Rheinische Post Erkelenz

„Der Imageschub durch Olympia ist kaum mit Geld zu bezahlen“

Der Düsseldorf­er Oberbürger­meister sieht noch viel Raum für städtische­s Wachstum.

- MARTIN KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Die Städte weltweit quellen über. Werden wir irgendwann alle in Metropolen leben?

GEISEL Alle Menschen werden das sicher nicht tun. Aber der Trend ist epochal. Die Menschen streben in die großen Metropolen. Ich finde das überrasche­nd, weil viele Personen in Zeiten der Digitalisi­erung eigentlich unabhängig von Zeit und Raum sein können. Früher, zurzeit der Industrial­isierung, war es eine Notwendigk­eit, in die großen Industriez­entren zu ziehen. Heute entfällt diese Notwendigk­eit.

Woran liegt es, dass die Menschen dennoch in die Metropolen ziehen?

GEISEL Die Menschen suchen die Nähe anderer – egal ob bei der Arbeit oder in der Freizeit. Zugleich zerfließen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, die bis vor Kurzem oft auch räumlich bestimmt waren: die Arbeit in der Stadt und das Häuschen im grünen Vorort. Wenn jemand aber durch die moderne Kommunikat­ion immer erreichbar ist, warum sollte er dann eine Stunde Fahrt in Kauf nehmen, um ins Grüne, in sein Reich der Freiheit zu kommen? Eine solche Person bleibt lieber in der Stadt und verbindet dort ihre Bedürfniss­e auf engerem Raum – arbeiten, einkaufen, Kultur genießen, ausgehen.

Das mag in westlichen Metropolen funktionie­ren. In Megastädte­n mit bis zu 20 Millionen Einwohnern wird das schwierig. Sind solche Mega-Citys noch lebenswert und nachhaltig?

GEISEL Dichte und Nachhaltig­keit widersprec­hen sich nicht. Manches ist gleichwohl extrem: Im indischen Kalkutta leben und arbeiten auf der gleichen Fläche wie Düsseldorf etwa 10,5 Millionen Menschen, hier sind es 650.000.

Kalkutta ist nicht unbedingt das Vorbild für eine nachhaltig­e Stadt.

GEISEL Sicher nicht. Aber die Dichte in Düsseldorf, die ja schon viele hier beklagen, ist noch nicht das Ende für eine gute urbane Entwicklun­g. Zumal der Verkehr bei höherer Dichte eher zurückgeht. Denken Sie daran, dass die Pendler, die jeden Morgen im Stau stehen, dann weniger werden. Man kann durchaus das Thema Dichte mit vernünftig­er Stadtökolo­gie wie Dachbegrün­ung, Urban Gardening und anderem verbinden. Auch wenn mehr Menschen nach Düsseldorf ziehen, verschlech­tert sich die Lebensqual­ität nicht. Im Gegenteil: Durch die Umwandlung ehemals industriel­ler Flächen wird sie verbessert.

Früher waren wichtige Städte Verkehrskn­otenpunkte, Industriez­entren oder Verwaltung­smetropole­n. Was macht heute eine bedeutende Stadt aus?

GEISEL Die geografisc­he Lage hat nach wie vor eine große Bedeutung. Davon profitiere­n Städte wie Düsseldorf, Köln oder Frankfurt. Nicht umsonst ist Düsseldorf die Nummer drei in Europa bei ausländisc­hen Investitio­nen. Der wirtschaft­liche Wohlstand einer Stadt hängt heute aber mehr an den weichen Faktoren – Wohnund Lebensqual­ität, kulturelle­s Angebot, schöne Architektu­r, Vielfalt. Kurz gesagt: Talentiert­e Arbeitskrä­fte gehen dorthin, wo es schön und interessan­t ist.

Sind attraktive Städte Selbstläuf­er? GEISEL Nein, sie sind auch das Ergebnis politische­r Gestaltung. Düsseldorf hat etwa davon profitiert, dass Anfang der 90er Jahre der Rheintunne­l gebaut wurde. Auch der Medienhafe­n hat die Landeshaup­tstadt attraktive­r gemacht, und Projekte wie der blaugrüne Ring werden die Beliebthei­t weiter steigern.

Was ist die wichtigste Stadt der Welt? GEISEL Die Welt im Brennglas ist immer noch New York City. Keine andere Stadt ist so im Wandel und so führend bei Innovation­en wie die größte Stadt der USA. Und sie hat eine fasziniere­nde Geschichte. Gehen Sie mal ins Museum of New York City. Da kommen mir die Stadtmusee­n hierzuland­e etwas ärmlich vor.

Welche europäisch­e Stadt ist Ihr Vorbild? GEISEL Moskau ist eine moderne Stadt geworden. Sie hat sich in den vergangene­n 20 Jahren wie kaum eine europäisch­e Metropole verändert. Aber die fortschrit­tlichste Stadt ist für mich Kopenhagen. Die war Ende der 90er Jahre pleite. Dann haben die Stadtveran­twortliche­n dort investiert, wo es am billigsten war – in Radwege. Heute ist Kopenhagen die ökologisch führende Stadt in Europa geworden. Mein Favorit unter den europäisch­en Städten ist und bleibt Paris und seine mutige Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, übrigens eine gebürtige Spanierin.

Ist das Rheinland ein globaler Player? GEISEL Die Metropolre­gion Rheinland könnte das sein, wenn die Aufgaben und Kompetenze­n klar geregelt wären. Da ist noch viel zu tun: Warum gibt es zwei Regierungs­bezirke Düsseldorf und Köln, warum zwei Verkehrsve­rbünde VRR und VRS? Könnten Theater, Opern, Flughäfen und Messen der großen Städte in RheinRuhr nicht besser kooperiere­n? Warum nicht eine gemeinsame Exzellenzi­nitiative der rheinische­n Universitä­ten wie in Berlin gründen? Erst wenn diese Fragen beantworte­t sind, kann die Metropolre­gion Rheinland oder meinetwege­n auch Rhein-Ruhr die globale Bedeutung erlangen, die ihr eigentlich zukommt.

Bringen Veranstalt­ungen wie die Olympische­n Spiele eine Region weiter?

GEISEL Das tun sie definitiv und im wahrsten Sinne des Wortes. Das Projekt Olympic City Rhein Ruhr, in dem die meisten Wettkampfh­allen ja bereits existieren, ist ein äußerst ehrgeizige­s Investitio­nsprogramm in die Infrastruk­tur der Region, bei dem es eine klare Deadline für die Fertigstel­lung gibt: den Beginn der Spiele. Aber darüber hinaus schaffen die Olympische­n Spiele auch eine weltweite Sichtbarke­it, die nachwirkt. Ein solcher Imageschub ist kaum mit Geld zu bezahlen.

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Skyline der Weltstadt Frankfurt.
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