Streit um die Impfpflicht ab 50 Jahren
Für die einen ist die Impfpflicht für Ältere leichter zu begründen, weil diese das größte Risiko für einen schweren Verlauf haben. Andere fordern eine Pflicht für alle. Die Kliniken sorgen sich, dass Personal abwandert.
DÜSSELDORF Im Ziel sind sich fast alle einig: Die Impfquote muss steigen, wenn man Corona besiegen will. Sonst wird das Virus immer neue menschliche Wirte finden, in denen es sich vermehren oder gar mutieren kann. Bundesweit sind erst 73 Prozent der Menschen grundimmunisiert, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) jetzt den Zustand nach zwei Impfungen nennt. Erst 50 Prozent haben die nötige Auffrischung erhalten. Das größte Problem: Viele Ältere sind noch nicht geboostert. In NRW sind 90,6 Prozent der über 60-Jährigen grundimmunisiert, aber nur 76 Prozent sind geboostert, obwohl sie bei einer Erkrankung ein großes Risiko für einen schweren Verlauf haben.
Wie ist der Stand bei der Impfpflicht? Es wird voraussichtlich mehrere Anträge im Bundestag geben. Einer sieht eine weitreichende Impfpflicht für alle Erwachsenen vor. Ein zweiter setzt auf ein Stufen-Verfahren: Ungeimpfte sollen zu einer PflichtBeratung geladen werden; wenn das die Impfquote nicht treibt, soll eine Impfpflicht für Menschen ab 50 gelten. Ein dritter Antrag lehnt eine Impfpflicht ab. Die Union legt sich nicht fest, sondern beschränkt ihre Oppositionsarbeit auf das Rufen nach einem Regierungsentwurf. Am Mittwoch findet im Bundestag die Orientierungsdebatte statt.
Was spricht für eine Impfpflicht ab 50? Melanie Brinkmann, VizeChefin des Expertenrates, hat gerade im Interview mit unserer Redaktion eine altersbezogene Impfpflicht wie in Italien gefordert. Der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann, Mitglied im Deutschen Ethikrat, sieht das ebenso: „Eine nach Risiko gestaffelte Impfpflicht – also zum Beispiel eine Impfpflicht ab 50 Jahren – wäre unter bestimmten Bedingungen auch für Deutschland eine gute Möglichkeit, um die Impflücke in dieser Gruppe zu schließen“, sagte er unserer Redaktion. „Sie lässt sich ethisch leichter begründen als eine allgemeine Impfpflicht und auch leichter organisieren.“Sie ziele auf die Gruppe von Menschen, die individuell den größten Nutzen von einer Impfung habe. „Ältere Menschen, die sich nicht durchzusetzen wäre. Der Deutsche Städtetag lehnte es schon mal ab, dass die ohnehin überlasteten Gesundheitsämter jetzt auch noch die Impfpflicht kontrollieren. Der Apothekerverband Nordrhein verweist auf die Mühen der Ebenen: „Wir sollten die Erfahrungen der wahrscheinlich schon im Februar zu Ende gehenden Omikron-Welle mit in die politische Entscheidungsfindung nehmen. Vieles deutet darauf hin, dass wir keine Überlastung des Gesundheitswesens bekommen. Und vor einer Ansteckung schützt eine komplette Corona-Impfung mit Booster auch nicht“, sagte Verbandschef Thomas Preis. Da die Ampelkoalition die Einrichtung eines nationalen Impfregisters vor allem wegen der liberalen Datenschutz-Bedenken ablehnt, kann die Impfpflicht auch nur schwer umgesetzt werden: „Bei einer Impfpflicht ist mit wesentlich mehr Fällen von Impfpassfälschungen zu rechnen. Ohne ein zentrales Impfregister ist eine schnelle Überprüfung der Impfpflicht nur schwer vorstellbar“, so Preis weiter. Und er verweist auf ein anderes Problem: „Nicht zuletzt ist die Datenlage in Deutschland immer noch viel zu ungenau, um sichere Aussagen über die Impfquoten zu machen. Das RKI geht von bis zu fünf Prozentpunkten höheren Impfquoten aus. Das würde eine Impfpflicht der über 60-Jährigen nicht unbedingt rechtfertigen.“
Startet die Teilimpfpflicht? Die Impfpflicht in Heimen und Kliniken soll am 15. März starten. Bayern drängt aber auf Verschiebung, etwa um die Grundimmunisierung der Skeptiker mit Novavax zu ermöglichen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die mit Nachdruck für eine allgemeine Impfpflicht wirbt, fürchtet, dass die Teilimpfpflicht zur Abwanderung von Arbeitskräften führt. Laut einer am Montag veröffentlichten DKG-Umfrage rechnen 66 Prozent der Krankenhäuser mit Einschränkungen bei der Patientenversorgung, wenn ab Mitte März ungeimpftes Personal nicht mehr beschäftigt werden darf. Im Pflegedienst der Kliniken sind zwar im Schnitt 95 Prozent der Mitarbeiter geimpft. Ausgerechnet bei der Intensivpflege beträgt die Quote dagegen nur 87 Prozent.