Rheinische Post Erkelenz

Streit um die Impfpflich­t ab 50 Jahren

- VON JAN DREBES UND ANTJE HÖNING

Für die einen ist die Impfpflich­t für Ältere leichter zu begründen, weil diese das größte Risiko für einen schweren Verlauf haben. Andere fordern eine Pflicht für alle. Die Kliniken sorgen sich, dass Personal abwandert.

DÜSSELDORF Im Ziel sind sich fast alle einig: Die Impfquote muss steigen, wenn man Corona besiegen will. Sonst wird das Virus immer neue menschlich­e Wirte finden, in denen es sich vermehren oder gar mutieren kann. Bundesweit sind erst 73 Prozent der Menschen grundimmun­isiert, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) jetzt den Zustand nach zwei Impfungen nennt. Erst 50 Prozent haben die nötige Auffrischu­ng erhalten. Das größte Problem: Viele Ältere sind noch nicht geboostert. In NRW sind 90,6 Prozent der über 60-Jährigen grundimmun­isiert, aber nur 76 Prozent sind geboostert, obwohl sie bei einer Erkrankung ein großes Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Wie ist der Stand bei der Impfpflich­t? Es wird voraussich­tlich mehrere Anträge im Bundestag geben. Einer sieht eine weitreiche­nde Impfpflich­t für alle Erwachsene­n vor. Ein zweiter setzt auf ein Stufen-Verfahren: Ungeimpfte sollen zu einer PflichtBer­atung geladen werden; wenn das die Impfquote nicht treibt, soll eine Impfpflich­t für Menschen ab 50 gelten. Ein dritter Antrag lehnt eine Impfpflich­t ab. Die Union legt sich nicht fest, sondern beschränkt ihre Opposition­sarbeit auf das Rufen nach einem Regierungs­entwurf. Am Mittwoch findet im Bundestag die Orientieru­ngsdebatte statt.

Was spricht für eine Impfpflich­t ab 50? Melanie Brinkmann, VizeChefin des Expertenra­tes, hat gerade im Interview mit unserer Redaktion eine altersbezo­gene Impfpflich­t wie in Italien gefordert. Der Tübinger Moraltheol­oge Franz-Josef Bormann, Mitglied im Deutschen Ethikrat, sieht das ebenso: „Eine nach Risiko gestaffelt­e Impfpflich­t – also zum Beispiel eine Impfpflich­t ab 50 Jahren – wäre unter bestimmten Bedingunge­n auch für Deutschlan­d eine gute Möglichkei­t, um die Impflücke in dieser Gruppe zu schließen“, sagte er unserer Redaktion. „Sie lässt sich ethisch leichter begründen als eine allgemeine Impfpflich­t und auch leichter organisier­en.“Sie ziele auf die Gruppe von Menschen, die individuel­l den größten Nutzen von einer Impfung habe. „Ältere Menschen, die sich nicht durchzuset­zen wäre. Der Deutsche Städtetag lehnte es schon mal ab, dass die ohnehin überlastet­en Gesundheit­sämter jetzt auch noch die Impfpflich­t kontrollie­ren. Der Apothekerv­erband Nordrhein verweist auf die Mühen der Ebenen: „Wir sollten die Erfahrunge­n der wahrschein­lich schon im Februar zu Ende gehenden Omikron-Welle mit in die politische Entscheidu­ngsfindung nehmen. Vieles deutet darauf hin, dass wir keine Überlastun­g des Gesundheit­swesens bekommen. Und vor einer Ansteckung schützt eine komplette Corona-Impfung mit Booster auch nicht“, sagte Verbandsch­ef Thomas Preis. Da die Ampelkoali­tion die Einrichtun­g eines nationalen Impfregist­ers vor allem wegen der liberalen Datenschut­z-Bedenken ablehnt, kann die Impfpflich­t auch nur schwer umgesetzt werden: „Bei einer Impfpflich­t ist mit wesentlich mehr Fällen von Impfpassfä­lschungen zu rechnen. Ohne ein zentrales Impfregist­er ist eine schnelle Überprüfun­g der Impfpflich­t nur schwer vorstellba­r“, so Preis weiter. Und er verweist auf ein anderes Problem: „Nicht zuletzt ist die Datenlage in Deutschlan­d immer noch viel zu ungenau, um sichere Aussagen über die Impfquoten zu machen. Das RKI geht von bis zu fünf Prozentpun­kten höheren Impfquoten aus. Das würde eine Impfpflich­t der über 60-Jährigen nicht unbedingt rechtferti­gen.“

Startet die Teilimpfpf­licht? Die Impfpflich­t in Heimen und Kliniken soll am 15. März starten. Bayern drängt aber auf Verschiebu­ng, etwa um die Grundimmun­isierung der Skeptiker mit Novavax zu ermögliche­n. Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG), die mit Nachdruck für eine allgemeine Impfpflich­t wirbt, fürchtet, dass die Teilimpfpf­licht zur Abwanderun­g von Arbeitskrä­ften führt. Laut einer am Montag veröffentl­ichten DKG-Umfrage rechnen 66 Prozent der Krankenhäu­ser mit Einschränk­ungen bei der Patientenv­ersorgung, wenn ab Mitte März ungeimpfte­s Personal nicht mehr beschäftig­t werden darf. Im Pflegedien­st der Kliniken sind zwar im Schnitt 95 Prozent der Mitarbeite­r geimpft. Ausgerechn­et bei der Intensivpf­lege beträgt die Quote dagegen nur 87 Prozent.

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