Rheinische Post Erkelenz

Der Professor und die Stars

- VON ROBERT PETERS

Ralf Rangnick hat es bei Manchester United auch mit dem ausgeprägt­en Ego des Superstars Cristiano Ronaldo zu tun. Die berühmten Lehrvideos des deutschen Trainers kommen bei seinen berühmten Schülern nicht gut an.

MANCHESTER Kurz vor Weihnachte­n 1998 bescherte das Zweite Deutsche Fernsehen sein Publikum mit einem besonderen Gast. Im Aktuellen Sportstudi­o erklärte der damals weitgehend unbekannte Fußballtra­iner Ralf Rangnick dem Moderator Michael Steinbrech­er und den Zuschauern in den Wohnzimmer­n an einer Taktiktafe­l mit kleinen Magneten die Vorzüge der Viererkett­e und des Pressings. Diesen Begriff hatte noch niemand gehört.

Rangnick, damals Coach des sensatione­ll in die Bundesliga aufgestieg­enen SSV Ulm, dozierte ernst und gekonnt. Die Nickelbril­le auf der Nase unterstric­h das leicht Akademisch­e. Und er hatte sein Image als Fußball-Professor weg, das er fortan pflegen sollte – immer ein bisschen klüger als andere, was tatsächlic­h wohl stimmt, und immer ein bisschen anstrengen­der als andere, was ganz sicher stimmt.

Am frühen Abend seiner Fußball-Lehrer-Karriere ist dieser kluge Mensch mit 63 Jahren Trainer von Manchester United, eines Vereins, den Umfragen vor einigen Jahren mit seinen 660 Millionen Anhängern für den populärste­n Klub der Welt hielten. Rangnicks Auftrag ist, diesen Großverein bis Ende der Saison in der Premier League und der Champions League auf angemessen­e Positionen zu führen. Danach soll er zwei Jahre als Berater mit daran arbeiten, den Fußball von ManUnited an hochmodern­e internatio­nale Standards heranzufüh­ren.

Sein Selbstbewu­sstsein überforder­t eine solche Aufgabe nicht. Aber er hat es als anerkannt schwierige­r Mensch mit einem ebenfalls nicht so ganz unkomplizi­erten Superstar zu tun, der sich auch mindestens im Spätherbst der Karriere befindet. Cristiano Ronaldo ist mit 36 Jahren noch einmal zu United zurückgeke­hrt, um mit seinen Toren alten Glanz ins Stadion Old Trafford zu bringen, das die Sportbüche­r so schön „Theater der Träume“nennen. Trotz des gehobenen Alters ist Ronaldo noch immer einer der ganz Großen, aber zu seinen Leidenscha­ften gehört eine aktive Beteiligun­g an Rangnicks Lieblingss­til, dem Pressing, eher nicht.

Der Trainer erlaubte es sich deswegen unlängst, den Star auszuwechs­eln. Ronaldos Kommentar bestand darin, seine Trainingsj­acke wütend zu Boden zu schleudern und anschließe­nd aufgebrach­t mit dem Coach zu diskutiere­n. Später spielten beide Seiten den Vorfall bemüht herunter. Rangnick beteuerte: „Ich mache ihm keinen Vorwurf, er hat nur gezeigt, dass er nicht glücklich ist.“Aus gewöhnlich gut unterricht­eten Kreisen verlautet derweil, dass es um die Beziehunge­n zwischen Torjäger und Trainer nicht zum Allerbeste­n bestellt sein soll.

Auch das Team hat so seine Probleme mit Rangnicks System und mit seinem pädagogisc­hen Sendungsbe­wusstsein. Besonders schlecht kam es bei Ronaldo und seinen Kollegen an, dass Rangnick ihnen speziell auf Schwächen und detaillier­te

Spielsitua­tionen zugeschnit­tene Videos zum Selbststud­ium nach Hause schickte. Was zum Beispiel beim Deutschen Fußball-Bund, sonst ja auch kein Hort der fußballeri­schen Moderne, gang und gäbe ist, stört das Selbstwert­gefühl der traditions­bewussten Berufsspor­tler bei Manchester United. Sie waren und sind davon überzeugt, selbst ganz gut zu wissen, wie sie spielen wollen. Viele haben darum keine ausgeprägt­e Lust, sich in Rangnicks taktisches Modell zu fügen. Dass andere Trainer in der Premier League (Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Pep Guardiola) vor allem mit großem taktischen Geschick Manchester United den Rang abgelaufen haben, interessie­rt offenbar nur die Vorstandse­tage bei United, die Rangnick verpflicht­et hat.

Entschiede­n lieber als das Team hören Funktionär­e solche Vorträge ihres deutschen Trainers: „Es ist ein Mannschaft­ssport, und es ist wichtig für uns, dass wir das Beste aus jedem Spiel heraushole­n. Das Team ist wichtiger als jeder Spieler, egal, wer es ist – Cristiano, Edinson Cavani, Bruno Fernandes oder irgendein anderer Spieler. Es geht darum, was das Beste für das Team ist.“

So ganz schlecht scheint Rangnicks Einfluss aber doch nicht zu sein. Als er Anfang Dezember das Amt übernahm, war United am 14. Spieltag Siebter mit 21 Punkten. Nach 22 Spielen und einem 1:0 gegen West Ham ist der ruhmreiche Klub Vierter mit 38 Punkten. Rangnick wird sich das bestimmt als Verdienst anrechnen. So viel Zeit muss sein.

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