Borussias Beharrlichkeit ist eine Qualität
Ohne Nachspielzeit wäre Borussias Europa-Abenteuer bislang eine düstere Geschichte. Sie hätte keinen Punkt und kein Tor, und eigentlich wäre die Sache vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Doch die Spiele bei Basaksehir Istanbul und bei der AS Rom dauerten nun mal ein paar Minuten länger und die nutzten Patrick Herrmann in Istanbul und Lars Stindl in Rom, um aus einem 0:1 ein 1:1 zu machen. Statt Europa-Frust ist daher nun Europa-Lust da, die Gladbacher sind, obschon noch sieglos, noch in der Lage, aus eigener Kraft das Ziel „Überwintern in Europa“zu realisieren.
Späte Tore haben natürlich mit Glück zu tun. Zumal, wenn sie auf einer Fehlentscheidung basieren, wie jetzt der Elfmeter in Rom, den Stindl nutzte. Wäre ein solches Tor dem FC Bayern gelungen, hätte es geheißen: Bayern-Dusel! Die Borussia-Fans jedoch sehen in der Geschichte,
die sich in Rom zutrug auf gewisse Weise eine ausgleichende Gerechtigkeit für viel Unrecht, das den Gladbachern in ihrer Europapokal-Geschichte widerfahren ist: der Büchsenwurf 1971, die bösartigen Pfiffe des Schiedsrichters van der Kroft 1976, die seltsamen Entscheidungen gegen Schalke 2017 et cetera, et cetera, et cetera. Dass indes der Elfmeter, der 1979 den zweiten Uefa-Cup-Sieg gegen Roter Stern Belgrad brachte, wie nun der in Rom eher ein geschenkter war, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.
Wie auch immer: Es ist ein Merkmal von Marco Roses Mannschaft, dass sie nicht aufgibt und bis zuletzt alles versucht. Das ist eine Qualität. Und wer immer wieder Bälle in den Strafraum bringt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert. Beim 0:1 in Dortmund klappte es nicht mehr, vorher in Istanbul und Rom dafür schon. Schaden kann es nicht, auch auf eine gesamte Saison gesehen, wenn man Stehvermögen und Beharrlichkeit hat. Nach hinten raus kommt es darauf an. Für den Europapokal dieser Saison gilt: Borussia hatte zuletzt das nötige Glück. Das hat sie aber erzwungen. Darum ist die Europa-Geschichte eine mit Fortsetzungs-Potenzial. Aber: Nun müssen auch Siege her. Nur Last-Minute-Unentschieden reichen sicher nicht. Doch die Borussen wissen ja, wie man etwas erzwingt. Karsten Kellermann