Sanierungsstau an Medizin-Universitäten
Marode Gebäude und mangelhafte IT-Infrastruktur beeinträchtigen laut Wissenschaftsrat mancherorts die Qualität der Ärzte-Ausbildung in NRW. Aachen, Bonn, Köln und Münster zählen hingegen zur Spitzengruppe.
DÜSSELDORF Der Wissenschaftsrat sieht großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung der Medizinischen Hochschulen in NRW. Rund 50 Millionen Euro pro Standort seien grob geschätzt allein notwendig, um den Anschluss an die digitale Entwicklung nicht zu verpassen, sagte Ingo Autenrieth, Leiter der Gutachten-Kommission zur Bewertung der medizinischen Hochschulausbildung beim Wissenschaftsrat. Das entspräche bei sieben staatlichen Medizinischen Hochschule im Land insgesamt rund 350 Millionen Euro. Hinzu komme der Investitionsbedarf aufgrund des Sanierungsstaus etwa an Gebäuden, der aber im Rahmen des Gutachtens nicht genau ermittelt wurde. Das 2021 auslaufende Modernisierungsprogramm des Landes von 2,4 Milliarden Euro habe diesen Stau noch nicht beseitigt.
Die Landesregierung hatte im Sommer des vergangenen Jahres zum ersten Mal seit 20 Jahren beim Wissenschaftsrat ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Hochschulmedizin in Nordrhein-Westfalen zu bewerten. Ein Schwerpunkt neben
Forschung und Lehre war dabei die Krankenversorgung, auch im ländlichen Raum.
„Es ist Aufgabe des Landes NRW, seine Universitätsmedizin durch eine kluge Förder- und Finanzierungspolitik zu unterstützen und zukunftsfähig zu machen“, resümierte die Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Martina Brockmeier. Eine starke Gesundheitswirtschaft werde sich für NRW auszahlen. Eine weitere Empfehlung des Wissenschaftsrates lautet, die Medizinischen Hochschulen besser miteinander zu vernetzen. Und: „Wir brauchen mehr Studienplätze für Mediziner – das kann man auch an den bestehenden Standorten realisieren“, ergänzte Autenrieth.
Den Standorten Aachen, Bonn und Köln stellte der Wissenschaftsrat das beste Zeugnis aus. Die medizinische Forschung in Aachen etwa sei „sehr gut bis exzellent“. Die Lehre sei modern, innovativ und werde von den Studierenden hoch gelobt. Zudem sei der Standort mit der Wirtschaft gut vernetzt. Größtes Hindernis sei der Denkmalschutz, der Umbauten verhindere. Nachholbedarf gebe es in Sachen Gleichstellung.
Sehr positiv äußerte sich der Wissenschaftsrat auch über Bonn, dessen Medizinische Hochschule dank exzellenter Leistungen in der Forschung zu den leistungsstärksten in NRW zähle. Klarer Standortvorteil seien die Kooperationen mit vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Nachholbedarf gebe es bei der Digitalisierung. Auch könne die Lehre innovativer sein.
In Köln hemme die baulich-technisch veraltete Infrastruktur den Standort, der zu den leistungsstärksten in NRW zähle. Die Gutachter loben die sehr produktive Lehr- und Lernkultur. Sie attestieren Köln zudem exzellente Forschung und hervorragende Kooperationen mit außeruniversitären Einrichtungen. Dies könne noch weiter ausgeschöpft werden. Zu den Spitzenstandorten in NRW zählt auch Münster. Eine Herausforderung sei aber das defizitäre und stark sanierungsbedürftige Klinikum.
Der Hochschulmedizin in Duisburg-Essen bescheinigen die Gutachter „ein großes Potential und Dynamik“. Der Standort müsse aber noch sein Profil schärfen. Auch stecke das Uniklinikum in einer bedrohlichen wirtschaftlichen Situation. In Düsseldorf habe die Universitätsmedizin den Wandel erfolgreich eingeleitet - trotz ungünstiger Rahmenbedingungen mit zahlreichen Wechseln in den Leitungen von Medizinischer Fakultät und Uniklinik, die zudem in bedrohlicher wirtschaftlicher Lage gewesen sei. Noch behindere aber die unzureichende IT-Infrastruktur die Forschung.
Das Bochum-Modell verfügt laut Gutachten über gute Anknüpfungspunkte in Lehre, Forschung und Krankenversorgung, die Strukturen sollten jedoch modernisiert werden. Dort seien zu viele Kliniken beteiligt. In Bielefeld empfiehlt der Wissenschaftsrat, den für 2021/22 vorgesehenen Studienstart um ein Jahr zu verschieben.
Eindeutig negativ fällt das Urteil über das Kooperationsmodell der Universitäten Bonn und Siegen aus, an dem 25 Studierende teilnehmen. Der dafür notwendige Aufwand sei nicht gerechtfertigt.
Die Landesregierung will nun die Umsetzung der Empfehlungen prüfen. „Die Ergebnisse werden NRW noch Jahre beschäftigen“, sagte Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos).