US-Soldaten bleiben doch teilweise in Syrien
Nach dem Abzug ihrer Truppen aus Nordsyrien haben die USA überraschend angekündigt, zusätzliche Militärkräfte in den Osten des Landes zu schicken. Ölfelder sollen nicht wieder in die Hände des Islamischen Staats fallen.
DAMASKUS Viele Beobachter rieben sich ungläubig die Augen, als US-Präsident Donald Trump am Mittwoch twitterte, dass es den Vereinigten Staaten gelungen sei, „das Öl in Syrien zu sichern“. Die Erdölquellen im Nordosten des Landes hatten vorher für ihn praktisch keine Rolle gespielt. Doch als Trump nachlegte und in einem Tweet schrieb, trotz des angeordneten Abzugs der rund 1000 US-Truppen aus Syrien würde „eine kleine Zahl“, rund 200 bis 300 Soldaten, dort bleiben, um die Ölquellen vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu schützen, wurde klar, dass er es ernst meinte. Das US-Verteidigungsministerium bestätigte am Donnerstag, man werde zusätzliche Truppen nach Syrien auf die Ölfelder verlegen, um in Koordination mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zu verhindern, dass sie „in die Hände des IS oder anderer destabilisierender Akteure fallen“.
Der US-Präsident hatte seine Truppen in Syrien vor knapp drei Wochen aus der Grenzregion zur Türkei abgezogen und Ankara damit grünes Licht für eine Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG erteilt. Die YPG ist die dominierende Kraft in den SDF, wird von der Türkei wegen ihrer Verbindung zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als Terrororganisation betrachtet, war aber engster Verbündeter der USA gegen den IS. Wie kam es zu dem neuerlichen Umschwung? Wie der US-Sender NBC berichtete, hätten der republikanische Senator Lindsay Graham und Verteidigungsminister Mark Esper den Präsidenten überzeugt, indem sie ihm Karten mit den syrischen Ölfeldern vorlegten und das „nationale Sicherheitsinteresse“betonten. Der Einsatz bietet dem Pentagon die Chance, wenigstens eine Reststreitmacht im Land zu halten.
Mit seiner jüngsten Kehrtwende hat Trump den US-Rückzug gestoppt und die verstoßene SDF wieder zum Bundesgenossen erhoben. Am Donnerstag lud er nicht nur den SDF-Chef Maslum Abdi telefonisch nach Washington ein, sondern rief den Kurden auch auf Twitter zu: „Vielleicht ist es Zeit für die Kurden, sich auf den Weg in die Ölregion zu machen!“. Den USA sei das Öl offenbar „wichtiger als ihre Verbündeten“,
twitterten syrisch-kurdische Offizielle konsterniert. Der frühere US-Syriengesandte Brett McGurk schrieb: „Der US-Präsident scheint eine Massenmigration von Kurden in die Wüste zu fordern, wo sie sich auf einem winzigen Ölfeld niederlassen können. Schockierende Unkenntnis von Geschichte, Geographie, Recht, amerikanischen Werten, menschlichem Anstand und Ehre.“
Anders als Trump annimmt, kontrollieren die Kurden als wichtigster Teil der SDF längst die bedeutendsten syrischen Ölfelder zwischen den Städten Hassaka und Deir asSour. Syriens Rohölproduktion betrug nach Angaben des US-Energieministeriums vor dem Bürgerkrieg rund 600.000 Barrel pro Tag, sank aber während der dreijährigen
IS-Kontrolle der Region Deir as-Sour und danach auf rund 30.000 Barrel. Insgesamt sind die Ölvorkommen gering im Vergleich zum Irak oder Saudi-Arabien, das über mehr als die hundertfache Menge verfügt. Die zerstörten Anlagen wieder aufzubauen, dauert vermutlich Jahre und kostet Milliarden.
Die kurdischen YPG-Streitkräfte hatten 2012 zunächst kleinere Ölfelder in der Provinz Hassaka erobert, nachdem syrische Regierungstruppen aus den meisten Kurdenregionen abgezogen waren. 2015 brachte der IS die weit rentableren Ölfelder in Deir as-Sour unter seine Kontrolle. Die Dschihadisten transportierten das Öl in die Türkei – direkt über die Grenze oder über den Nordirak. Nach dem Zerwürfnis Ankaras mit Moskau im November 2015 beschuldigte der Kreml den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, mit seiner Familie in den illegalen Ölhandel verwickelt zu sein. Ein Jahr später enthüllten türkische Hacker abgefangene E-Mails von Erdogans Schwiegersohn und jetzigem türkischen Finanzminister Berat Albayrak, wonach er als Chef der Calik-Holding das lukrative Ölgeschäft mit dem IS kontrolliert habe; Albayrak dementierte die Vorwürfe.
Nach der Vertreibung des IS aus Deir as-Sour übernahmen die SDF auch dort die Kontrolle über die Ölfelder. Die kurdisch geführte Regierung Rojavas verkauft das Rohöl teils an kleine private Raffinerien, um es zu Benzin und Diesel zu verarbeiten und teils an Damaskus zum halben Weltmarktpreis. Die laufenden monatlichen Einnahmen werden auf derzeit rund zehn Millionen US-Dollar geschätzt. Es ist unklar, ob nun US-Firmen den Rohstoff, der unbestritten dem syrischen Staat gehört, ausbeuten sollen. US-Präsident Trump schien mit seinen Tweets zudem die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus ihren angestammten Gebieten entlang der Grenze zur Türkei nach Süden in das fast vollständig sunnitisch-arabische Gebiet von Deir asSour zu befürworten.
Die Türkei war am 9. Oktober in Nordsyrien einmarschiert, um die YPG aus dem Grenzgebiet zu verjagen. Am Dienstag hatten sich Erdogan und der russische Präsident Wladimir Putin in Sotschi über den Abzug der YPG aus den Grenzgebieten und eine gemeinsame Kontrolle der Region geeinigt. Am Mittwoch hatte Putins Nahost-Sonderbeauftragter Michail Bogdanow erklärt, dass alle syrischen Öl- und Gasstandorte wieder unter die Kontrolle Assads fallen müssten. Nun sollen US-Soldaten und erstmals auch schwere Panzer aus dem Irak in den Nordosten gebracht werden – ein hochgefährlicher Plan, der zur militärischen Konfrontation der USA mit Syrien oder Russland führen kann.