Die Geschichte der Bienen
Er erwiderte nichts, was hätte er auch darauf antworten sollen. »Na denn«, sagte ich. »Ja.« Ich räusperte mich. »Ist denn was mit den Mädchen los? An der Uni?«
»Nein. Kann ich nicht behaupten«, antwortete er.
»Keine Niedliche dabei?« »Jedenfalls keine, die ich niedlich finde«, antwortete er grinsend, und ich merkte, dass er in Redelaune war.
»Warte nur ab.«
»Na, hoffentlich muss ich nicht so lange warten wie Mama und du.«
Emma und ich hatten erst mit dreißig geheiratet. Mein Vater hatte die Hoffnung längst aufgegeben.
»Du kannst darüber froh sein«, entgegnete ich. »So musstest du keine anstrengenden kleinen Geschwister ertragen. Du weißt gar nicht, wie gut du es allein hattest.«
»Vielleicht wäre es auch ganz schön gewesen, Geschwister zu haben.«
»Theoretisch ja«, sagte ich. »In Wirklichkeit ist es die Hölle. Und ich weiß, wovon ich rede.«
Wir waren vier Brüder gewesen. Streit und Raufereien von morgens bis abends. Als ältester Sohn hatte ich schon mit sechs Jahren den Mini-Papa spielen müssen. Ich war immer froh gewesen, dass Tom Einzelkind war.
»Egal. Jedenfalls musst du erst mal ein Mädchen finden. Und dann kannst du Kinder machen. Eins nach dem anderen. Du weißt ja, wie das funktioniert. Bienen und Blumen. Oder haben wir dieses Gespräch womöglich nie geführt?«
»Nein, ich glaube nicht, vielleicht können wir das jetzt nachholen?« Er feixte. »Lass mal hören, Papa. Wie ist das mit den Bienen und Blumen?« Ich lachte. Er auch.
Das wärmte.
William
Edmund?« Ich klopfte an seine Zimmertür.
Die letzten Tage hatte ich in Erwartung des Bienenstocks bei den Tieren verbracht, um mich mit ihnen vertraut zu machen, zunächst mit zitternden Händen, dann mit zunehmender Sicherheit. Ich hatte die Königin gefunden, sie war größer als die Arbeiterinnen und Drohnen, und sie mit einem kleinen weißen Farbpunkt markiert. Ich entdeckte ausgebaute Weiselzellen, die ich jedoch sogleich zerstörte, weil ich das Risiko des Schwärmens nicht in Kauf nehmen wollte – die alte Königin konnte Teile des Volks mitnehmen, um der jüngeren Königin und ihren Nachfahren Platz zu machen. Darüber hinaus gewährte dieser Bienenkorb wenig Einblick, ich öffnete ihn mit größter Sorgfalt und Vorsicht, wobei die Bienen jedoch jedes Mal unruhig wurden. Mir war bislang nicht klar, wie es sein konnte, dass die Königin zwei verschiedene Arten von Eiern legte, für Arbeiterinnen wie auch für Drohnen. Doch die Bedingungen zur Observation waren eben nicht die besten. Sobald der neue Bienenstock an Ort und Stelle war, würde all dies viel leichter zu beobachten sein.
Eines war auf jeden Fall gewiss. Ich hatte es mit einem hart arbeitenden Bienenvolk zu tun. Der Korb wurde immer schwerer, die Bienen trugen Nektar und Pollen herbei, der Honig glänzte dort drinnen schon, tiefgolden, zuckersüß und verlockend.
Charlotte leistete mir häufig Gesellschaft. Sie verfolgte die Entwicklung der Bienen mit großem Eifer, nahm den Bienenkorb in die Hände, wog ihn, stellte Vermutungen über die Menge des Honigs an. Routiniert hob sie ihn an, überprüfte ihn auf Weiselzellen, fand die Königin und nahm sie mit der bloßen Hand heraus, ja, sie wagte es tatsächlich ohne Handschuhe, und sah zu, wie die anderen Bienen sogleich herausschwirrten und nach ihrem Oberhaupt suchten. In diesem Sommer wuchs Charlotte, ihr ungelenker Körper nahm Formen an, ihre blassen Wangen wurden röter, ihre Röcke waren beinahe unanständig kurz und krochen bis zur Mitte der Waden empor. Sie hätte ein neues Kleid verdient, dachte ich, aber das musste warten, denn andere Dinge waren jetzt wichtiger.
Einige Tage in der Woche musste ich im Laden arbeiten. Auch dort half sie mir, räumte auf, putzte, kontrollierte den Warenbestand, führte mit eifrig kratzender Feder Buch, zählte zusammen, zog ab und errechnete den Überschuss.
Edmund hingegen beteiligte sich nie. Mit den Vorbereitungen auf den Schulwechsel im Herbst ging es nicht so voran wie erforderlich, das war selbst mir, der sich so selten im Kreise der Familie aufhielt, nicht verborgen geblieben. Die Bücher, die er, wie ich inzwischen herausgefunden hatte, in einer dunklen Ecke des Wohnzimmers aufbewahrte, würden bald so verstaubt sein, wie die meinen es bis vor kurzem gewesen waren. Er war immerzu erschöpft und kränklich und sperrte sich oft in seinem Zimmer ein, seine Rastlosigkeit war einer seltsamen Ruhe und Bedächtigkeit gewichen, einer Trägheit, wie man sie nur selten bei jungen Menschen erlebte.
Dennoch hoffte ich nach wie vor, er würde mit mir kommen und bei mir sitzen, sodass ich ihm den Stroh- korb erklären konnte, um ihm anschließend zu zeigen, wie brillant meine eigene Erfindung im Vergleich dazu war. Ich wollte ihm zeigen, was er und sein Buch in mir ausgelöst hatten, und hoffte, ich könnte dieselbe Glut auch in ihm wecken.
»Edmund?« Ich klopfte erneut. Er antwortete nicht.
»Edmund?« Keine Reaktion.
Ich zögerte, dann drückte ich vorsichtig die Klinke herunter. Verschlossen. Natürlich.
Ich beugte mich herab, spähte durch das Schlüsselloch und sah, dass der Schlüssel innen steckte. Er war also nicht draußen, sondern hatte sich verschanzt. Ich polterte gegen die Tür. »Edmund!«
Endlich hörte ich drinnen Schritte, und die Tür wurde einen schmalen Spalt breit geöffnet. Er blinzelte mir und dem Licht entgegen. Sein Stirnhaar war noch länger geworden, auf seiner Oberlippe wuchs Bartflaum, er trug ein zerknittertes Hemd und sonst nichts. Darunter kamen er- staunlich behaarte Beine und nackte Füße zum Vorschein. »Vater?«
»Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
Er zuckte mit den Schultern und unterdrückte ein Gähnen.
»Ich hatte gehofft, du würdest mich nach draußen begleiten«, sagte ich. »Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.«