Der Professor und die Stars
Ralf Rangnick hat es bei Manchester United auch mit dem ausgeprägten Ego des Superstars Cristiano Ronaldo zu tun. Die berühmten Lehrvideos des deutschen Trainers kommen bei seinen berühmten Schülern nicht gut an.
MANCHESTER Kurz vor Weihnachten 1998 bescherte das Zweite Deutsche Fernsehen sein Publikum mit einem besonderen Gast. Im Aktuellen Sportstudio erklärte der damals weitgehend unbekannte Fußballtrainer Ralf Rangnick dem Moderator Michael Steinbrecher und den Zuschauern in den Wohnzimmern an einer Taktiktafel mit kleinen Magneten die Vorzüge der Viererkette und des Pressings. Diesen Begriff hatte noch niemand gehört.
Rangnick, damals Coach des sensationell in die Bundesliga aufgestiegenen SSV Ulm, dozierte ernst und gekonnt. Die Nickelbrille auf der Nase unterstrich das leicht Akademische. Und er hatte sein Image als Fußball-Professor weg, das er fortan pflegen sollte – immer ein bisschen klüger als andere, was tatsächlich wohl stimmt, und immer ein bisschen anstrengender als andere, was ganz sicher stimmt.
Am frühen Abend seiner Fußball-Lehrer-Karriere ist dieser kluge Mensch mit 63 Jahren Trainer von Manchester United, eines Vereins, den Umfragen vor einigen Jahren mit seinen 660 Millionen Anhängern für den populärsten Klub der Welt hielten. Rangnicks Auftrag ist, diesen Großverein bis Ende der Saison in der Premier League und der Champions League auf angemessene Positionen zu führen. Danach soll er zwei Jahre als Berater mit daran arbeiten, den Fußball von ManUnited an hochmoderne internationale Standards heranzuführen.
Sein Selbstbewusstsein überfordert eine solche Aufgabe nicht. Aber er hat es als anerkannt schwieriger Mensch mit einem ebenfalls nicht so ganz unkomplizierten Superstar zu tun, der sich auch mindestens im Spätherbst der Karriere befindet. Cristiano Ronaldo ist mit 36 Jahren noch einmal zu United zurückgekehrt, um mit seinen Toren alten Glanz ins Stadion Old Trafford zu bringen, das die Sportbücher so schön „Theater der Träume“nennen. Trotz des gehobenen Alters ist Ronaldo noch immer einer der ganz Großen, aber zu seinen Leidenschaften gehört eine aktive Beteiligung an Rangnicks Lieblingsstil, dem Pressing, eher nicht.
Der Trainer erlaubte es sich deswegen unlängst, den Star auszuwechseln. Ronaldos Kommentar bestand darin, seine Trainingsjacke wütend zu Boden zu schleudern und anschließend aufgebracht mit dem Coach zu diskutieren. Später spielten beide Seiten den Vorfall bemüht herunter. Rangnick beteuerte: „Ich mache ihm keinen Vorwurf, er hat nur gezeigt, dass er nicht glücklich ist.“Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet derweil, dass es um die Beziehungen zwischen Torjäger und Trainer nicht zum Allerbesten bestellt sein soll.
Auch das Team hat so seine Probleme mit Rangnicks System und mit seinem pädagogischen Sendungsbewusstsein. Besonders schlecht kam es bei Ronaldo und seinen Kollegen an, dass Rangnick ihnen speziell auf Schwächen und detaillierte
Spielsituationen zugeschnittene Videos zum Selbststudium nach Hause schickte. Was zum Beispiel beim Deutschen Fußball-Bund, sonst ja auch kein Hort der fußballerischen Moderne, gang und gäbe ist, stört das Selbstwertgefühl der traditionsbewussten Berufssportler bei Manchester United. Sie waren und sind davon überzeugt, selbst ganz gut zu wissen, wie sie spielen wollen. Viele haben darum keine ausgeprägte Lust, sich in Rangnicks taktisches Modell zu fügen. Dass andere Trainer in der Premier League (Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Pep Guardiola) vor allem mit großem taktischen Geschick Manchester United den Rang abgelaufen haben, interessiert offenbar nur die Vorstandsetage bei United, die Rangnick verpflichtet hat.
Entschieden lieber als das Team hören Funktionäre solche Vorträge ihres deutschen Trainers: „Es ist ein Mannschaftssport, und es ist wichtig für uns, dass wir das Beste aus jedem Spiel herausholen. Das Team ist wichtiger als jeder Spieler, egal, wer es ist – Cristiano, Edinson Cavani, Bruno Fernandes oder irgendein anderer Spieler. Es geht darum, was das Beste für das Team ist.“
So ganz schlecht scheint Rangnicks Einfluss aber doch nicht zu sein. Als er Anfang Dezember das Amt übernahm, war United am 14. Spieltag Siebter mit 21 Punkten. Nach 22 Spielen und einem 1:0 gegen West Ham ist der ruhmreiche Klub Vierter mit 38 Punkten. Rangnick wird sich das bestimmt als Verdienst anrechnen. So viel Zeit muss sein.