„Der Imageschub durch Olympia ist kaum mit Geld zu bezahlen“
Der Düsseldorfer Oberbürgermeister sieht noch viel Raum für städtisches Wachstum.
Die Städte weltweit quellen über. Werden wir irgendwann alle in Metropolen leben?
GEISEL Alle Menschen werden das sicher nicht tun. Aber der Trend ist epochal. Die Menschen streben in die großen Metropolen. Ich finde das überraschend, weil viele Personen in Zeiten der Digitalisierung eigentlich unabhängig von Zeit und Raum sein können. Früher, zurzeit der Industrialisierung, war es eine Notwendigkeit, in die großen Industriezentren zu ziehen. Heute entfällt diese Notwendigkeit.
Woran liegt es, dass die Menschen dennoch in die Metropolen ziehen?
GEISEL Die Menschen suchen die Nähe anderer – egal ob bei der Arbeit oder in der Freizeit. Zugleich zerfließen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, die bis vor Kurzem oft auch räumlich bestimmt waren: die Arbeit in der Stadt und das Häuschen im grünen Vorort. Wenn jemand aber durch die moderne Kommunikation immer erreichbar ist, warum sollte er dann eine Stunde Fahrt in Kauf nehmen, um ins Grüne, in sein Reich der Freiheit zu kommen? Eine solche Person bleibt lieber in der Stadt und verbindet dort ihre Bedürfnisse auf engerem Raum – arbeiten, einkaufen, Kultur genießen, ausgehen.
Das mag in westlichen Metropolen funktionieren. In Megastädten mit bis zu 20 Millionen Einwohnern wird das schwierig. Sind solche Mega-Citys noch lebenswert und nachhaltig?
GEISEL Dichte und Nachhaltigkeit widersprechen sich nicht. Manches ist gleichwohl extrem: Im indischen Kalkutta leben und arbeiten auf der gleichen Fläche wie Düsseldorf etwa 10,5 Millionen Menschen, hier sind es 650.000.
Kalkutta ist nicht unbedingt das Vorbild für eine nachhaltige Stadt.
GEISEL Sicher nicht. Aber die Dichte in Düsseldorf, die ja schon viele hier beklagen, ist noch nicht das Ende für eine gute urbane Entwicklung. Zumal der Verkehr bei höherer Dichte eher zurückgeht. Denken Sie daran, dass die Pendler, die jeden Morgen im Stau stehen, dann weniger werden. Man kann durchaus das Thema Dichte mit vernünftiger Stadtökologie wie Dachbegrünung, Urban Gardening und anderem verbinden. Auch wenn mehr Menschen nach Düsseldorf ziehen, verschlechtert sich die Lebensqualität nicht. Im Gegenteil: Durch die Umwandlung ehemals industrieller Flächen wird sie verbessert.
Früher waren wichtige Städte Verkehrsknotenpunkte, Industriezentren oder Verwaltungsmetropolen. Was macht heute eine bedeutende Stadt aus?
GEISEL Die geografische Lage hat nach wie vor eine große Bedeutung. Davon profitieren Städte wie Düsseldorf, Köln oder Frankfurt. Nicht umsonst ist Düsseldorf die Nummer drei in Europa bei ausländischen Investitionen. Der wirtschaftliche Wohlstand einer Stadt hängt heute aber mehr an den weichen Faktoren – Wohnund Lebensqualität, kulturelles Angebot, schöne Architektur, Vielfalt. Kurz gesagt: Talentierte Arbeitskräfte gehen dorthin, wo es schön und interessant ist.
Sind attraktive Städte Selbstläufer? GEISEL Nein, sie sind auch das Ergebnis politischer Gestaltung. Düsseldorf hat etwa davon profitiert, dass Anfang der 90er Jahre der Rheintunnel gebaut wurde. Auch der Medienhafen hat die Landeshauptstadt attraktiver gemacht, und Projekte wie der blaugrüne Ring werden die Beliebtheit weiter steigern.
Was ist die wichtigste Stadt der Welt? GEISEL Die Welt im Brennglas ist immer noch New York City. Keine andere Stadt ist so im Wandel und so führend bei Innovationen wie die größte Stadt der USA. Und sie hat eine faszinierende Geschichte. Gehen Sie mal ins Museum of New York City. Da kommen mir die Stadtmuseen hierzulande etwas ärmlich vor.
Welche europäische Stadt ist Ihr Vorbild? GEISEL Moskau ist eine moderne Stadt geworden. Sie hat sich in den vergangenen 20 Jahren wie kaum eine europäische Metropole verändert. Aber die fortschrittlichste Stadt ist für mich Kopenhagen. Die war Ende der 90er Jahre pleite. Dann haben die Stadtverantwortlichen dort investiert, wo es am billigsten war – in Radwege. Heute ist Kopenhagen die ökologisch führende Stadt in Europa geworden. Mein Favorit unter den europäischen Städten ist und bleibt Paris und seine mutige Bürgermeisterin Anne Hidalgo, übrigens eine gebürtige Spanierin.
Ist das Rheinland ein globaler Player? GEISEL Die Metropolregion Rheinland könnte das sein, wenn die Aufgaben und Kompetenzen klar geregelt wären. Da ist noch viel zu tun: Warum gibt es zwei Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln, warum zwei Verkehrsverbünde VRR und VRS? Könnten Theater, Opern, Flughäfen und Messen der großen Städte in RheinRuhr nicht besser kooperieren? Warum nicht eine gemeinsame Exzellenzinitiative der rheinischen Universitäten wie in Berlin gründen? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann die Metropolregion Rheinland oder meinetwegen auch Rhein-Ruhr die globale Bedeutung erlangen, die ihr eigentlich zukommt.
Bringen Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele eine Region weiter?
GEISEL Das tun sie definitiv und im wahrsten Sinne des Wortes. Das Projekt Olympic City Rhein Ruhr, in dem die meisten Wettkampfhallen ja bereits existieren, ist ein äußerst ehrgeiziges Investitionsprogramm in die Infrastruktur der Region, bei dem es eine klare Deadline für die Fertigstellung gibt: den Beginn der Spiele. Aber darüber hinaus schaffen die Olympischen Spiele auch eine weltweite Sichtbarkeit, die nachwirkt. Ein solcher Imageschub ist kaum mit Geld zu bezahlen.