Nagelsmann – der älteste junge Trainer der Bundesliga
Der Coach von RB Leipzig ist ein selbstbewusster Mann. An neuer Wirkungsstätte muss er beweisen, ob er so gut ist wie seine Selbsteinschätzung.
LEIPZIG/DÜSSELDORF Mit Prüfungen kennt Julian Nagelsmann sich aus. Er hat die Fachhochschulreife erworben und einen Bachelor-Grad in Sport und angewandter Trainingslehre. Mitten im Alltag als Cheftrainer der TSG Hoffenheim schloss er seine Ausbildung zum Fußballlehrer ab (Abschlussnote 1,3). Und als Coach von RB Leipzig steht er seit dem Sommer in einem dauerhaften Examen. Prüfungsthema: Ist der Trainer Julian Nagelsmann so gut, wie er selbst glaubt? Erste Antwort: Kann durchaus sein.
Weitere Hinweise auf Nagelsmanns Klasse gab am Mittwoch das Champions-League-Spiel gegen Zenit St. Petersburg. Nach einer zähen ersten Hälfte, die in einen 0:1-Rückstand mündete, änderte der Trainer das System. Statt Doppelpass-Orgien durch die Mitte, die St. Petersburgs massierte Deckung blockiert hatte, ordnete er schnelles Spiel über die Flügel an. Seine Außenspieler hielten stur die Positionen an der Linie, und die Breite gab Leipzig Entfaltungsmöglichkeiten. Die Staffelung im Mittelfeld wurde verbessert, und die Räume für die Russen wurden enger. Lohn der Arbeit: ein 2:1-Erfolg, der am Ende auch durch sehr vernünftige Ballpassagen abgesichert wurde.
Das ist ein neues Element in der Fußballschule des Sport- und Limonade-Konzerns. Nagelsmann ist angetreten, den Überfallfußball seines Vorgängers Ralf Rangnick mit Elementen der Ballkontrolle durch eher friedliches Kombinieren zu versöhnen. Er sieht sich dazu natürlich in der Lage. Und er ist auch nicht zu bang, diesen Anspruch mit fröhlichem Selbstbewusstsein zu formulieren. „Die richtig guten Trainer schaffen es, ihren eigenen Plan mit dem des Vereins zu kombinieren und daraus Erfolg zu machen“, hat er im Sommer gesagt, „selbst wenn sich beide Pläne zu widersprechen scheinen.“Die richtig guten Trainer.
Im Spiel gegen St. Petersburg kam er diesem Ziel nah, zumindest nach seiner in dieser Hinsicht maßgeblichen Ansicht. „Wir haben heute einen großen Schritt gemacht, was das Fußballerische angeht“, stellte Nagelsmann fest. Und er durfte darauf zeigen, dass sein junges Team trotz des Rückstands in einer für den weiteren Verlauf der Champions League schon wegweisenden Partie nicht in jugendliche Panik verfallen war.
Schon zum Auftakt in die Meisterklasse hatte seine Mannschaft beim 2:1-Sieg bei Benfica Lissabon eine ziemlich erwachsene Vorstellung hingelegt. Das verführte viele Beobachter zu der Annahme, Leipzig sei mit Nagelsmann bereits den größten Entwicklungsschritt gegangen.
So weit war es noch nicht, wie auch die zurückliegenden Bundesliga-Ergebnisse und Punktverluste in Heimspielen gegen Schalke 04 (1:3) und den VfL Wolfsburg (1:1) bewiesen. Nagelsmanns Selbstbewusstsein nimmt durch derartige Rückschläge keinen Schaden. Das war bereits zu erkennen, als der weiland jüngste Bundesliga-Cheftrainer aller Zeiten mit 28 Jahren Hoffenheims
Team mit einem erstaunlich ästhetischen Fußballansatz vor dem drohenden Abstieg rettete. Er überzeugte ein Team, in dem zahlreiche Spieler standen, die älter waren als er selbst. Und er offenbarte auch in seinen öffentlichen Auftritten eine Sicherheit, die ihm schnell den Vorwurf eintrug, ein arrogantes
Kerlchen zu sein.
Das prallt an ihm ab. Er hat auch eine Erklärung dafür. „Wer sieht, wie ich bin“, sagte er der „Welt“, „kommt zu einem anderen Ergebnis. Ich habe Selbstvertrauen und bin überzeugt von meinen Ideen. Wenn Sie in der Bundesliga arbeiten wollen, müssen Sie das sein, sonst können
Sie nach zwei, drei Tagen die Heimreise antreten.“
Niemand hat ihn bislang heimgeschickt. Im Gegenteil. Spätestens, als er Hoffenheim in die Champions League geführt hatte, wurde Nagelsmann ein Kandidat für die ganz Großen. Sogar Real Madrid fragte ernsthaft an, ob sich der junge Mann mit der Überzeugungskraft eines alten Hasen eine Zusammenarbeit vorstellen könne. Nagelsmann fühlte sich selbstverständlich sehr geehrt, sagte aber ab. Dieser Sprung passte nicht in seine Lebensplanung. Dass es später passen könnte, schließt er aber nicht aus. „Wenn meine Karriere einigermaßen verläuft, bietet sich vielleicht noch einmal die Gelegenheit, einen Verein dieser Kategorie zu übernehmen“, erklärte er.
Bis dahin muss er noch eine Reihe größerer Taten für sich sprechen lassen. Und er muss, das zumindest ist die Meinung von Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß, „älter werden“. Das geht von selbst, auch wenn Nagelsmann längst älter wirkt, als er ist – nämlich erst 32.