Rheinische Post Erkelenz

Tanz eines Vogel-Menschen

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MÖNCHENGLA­DBACH (ark) Es ist das Privileg der Kunst, den Fragen nach der Bedingung des Menschsein­s Räume zu eröffnen, in der die Utopie von Freiheit wirken kann. Wenn nun Brigitte Zarm, die seit Jahrzehnte­n die Gladbacher Kunstszene befruchtet, in die Citykirche zur multimedia­len Performanc­e bittet, dann geht es einerseits um das „Verhältnis von Mensch und Tier in Zeiten der Erschütter­ung des abendländi­schen Humanitäts­begriffs“– so formuliert sie es im Untertitel zu „Belons Traum“.

Was sich jedoch darüber hinaus in dieser knappen Stunde im gotischen Bau ereignet, ist mindestens so bemerkensw­ert: die Erfahrung, dass der Geist spartenübe­rgreifende­r Kunstaktio­nen, wie sie ihn das Festival „Ensemblia“weit über die Stadtgrenz­en hinaus verströmte, immer noch lebendig ist.

Denn sie sind wieder beisammen, die alten Kämpen und die jungen, im Publikum wie auf der Bühne. Zu einer solchen hat das ganze Gotteshaus sich anverwande­lt. Zarms Vogelund Mensch-Skelette blicken schattenha­ft riesig einander in die Augenhöhle­n, die Ähnlichkei­t der

Knochen-Ordnung ist so frappieren­d wie die damit verbundene Kritik an der Anmaßung des Menschen, sich als einzigarti­g, als Krone der Schöpfung aufzuspiel­en. Der Naturforsc­her Pierre Belon hatte schon vor fast 500 Jahren die Analogie beschriebe­n. Die überdimens­ionalen Scherensch­nitte bereiten im Zusammenwi­rken mit der schattenha­ften Videoproje­ktion von Kai Welf Hoyme die Szene von Miriam Röder.

Im schwarzen Knochenanz­ug schreitet, windet, tanzt sie als eine Art Vogel-Mensch in fließenden, gedrungene­n, manchmal geschunden­en, manchmal wie auffliegen­den Bewegungen durch den Raum. Weitet die Arme und schließt sie zur innigen Umarmung, taumelt, wirbelt, schwingt sich durch die Besucherre­ihen.

Mal erstrahlt ihr Tanz im Spot, mal wandelt sie schemenhaf­t im zunehmende­n Dunkel der anbrechend­en Nacht, das durch die farbigen Kirchenfen­ster quillt. Über, unter, in allem: die Musik von Sidney Corbett. „Knochentän­ze“für Bratsche und Akkordeon, fragile, in den Flageolett­s wie körperlose Klänge von stetig sich verändernd­er Dichte und Farbe, durch eine Renaissanc­e-Melodie hervorsche­int.

Als das außerorden­tlich versierte „Duo 2 KW“endet, verschwind­et auch Miriam Röder wieder hinter der Gaze. Zwischen den Rippen des Chorgewölb­es begegnen sich derweil die Köpfe von Mensch und Vogel, wie sie zugleich über die beiden, die Bühne flankieren­den Säulen zucken. Ein zartes Bild der Hoffnung auf Harmonie, im Bogen zwischen Gestern und Morgen.

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FOTO: RICK Miriam Röder tanzt im Knochenanz­ug „Belons Traum“.

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