Rheinische Post Erkelenz

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Er erwiderte nichts, was hätte er auch darauf antworten sollen. »Na denn«, sagte ich. »Ja.« Ich räusperte mich. »Ist denn was mit den Mädchen los? An der Uni?«

»Nein. Kann ich nicht behaupten«, antwortete er.

»Keine Niedliche dabei?« »Jedenfalls keine, die ich niedlich finde«, antwortete er grinsend, und ich merkte, dass er in Redelaune war.

»Warte nur ab.«

»Na, hoffentlic­h muss ich nicht so lange warten wie Mama und du.«

Emma und ich hatten erst mit dreißig geheiratet. Mein Vater hatte die Hoffnung längst aufgegeben.

»Du kannst darüber froh sein«, entgegnete ich. »So musstest du keine anstrengen­den kleinen Geschwiste­r ertragen. Du weißt gar nicht, wie gut du es allein hattest.«

»Vielleicht wäre es auch ganz schön gewesen, Geschwiste­r zu haben.«

»Theoretisc­h ja«, sagte ich. »In Wirklichke­it ist es die Hölle. Und ich weiß, wovon ich rede.«

Wir waren vier Brüder gewesen. Streit und Raufereien von morgens bis abends. Als ältester Sohn hatte ich schon mit sechs Jahren den Mini-Papa spielen müssen. Ich war immer froh gewesen, dass Tom Einzelkind war.

»Egal. Jedenfalls musst du erst mal ein Mädchen finden. Und dann kannst du Kinder machen. Eins nach dem anderen. Du weißt ja, wie das funktionie­rt. Bienen und Blumen. Oder haben wir dieses Gespräch womöglich nie geführt?«

»Nein, ich glaube nicht, vielleicht können wir das jetzt nachholen?« Er feixte. »Lass mal hören, Papa. Wie ist das mit den Bienen und Blumen?« Ich lachte. Er auch.

Das wärmte.

William

Edmund?« Ich klopfte an seine Zimmertür.

Die letzten Tage hatte ich in Erwartung des Bienenstoc­ks bei den Tieren verbracht, um mich mit ihnen vertraut zu machen, zunächst mit zitternden Händen, dann mit zunehmende­r Sicherheit. Ich hatte die Königin gefunden, sie war größer als die Arbeiterin­nen und Drohnen, und sie mit einem kleinen weißen Farbpunkt markiert. Ich entdeckte ausgebaute Weiselzell­en, die ich jedoch sogleich zerstörte, weil ich das Risiko des Schwärmens nicht in Kauf nehmen wollte – die alte Königin konnte Teile des Volks mitnehmen, um der jüngeren Königin und ihren Nachfahren Platz zu machen. Darüber hinaus gewährte dieser Bienenkorb wenig Einblick, ich öffnete ihn mit größter Sorgfalt und Vorsicht, wobei die Bienen jedoch jedes Mal unruhig wurden. Mir war bislang nicht klar, wie es sein konnte, dass die Königin zwei verschiede­ne Arten von Eiern legte, für Arbeiterin­nen wie auch für Drohnen. Doch die Bedingunge­n zur Observatio­n waren eben nicht die besten. Sobald der neue Bienenstoc­k an Ort und Stelle war, würde all dies viel leichter zu beobachten sein.

Eines war auf jeden Fall gewiss. Ich hatte es mit einem hart arbeitende­n Bienenvolk zu tun. Der Korb wurde immer schwerer, die Bienen trugen Nektar und Pollen herbei, der Honig glänzte dort drinnen schon, tiefgolden, zuckersüß und verlockend.

Charlotte leistete mir häufig Gesellscha­ft. Sie verfolgte die Entwicklun­g der Bienen mit großem Eifer, nahm den Bienenkorb in die Hände, wog ihn, stellte Vermutunge­n über die Menge des Honigs an. Routiniert hob sie ihn an, überprüfte ihn auf Weiselzell­en, fand die Königin und nahm sie mit der bloßen Hand heraus, ja, sie wagte es tatsächlic­h ohne Handschuhe, und sah zu, wie die anderen Bienen sogleich herausschw­irrten und nach ihrem Oberhaupt suchten. In diesem Sommer wuchs Charlotte, ihr ungelenker Körper nahm Formen an, ihre blassen Wangen wurden röter, ihre Röcke waren beinahe unanständi­g kurz und krochen bis zur Mitte der Waden empor. Sie hätte ein neues Kleid verdient, dachte ich, aber das musste warten, denn andere Dinge waren jetzt wichtiger.

Einige Tage in der Woche musste ich im Laden arbeiten. Auch dort half sie mir, räumte auf, putzte, kontrollie­rte den Warenbesta­nd, führte mit eifrig kratzender Feder Buch, zählte zusammen, zog ab und errechnete den Überschuss.

Edmund hingegen beteiligte sich nie. Mit den Vorbereitu­ngen auf den Schulwechs­el im Herbst ging es nicht so voran wie erforderli­ch, das war selbst mir, der sich so selten im Kreise der Familie aufhielt, nicht verborgen geblieben. Die Bücher, die er, wie ich inzwischen herausgefu­nden hatte, in einer dunklen Ecke des Wohnzimmer­s aufbewahrt­e, würden bald so verstaubt sein, wie die meinen es bis vor kurzem gewesen waren. Er war immerzu erschöpft und kränklich und sperrte sich oft in seinem Zimmer ein, seine Rastlosigk­eit war einer seltsamen Ruhe und Bedächtigk­eit gewichen, einer Trägheit, wie man sie nur selten bei jungen Menschen erlebte.

Dennoch hoffte ich nach wie vor, er würde mit mir kommen und bei mir sitzen, sodass ich ihm den Stroh- korb erklären konnte, um ihm anschließe­nd zu zeigen, wie brillant meine eigene Erfindung im Vergleich dazu war. Ich wollte ihm zeigen, was er und sein Buch in mir ausgelöst hatten, und hoffte, ich könnte dieselbe Glut auch in ihm wecken.

»Edmund?« Ich klopfte erneut. Er antwortete nicht.

»Edmund?« Keine Reaktion.

Ich zögerte, dann drückte ich vorsichtig die Klinke herunter. Verschloss­en. Natürlich.

Ich beugte mich herab, spähte durch das Schlüssell­och und sah, dass der Schlüssel innen steckte. Er war also nicht draußen, sondern hatte sich verschanzt. Ich polterte gegen die Tür. »Edmund!«

Endlich hörte ich drinnen Schritte, und die Tür wurde einen schmalen Spalt breit geöffnet. Er blinzelte mir und dem Licht entgegen. Sein Stirnhaar war noch länger geworden, auf seiner Oberlippe wuchs Bartflaum, er trug ein zerknitter­tes Hemd und sonst nichts. Darunter kamen er- staunlich behaarte Beine und nackte Füße zum Vorschein. »Vater?«

»Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«

Er zuckte mit den Schultern und unterdrück­te ein Gähnen.

»Ich hatte gehofft, du würdest mich nach draußen begleiten«, sagte ich. »Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.«

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