Von Herrenmenschen und Schandflecken
Von Lettow-Vorbeck, den Namenspatron einer Straße am Bunten Garten, nennt Bartholomäus Grill einen „Schandfleck unserer Geschichte“.
MÖNCHENGLADBACH Der Streit um die Lettow-Vorbeck-Straße wird im November in der Bezirksvertretung Nord in die nächste Runde gehen. Ob die nach dem deutschen Offizier Paul Emil von Lettow-Vorbeck benannte Straße umbenannt werden sollte, dazu äußerte sich der Journalist und Afrika-Kenner Bartholomäus Grill nicht, als er jetzt auf Einladung des Fördervereins der Stadtbibliothek in Rheydt aus seinem Buch „Wir Herrenmenschen“vorlas. Aber immerhin so viel ließ sich Grill auf Nachfrage zu Lettow-Vorbeck entlocken: Er sei „ein Schandfleck in unserer Geschichte“.
Dieses Urteil fällte Grill, obwohl er den Kolonialkrieg der Deutschen gegen die Herero im Magazin „Der Spiegel“2016 in einem Streitgespräch
mit dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmer nicht als einen von der deutschen Reichsregierung systematisch geplanten Völkermord einstufen mochte. Er bezeichnete die Gräueltaten deutscher Kolonialtruppen in Afrika allerdings als „schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Lettow-Vorbeck war als Adjutant des deutschen Kommandeurs Lothar von Trotha zwischen 1904 und 1906 an der Niederschlagung des Herero-Aufstands beteiligt.
Die sogenannte deutsche „Schutztruppe“ging rücksichtslos brutal gegen die Afrikaner vor. Tausende Herero wurden in die Wüste Omaheke getrieben und dort verhungern gelassen. Tausende Nama fielen der Vergiftung von Wasserstellen sowie der Zwangsarbeit und Krankheiten in Konzentrationslagern zum Opfer. In seinem im März erschienenen Buch „Wir Herrenmenschen“schreibt Grill, noch heute liege „ein gespenstisches Schweigen über den Verbrechen, die wir, der weltbeherrschende Westen, den Afrikanern und anderen Völkern angetan haben“.
Grill verfolgt in seinem Buch „Wir
Herrenmenschen“die Spuren der deutschen Fremdherrschaft nicht nur in Afrika, sondern auch in China und in der Südsee. In Rheydt las er aus dem Werk Passagen über die deutsche Beteiligung an der Niederschlagung des Boxer-Aufstands 1900 in China vor. Eine Intervention, an der auch Lettow-Vorbeck als Adjutant der 1. Ostasiatischen Infanterie-Brigade teilgenommen hat. Passagen über ihn wollte Grill in Rheydt jedoch nicht vortragen. Die seien zu lang, meinte er.
Dafür aber beschäftigte sich der Autor mit einem weiteren Akteur der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika: Carl Peters. Ihn bezeichnet Grill als „Verbrecher“. Peters, so erzählt Grill, nannte die Afrikaner „Viecher“, und er behandelte sie auch so. An den Orten, die er eroberte, ließ er eine Hütte und einen Galgen errichten. Letztlich wurde
Peters ein Ereignis zum Verhängnis: Eine seiner afrikanischen Geliebten hatte es gewagt, ein Verhältnis mit einem Diener einzugehen, worauf Peters kurzerhand beide an den Galgen knüpfen ließ. Dies erregte Aufsehen im Deutschen Reich, es kam zum Prozess und zu seiner Entlassung.
Von den insgesamt fünf Büchern Grills handeln vier über das Leben und Sterben in Afrika. Dafür hat der Journalist und Korrespondent in den vergangenen drei Jahrzehnten an allen Schauplätzen des ehemaligen Kolonialgebiets recherchiert, hat mit den letzten Augenzeugen gesprochen, mit den Nachkommen von Tätern und Opfern. Er verfolgt die Spuren der deutschen Fremdherrschaft, wie etwa der Nachfahren der Herero, die heute Entschädigung für Gräueltaten der Deutschen fordern.