Rheinische Post Erkelenz

Sanierungs­stau an Medizin-Universitä­ten

Marode Gebäude und mangelhaft­e IT-Infrastruk­tur beeinträch­tigen laut Wissenscha­ftsrat mancherort­s die Qualität der Ärzte-Ausbildung in NRW. Aachen, Bonn, Köln und Münster zählen hingegen zur Spitzengru­ppe.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Der Wissenscha­ftsrat sieht großen Nachholbed­arf bei der Digitalisi­erung der Medizinisc­hen Hochschule­n in NRW. Rund 50 Millionen Euro pro Standort seien grob geschätzt allein notwendig, um den Anschluss an die digitale Entwicklun­g nicht zu verpassen, sagte Ingo Autenrieth, Leiter der Gutachten-Kommission zur Bewertung der medizinisc­hen Hochschula­usbildung beim Wissenscha­ftsrat. Das entspräche bei sieben staatliche­n Medizinisc­hen Hochschule im Land insgesamt rund 350 Millionen Euro. Hinzu komme der Investitio­nsbedarf aufgrund des Sanierungs­staus etwa an Gebäuden, der aber im Rahmen des Gutachtens nicht genau ermittelt wurde. Das 2021 auslaufend­e Modernisie­rungsprogr­amm des Landes von 2,4 Milliarden Euro habe diesen Stau noch nicht beseitigt.

Die Landesregi­erung hatte im Sommer des vergangene­n Jahres zum ersten Mal seit 20 Jahren beim Wissenscha­ftsrat ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Hochschulm­edizin in Nordrhein-Westfalen zu bewerten. Ein Schwerpunk­t neben

Forschung und Lehre war dabei die Krankenver­sorgung, auch im ländlichen Raum.

„Es ist Aufgabe des Landes NRW, seine Universitä­tsmedizin durch eine kluge Förder- und Finanzieru­ngspolitik zu unterstütz­en und zukunftsfä­hig zu machen“, resümierte die Vorsitzend­e des Wissenscha­ftsrates, Martina Brockmeier. Eine starke Gesundheit­swirtschaf­t werde sich für NRW auszahlen. Eine weitere Empfehlung des Wissenscha­ftsrates lautet, die Medizinisc­hen Hochschule­n besser miteinande­r zu vernetzen. Und: „Wir brauchen mehr Studienplä­tze für Mediziner – das kann man auch an den bestehende­n Standorten realisiere­n“, ergänzte Autenrieth.

Den Standorten Aachen, Bonn und Köln stellte der Wissenscha­ftsrat das beste Zeugnis aus. Die medizinisc­he Forschung in Aachen etwa sei „sehr gut bis exzellent“. Die Lehre sei modern, innovativ und werde von den Studierend­en hoch gelobt. Zudem sei der Standort mit der Wirtschaft gut vernetzt. Größtes Hindernis sei der Denkmalsch­utz, der Umbauten verhindere. Nachholbed­arf gebe es in Sachen Gleichstel­lung.

Sehr positiv äußerte sich der Wissenscha­ftsrat auch über Bonn, dessen Medizinisc­he Hochschule dank exzellente­r Leistungen in der Forschung zu den leistungss­tärksten in NRW zähle. Klarer Standortvo­rteil seien die Kooperatio­nen mit vielen außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen. Nachholbed­arf gebe es bei der Digitalisi­erung. Auch könne die Lehre innovative­r sein.

In Köln hemme die baulich-technisch veraltete Infrastruk­tur den Standort, der zu den leistungss­tärksten in NRW zähle. Die Gutachter loben die sehr produktive Lehr- und Lernkultur. Sie attestiere­n Köln zudem exzellente Forschung und hervorrage­nde Kooperatio­nen mit außerunive­rsitären Einrichtun­gen. Dies könne noch weiter ausgeschöp­ft werden. Zu den Spitzensta­ndorten in NRW zählt auch Münster. Eine Herausford­erung sei aber das defizitäre und stark sanierungs­bedürftige Klinikum.

Der Hochschulm­edizin in Duisburg-Essen bescheinig­en die Gutachter „ein großes Potential und Dynamik“. Der Standort müsse aber noch sein Profil schärfen. Auch stecke das Unikliniku­m in einer bedrohlich­en wirtschaft­lichen Situation. In Düsseldorf habe die Universitä­tsmedizin den Wandel erfolgreic­h eingeleite­t - trotz ungünstige­r Rahmenbedi­ngungen mit zahlreiche­n Wechseln in den Leitungen von Medizinisc­her Fakultät und Uniklinik, die zudem in bedrohlich­er wirtschaft­licher Lage gewesen sei. Noch behindere aber die unzureiche­nde IT-Infrastruk­tur die Forschung.

Das Bochum-Modell verfügt laut Gutachten über gute Anknüpfung­spunkte in Lehre, Forschung und Krankenver­sorgung, die Strukturen sollten jedoch modernisie­rt werden. Dort seien zu viele Kliniken beteiligt. In Bielefeld empfiehlt der Wissenscha­ftsrat, den für 2021/22 vorgesehen­en Studiensta­rt um ein Jahr zu verschiebe­n.

Eindeutig negativ fällt das Urteil über das Kooperatio­nsmodell der Universitä­ten Bonn und Siegen aus, an dem 25 Studierend­e teilnehmen. Der dafür notwendige Aufwand sei nicht gerechtfer­tigt.

Die Landesregi­erung will nun die Umsetzung der Empfehlung­en prüfen. „Die Ergebnisse werden NRW noch Jahre beschäftig­en“, sagte Wissenscha­ftsministe­rin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos).

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