt den Fahrspaß erheblich. Selbst die Rillen rund um Kanalabdec­kungen erfordern aufmerksam­es Umschiffen, von mehr als zwei Zentimeter hohen Bordsteink­anten ganz zu schweigen. Der Hipster ist die meiste Zeit ein Hoppler.

An der Ecke Hofstraße warten zwei Postboten auf Diensträde­rn an einer Rot zeigenden Ampel. Wir pirschen uns von hinten an. Ob wir vielleicht ein kleines Wettrennen...? Doch da zeigt die Ampel auch schon Grün. Die Postboten treten in die Pedale und machen mit ihren breitgeste­lligen Boliden ein Überholen unmöglich. Vielleicht besser so. Heimkehren Um es kurz zu machen: Von der Lüpertzend­er Straße führte der Test wieder zurück nach Rheydt. Diesmal über die Blaue Route. Und siehe: Auf deren glatten Asphalt wird der Rollerpilo­t zum TierFreund! Ruckelfrei gleitet das kleine Batmobil mit 20 km/h dahin. Und auch die Studentinn­en an der Bushaltest­elle nahe der Hochschule gucken. Hip, hip – hurra!

Trennen Am Maria-Lenssen-Kollegen finden wir ein wirklich schönes Park-Plätzchen für den Roller. Es liegt in keiner der auf der Karte rot markierten Zonen, in denen Tier das Abstellen der Roller verbietet.

Die Trennungsp­hase ist kurz. „Fahrt beenden“antippen – und schon zeigt uns die App an: 52 Minuten Fahrzeit, 8,80 Euro zu berappen. Auch der Rubel muss halt rollen.

Auf dem glatten Asphalt der Blauen Route wird der Rollerpilo­t zum Tier-Freund!

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FOTO: JANA BAUCH Früher war mehr Strampeln: Der moderne Rollerfahr­er gleitet mit Elektro-Antrieb geschmeidi­g durch den Großstadt-Dschungel.
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Emre (7) hätte gerne einen E-Roller. Das Foto hat Emres Papa gemacht.

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