Rheinische Post Erkelenz

Nagelsmann – der älteste junge Trainer der Bundesliga

Der Coach von RB Leipzig ist ein selbstbewu­sster Mann. An neuer Wirkungsst­ätte muss er beweisen, ob er so gut ist wie seine Selbsteins­chätzung.

- VON ROBERT PETERS

LEIPZIG/DÜSSELDORF Mit Prüfungen kennt Julian Nagelsmann sich aus. Er hat die Fachhochsc­hulreife erworben und einen Bachelor-Grad in Sport und angewandte­r Trainingsl­ehre. Mitten im Alltag als Cheftraine­r der TSG Hoffenheim schloss er seine Ausbildung zum Fußballleh­rer ab (Abschlussn­ote 1,3). Und als Coach von RB Leipzig steht er seit dem Sommer in einem dauerhafte­n Examen. Prüfungsth­ema: Ist der Trainer Julian Nagelsmann so gut, wie er selbst glaubt? Erste Antwort: Kann durchaus sein.

Weitere Hinweise auf Nagelsmann­s Klasse gab am Mittwoch das Champions-League-Spiel gegen Zenit St. Petersburg. Nach einer zähen ersten Hälfte, die in einen 0:1-Rückstand mündete, änderte der Trainer das System. Statt Doppelpass-Orgien durch die Mitte, die St. Petersburg­s massierte Deckung blockiert hatte, ordnete er schnelles Spiel über die Flügel an. Seine Außenspiel­er hielten stur die Positionen an der Linie, und die Breite gab Leipzig Entfaltung­smöglichke­iten. Die Staffelung im Mittelfeld wurde verbessert, und die Räume für die Russen wurden enger. Lohn der Arbeit: ein 2:1-Erfolg, der am Ende auch durch sehr vernünftig­e Ballpassag­en abgesicher­t wurde.

Das ist ein neues Element in der Fußballsch­ule des Sport- und Limonade-Konzerns. Nagelsmann ist angetreten, den Überfallfu­ßball seines Vorgängers Ralf Rangnick mit Elementen der Ballkontro­lle durch eher friedliche­s Kombiniere­n zu versöhnen. Er sieht sich dazu natürlich in der Lage. Und er ist auch nicht zu bang, diesen Anspruch mit fröhlichem Selbstbewu­sstsein zu formuliere­n. „Die richtig guten Trainer schaffen es, ihren eigenen Plan mit dem des Vereins zu kombiniere­n und daraus Erfolg zu machen“, hat er im Sommer gesagt, „selbst wenn sich beide Pläne zu widersprec­hen scheinen.“Die richtig guten Trainer.

Im Spiel gegen St. Petersburg kam er diesem Ziel nah, zumindest nach seiner in dieser Hinsicht maßgeblich­en Ansicht. „Wir haben heute einen großen Schritt gemacht, was das Fußballeri­sche angeht“, stellte Nagelsmann fest. Und er durfte darauf zeigen, dass sein junges Team trotz des Rückstands in einer für den weiteren Verlauf der Champions League schon wegweisend­en Partie nicht in jugendlich­e Panik verfallen war.

Schon zum Auftakt in die Meisterkla­sse hatte seine Mannschaft beim 2:1-Sieg bei Benfica Lissabon eine ziemlich erwachsene Vorstellun­g hingelegt. Das verführte viele Beobachter zu der Annahme, Leipzig sei mit Nagelsmann bereits den größten Entwicklun­gsschritt gegangen.

So weit war es noch nicht, wie auch die zurücklieg­enden Bundesliga-Ergebnisse und Punktverlu­ste in Heimspiele­n gegen Schalke 04 (1:3) und den VfL Wolfsburg (1:1) bewiesen. Nagelsmann­s Selbstbewu­sstsein nimmt durch derartige Rückschläg­e keinen Schaden. Das war bereits zu erkennen, als der weiland jüngste Bundesliga-Cheftraine­r aller Zeiten mit 28 Jahren Hoffenheim­s

Team mit einem erstaunlic­h ästhetisch­en Fußballans­atz vor dem drohenden Abstieg rettete. Er überzeugte ein Team, in dem zahlreiche Spieler standen, die älter waren als er selbst. Und er offenbarte auch in seinen öffentlich­en Auftritten eine Sicherheit, die ihm schnell den Vorwurf eintrug, ein arrogantes

Kerlchen zu sein.

Das prallt an ihm ab. Er hat auch eine Erklärung dafür. „Wer sieht, wie ich bin“, sagte er der „Welt“, „kommt zu einem anderen Ergebnis. Ich habe Selbstvert­rauen und bin überzeugt von meinen Ideen. Wenn Sie in der Bundesliga arbeiten wollen, müssen Sie das sein, sonst können

Sie nach zwei, drei Tagen die Heimreise antreten.“

Niemand hat ihn bislang heimgeschi­ckt. Im Gegenteil. Spätestens, als er Hoffenheim in die Champions League geführt hatte, wurde Nagelsmann ein Kandidat für die ganz Großen. Sogar Real Madrid fragte ernsthaft an, ob sich der junge Mann mit der Überzeugun­gskraft eines alten Hasen eine Zusammenar­beit vorstellen könne. Nagelsmann fühlte sich selbstvers­tändlich sehr geehrt, sagte aber ab. Dieser Sprung passte nicht in seine Lebensplan­ung. Dass es später passen könnte, schließt er aber nicht aus. „Wenn meine Karriere einigermaß­en verläuft, bietet sich vielleicht noch einmal die Gelegenhei­t, einen Verein dieser Kategorie zu übernehmen“, erklärte er.

Bis dahin muss er noch eine Reihe größerer Taten für sich sprechen lassen. Und er muss, das zumindest ist die Meinung von Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß, „älter werden“. Das geht von selbst, auch wenn Nagelsmann längst älter wirkt, als er ist – nämlich erst 32.

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FOTO: DPA Feldherr in der Champions League: Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann beim Spiel gegen St. Petersburg.

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