Rheinische Post Erkelenz

US-Soldaten bleiben doch teilweise in Syrien

Nach dem Abzug ihrer Truppen aus Nordsyrien haben die USA überrasche­nd angekündig­t, zusätzlich­e Militärkrä­fte in den Osten des Landes zu schicken. Ölfelder sollen nicht wieder in die Hände des Islamische­n Staats fallen.

- VON FRANK NORDHAUSEN

DAMASKUS Viele Beobachter rieben sich ungläubig die Augen, als US-Präsident Donald Trump am Mittwoch twitterte, dass es den Vereinigte­n Staaten gelungen sei, „das Öl in Syrien zu sichern“. Die Erdölquell­en im Nordosten des Landes hatten vorher für ihn praktisch keine Rolle gespielt. Doch als Trump nachlegte und in einem Tweet schrieb, trotz des angeordnet­en Abzugs der rund 1000 US-Truppen aus Syrien würde „eine kleine Zahl“, rund 200 bis 300 Soldaten, dort bleiben, um die Ölquellen vor der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) zu schützen, wurde klar, dass er es ernst meinte. Das US-Verteidigu­ngsministe­rium bestätigte am Donnerstag, man werde zusätzlich­e Truppen nach Syrien auf die Ölfelder verlegen, um in Koordinati­on mit den kurdisch dominierte­n Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) zu verhindern, dass sie „in die Hände des IS oder anderer destabilis­ierender Akteure fallen“.

Der US-Präsident hatte seine Truppen in Syrien vor knapp drei Wochen aus der Grenzregio­n zur Türkei abgezogen und Ankara damit grünes Licht für eine Offensive gegen die Kurdenmili­z YPG erteilt. Die YPG ist die dominieren­de Kraft in den SDF, wird von der Türkei wegen ihrer Verbindung zur verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK als Terrororga­nisation betrachtet, war aber engster Verbündete­r der USA gegen den IS. Wie kam es zu dem neuerliche­n Umschwung? Wie der US-Sender NBC berichtete, hätten der republikan­ische Senator Lindsay Graham und Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper den Präsidente­n überzeugt, indem sie ihm Karten mit den syrischen Ölfeldern vorlegten und das „nationale Sicherheit­sinteresse“betonten. Der Einsatz bietet dem Pentagon die Chance, wenigstens eine Reststreit­macht im Land zu halten.

Mit seiner jüngsten Kehrtwende hat Trump den US-Rückzug gestoppt und die verstoßene SDF wieder zum Bundesgeno­ssen erhoben. Am Donnerstag lud er nicht nur den SDF-Chef Maslum Abdi telefonisc­h nach Washington ein, sondern rief den Kurden auch auf Twitter zu: „Vielleicht ist es Zeit für die Kurden, sich auf den Weg in die Ölregion zu machen!“. Den USA sei das Öl offenbar „wichtiger als ihre Verbündete­n“,

twitterten syrisch-kurdische Offizielle konsternie­rt. Der frühere US-Syriengesa­ndte Brett McGurk schrieb: „Der US-Präsident scheint eine Massenmigr­ation von Kurden in die Wüste zu fordern, wo sie sich auf einem winzigen Ölfeld niederlass­en können. Schockiere­nde Unkenntnis von Geschichte, Geographie, Recht, amerikanis­chen Werten, menschlich­em Anstand und Ehre.“

Anders als Trump annimmt, kontrollie­ren die Kurden als wichtigste­r Teil der SDF längst die bedeutends­ten syrischen Ölfelder zwischen den Städten Hassaka und Deir asSour. Syriens Rohölprodu­ktion betrug nach Angaben des US-Energiemin­isteriums vor dem Bürgerkrie­g rund 600.000 Barrel pro Tag, sank aber während der dreijährig­en

IS-Kontrolle der Region Deir as-Sour und danach auf rund 30.000 Barrel. Insgesamt sind die Ölvorkomme­n gering im Vergleich zum Irak oder Saudi-Arabien, das über mehr als die hundertfac­he Menge verfügt. Die zerstörten Anlagen wieder aufzubauen, dauert vermutlich Jahre und kostet Milliarden.

Die kurdischen YPG-Streitkräf­te hatten 2012 zunächst kleinere Ölfelder in der Provinz Hassaka erobert, nachdem syrische Regierungs­truppen aus den meisten Kurdenregi­onen abgezogen waren. 2015 brachte der IS die weit rentablere­n Ölfelder in Deir as-Sour unter seine Kontrolle. Die Dschihadis­ten transporti­erten das Öl in die Türkei – direkt über die Grenze oder über den Nordirak. Nach dem Zerwürfnis Ankaras mit Moskau im November 2015 beschuldig­te der Kreml den türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, mit seiner Familie in den illegalen Ölhandel verwickelt zu sein. Ein Jahr später enthüllten türkische Hacker abgefangen­e E-Mails von Erdogans Schwiegers­ohn und jetzigem türkischen Finanzmini­ster Berat Albayrak, wonach er als Chef der Calik-Holding das lukrative Ölgeschäft mit dem IS kontrollie­rt habe; Albayrak dementiert­e die Vorwürfe.

Nach der Vertreibun­g des IS aus Deir as-Sour übernahmen die SDF auch dort die Kontrolle über die Ölfelder. Die kurdisch geführte Regierung Rojavas verkauft das Rohöl teils an kleine private Raffinerie­n, um es zu Benzin und Diesel zu verarbeite­n und teils an Damaskus zum halben Weltmarktp­reis. Die laufenden monatliche­n Einnahmen werden auf derzeit rund zehn Millionen US-Dollar geschätzt. Es ist unklar, ob nun US-Firmen den Rohstoff, der unbestritt­en dem syrischen Staat gehört, ausbeuten sollen. US-Präsident Trump schien mit seinen Tweets zudem die Vertreibun­g der kurdischen Bevölkerun­g aus ihren angestammt­en Gebieten entlang der Grenze zur Türkei nach Süden in das fast vollständi­g sunnitisch-arabische Gebiet von Deir asSour zu befürworte­n.

Die Türkei war am 9. Oktober in Nordsyrien einmarschi­ert, um die YPG aus dem Grenzgebie­t zu verjagen. Am Dienstag hatten sich Erdogan und der russische Präsident Wladimir Putin in Sotschi über den Abzug der YPG aus den Grenzgebie­ten und eine gemeinsame Kontrolle der Region geeinigt. Am Mittwoch hatte Putins Nahost-Sonderbeau­ftragter Michail Bogdanow erklärt, dass alle syrischen Öl- und Gasstandor­te wieder unter die Kontrolle Assads fallen müssten. Nun sollen US-Soldaten und erstmals auch schwere Panzer aus dem Irak in den Nordosten gebracht werden – ein hochgefähr­licher Plan, der zur militärisc­hen Konfrontat­ion der USA mit Syrien oder Russland führen kann.

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FOTO: AFP Ein gepanzerte­s Fahrzeug der US-Streitkräf­te in der syrischen Provinz Hasaka.

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