Das katholischste Klavierstück der Welt
Theologie nach Noten: Der grandiose französische Pianist Pierre-Laurent Aimard spielte Olivier Messiaens riesigen Zyklus „20 Blicke auf das Jesuskind“in der Kölner Philharmonie.
auch auf die Schweigegelübde der Musik einließ. Er ließ uns die kleinen Wunder einer Musik bestaunen, die eine Art hypertheologisches Krippenspiel ist, bei dem die Muttergottes, die Hirten, die Engel und alle anderen vorkommen. Aber jenseits konkreter Bibelszenen begibt sich der Zyklus immer wieder auf abstrakte Ebenen, von mysteriösen Satzüberschriften wunderlich angedeutet: „Blick des Sternes“, „Das allmächtige Wort“oder „Blick der furchterregenden Salbung“. Wer bis zu diesem Abend nicht fromm war, der ist es jetzt.
Oder auch nicht. Die Musik lässt sich nämlich auch als rein technische Meisterleistung, als Feuerwerk von Inspiration und Gedankenschärfe bestaunen. Unendlich streng ist sie konstruiert, es gibt Kanontechniken und Reihenkombinationen, Krebsgänge, Spiegelungen und Krebsspiegelungen, also das ganze Tüftelzeug aus dem Experimentalbüro des 20. Jahrhunderts, das man von Komponisten wie Schönberg, Webern, Krenek und Strawinsky kennt. Messiaen steht ebenfalls in der Galerie der großen Meister, doch bleibt er bei aller formal-methodischen Sicherheit immer der ehrfürchtigste Diener des lieben Gottes und der heiligen Cäcilia. Im Parnass der Agnostiker war er der Glaubensfeste, der die himmlische Liebe und die erzene Majestät der Kirche bekräftigte, wenn die Welt ringsum in tiefem Zweifel lag. Und wenn er im Fortissimo die zeitlose Gewalt des Kreuzes dröhnen lässt, hallt diese Musik wie ein Titel einer Bach-Kantate: O Ewigkeit, du Donnerwort.
Natürlich floss im Laufe des Abends auch jene typische Messiaen-Süße in den Klang, die den aufmerksamen Hörer möglicherweise sogar verwirrte. Anfangs ließ die Zuckerfee ihre Kandis-Kristalle noch vorsichtig rieseln, doch nach dem gefühlt 1257. Akkord in Fis-Dur (Messiaens Lieblingstonart der Transzendenz Gottes) spürte man irgendwie ein kleines mentales Zwicken, wie den Beginn von Karies im Kopf. Dann sind Akkorde nämlich nicht nur wie aus Bronze, sonor und dunkel, sie haben auch einen Anflug von Kitsch, vor allem wenn die Musik am Ende ohnedies nach Weihrauch und schwerem Parfüm klingt.
Um 22.35 Uhr, nach dem „Blick der liebenden Kirche“, waren alle Beteiligten erschlagen, narkotisiert, verwirrt und beglückt. Das „Thema des Vaters“hatte Messiaens Prediger Aimard ein letztes Mal in die Klaviatur gejubelt. Danach war es vorbei. Gott sei Dank. Halleluja.