Das queere Outing in der katholischen Kirche
Cityseelsorger Christoph Simonsen und Pfadfinderin Corinna Hilgner sind homosexuell und stehen im Dienste der katholischen Kirche. Die beiden aus Mönchengladbach sind Teil von „Outinchurch“, dem großen Coming-out in der Kirche. Simonsen hat ein Jahr daran
MÖNCHENGLADBACH Christoph Simonsen (65) ist seit 40 Jahren Priester im Dienst des Bistums Aachen. Auf einen Tag wie diesen Montag hat er lange gewartet. Auf seine und die Initiative dreier weiterer katholischer Geistliche hin haben sich deutschlandweit rund 125 Mitarbeiter, Männer wie Frauen, der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit als queer bekannt. Sie weichen also mit ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität von der heterosexuellen Geschlechternorm ab. Aus Mönchengladbach ist nicht nur Simonsen dabei, auch Corinna Hilgner von der Deutschen Pfadfindergesellschaft St. Georg gehört dazu. Alle sind Teil der Dokumentation „Wie Gott uns schuf“, die die ARD am Montag gesendet hat und die in der Mediathek abrufbar ist. „Outinchurch“heißt das Projekt.
Am Montag stand Simonsens Telefon als einer der maßgeblichen Organisatoren nicht still. Journalisten und TV-Sender nicht nur aus Deutschland wollten Interviews. Bis dahin arbeitete er mit einem kleinen Kreis im Verborgenen daran, möglichst viele Queere und Homosexuelle in der katholischen Kirche vom Coming-out zu überzeugen. Geheim deshalb, um keine Widerstände vorab zu erzeugen.
Auch seine eigene Geschichte erzählt er in der TV-Dokumentation. „Ich war ein junger, unerfahrener Kaplan in Krefeld. In der Jugendgruppe, die ich damals betreut habe, hat sich ein Jugendlicher als schwul geoutet.“Bewundert habe er diesen jungen Mann für dessen Offenheit und Ehrlichkeit. „Ich bin dadurch in eine große psychische Krise gekommen, dass ich mich gefragt habe: Wer bin ich?“Zuhause hat er darüber nicht viel gelernt. „Ich bin in den 1950er Jahren geboren. Da war Sexualität in der Erziehung kein Thema. Ich hatte mein eigenes Coming-out erst sehr spät nach meiner Priesterweihe 1982.“Er sei dann zu Bischof Klaus Hemmerle nach Aachen gefahren und habe gesagt: „Bitte sag mir: Geht das in dieser Kirche?“In seinem Fall ging es, Simonsen bezeichnet dies als Glücksfall, der keine Selbstverständlichkeit ist. Im Gegenteil: „Es ändert sich einfach nichts in dieser Kirche, und das ist tragisch und macht wütend.“Es folgten immer wieder auch Anfeindungen, Verletzungen, Demütigungen. Auch heute noch erreichen ihn Mails und Anrufe mit Beschimpfungen.
Ähnliches bekommt er auch von Mitarbeitern in anderen kirchlichen Einrichtungen mit. Etwa ein Krankenpfleger im Dienste der Caritas, der auf einer Intensivstation in einem Krankenhaus außerhalb Mönchengladbachs tätig war. „Als er vor zwei Jahren seinen Mann geheiratet hat, wurde ihm fristlos gekündigt“, sagt Simonsen. „Wer nicht nach der Lehre der Kirche lebt, dem bleibt nur zu lügen oder zu gehen.“
Corinna Hilgner ist in der katholischen Kirche aufgewachsen und lesbisch. Die 31-Jährige aus Mönchengladbach arbeitet für die deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg in Wegberg und schult die Leitungskräfte der Stämme unter anderem darin, geschlechtersensibel miteinander und mit queeren Jugendlichen umzugehen. Das erste Mal in ein Mädchen verliebte sie sich in der zweiten Klasse. Dass sie nun mutig zu sich selbst stehen darf, war für sie nicht immer möglich, berichtet sie. Denn sie hatte lange Schwierigkeiten, ihren Glauben und ihre Sexualität zugleich auszuleben.
Als Corinna Hilgner ihre Arbeit für die katholische Kirche aufnahm, merkte sie bald, „dass der Wind in der Pfadfinderschaft anders weht“, sagt sie. 2019 in einem Seminar zum katholischen Arbeitsrecht fasste sie sich ein Herz und fragte: „Ich bin lesbisch, was würde das bedeuten, wenn ich mich oute?“Ihre Dozentin habe dann erklärt, je nachdem wen sie wenn sie lange damit gehadert hat. „Wenn ich damals so etwas gehabt hätte, dann hätte ich mich nicht so als Fremdkörper wahrgenommen“, betont sie. Sie wolle damit nicht als Opfer gesehen werden, sondern: „Ich sehe mich als Teil einer Bewegung, die dafür etwas tut, dass Menschen in der Kirche aufgenommen werden. Kirche ist nicht nur schwarzweiß. Es ist einfach über Kirche zu schimpfen, sogar sehr einfach“, sagt die 31-Jährige. „Aber wenn man etwas verändern will, dann muss man etwas dafür tun, man darf nicht weglaufen, sondern muss kämpfen.“Nordrhein-Westfalen Seite A3