„Ein Weiter so hält die Veränderung nicht auf“
Die Grünen-Chefin räumt ein, dass der Staat nicht alle Belastungen abfedern kann und kritisiert die alte Regierung.
Frau Lang, in NRW zeichnet sich ein schwarz-grünes Bündnis ab. Eine Blaupause für den Bund?
LANG Das grüne Wahlergebnis in NRW zeigt, dass sich viele Menschen eine Politik wünschen, die den Wandel aktiv anpackt. NRW war und ist massiv vom Strukturwandel betroffen, ganze Industriezweige sind weggebrochen. Die Menschen dort haben erlebt, was es bedeutet, wenn Veränderungen nicht gestaltet, sondern ausgesessen werden. Wir treten dafür an, das Land klimaneutral und gerechter zu machen. Wer mit uns in NRW diesen Weg gehen und das in Regierungshandeln umsetzen will, das werden die nächsten Wochen zeigen. Im Bund sind wir schon unterwegs auf diesem Weg.
SPD und FDP haben in NRW verloren. Wie verändert die grüne Stärke die Machtkonstellation im Bund? LANG Im NRW-Wahlkampf haben alle AmpelPartner für ihre Ideen geworben, trotzdem ist es uns gelungen, den Wahlkampf nicht in die Bundesregierung zu tragen. Es ging nicht darum, sich gegenseitig zu übertrumpfen, weil wir wissen, welche Aufgaben wir zu bewältigen haben: die Folgen eines Angriffskriegs auf europäischem Boden zu händeln. Deswegen müssen wir zusammenhalten, und wir liefern konstant: letzte Woche der Auftakt zur größten Bafög-Reform seit Jahrzehnten, diese Woche das Sanktionsmoratorium, das für Menschen, die Hartz IV beziehen, einen echten Unterschied macht.
Wie nervös erleben Sie den Kanzler zurzeit?
LANG Ich habe Olaf Scholz bisher selten nervös erlebt (lacht). Auch momentan nicht. Ich erlebe eine Bundesregierung, die in dieser Krise ruhig und geschlossen im Sinne der Menschen im Land agiert.
Es gibt Zoff beim 100-MilliardenSondervermögen. Woran scheitert die Einigung bisher?
LANG Es gibt eine gemeinsame Linie der Ampel und die steht im Kabinettsbeschluss. Darin steht, dass wir ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bündnis
und Verteidigungsfähigkeit einrichten werden. Es hakt im Moment daran, dass die Union nicht bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Mein Verständnis dafür schwindet zusehends. Die Union hat 16 Jahre lang ihre Verantwortung für die Ausstattung und Ressourcen der Bundeswehr nicht ausreichend wahrgenommen, da fehlt es selbst an absoluter Grundausstattung wie Unterwäsche. Ich erwarte jetzt, dass sie die dringend nötigen Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten nicht weiter hinauszögert.
Sollen die Mittel ausschließlich in die Bundeswehr investiert werden? LANG Die Mittel sollen für die Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit ausgegeben werden. Das stärkt die Streitkräfte und rüstet uns für Aufgaben der Zukunft, etwa durch Investitionen in die Cybersicherheit. Wie relevant Investitionen in die Bündnisfähigkeit sind, sehen wir doch jetzt an der wachsenden Bedeutung der Nato. Erst gerade haben Finnland und Schweden angekündigt, der Nato beitreten zu wollen, was ich sehr befürworte. Warum die Union gerade in dieser Zeit die Bündnisfähigkeit streichen will, erschließt sich mir nicht.
Für die Grundgesetz-Änderung brauchen Sie die Union. Wie wollen Sie sie überzeugen?
LANG Ich würde mir wünschen, dass weniger parteitaktisch und mehr inhaltlich argumentiert wird. Ich habe von Herrn Merz und den Außenpolitikern der Union noch keine stichhaltigen Argumente gehört, die gegen die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit sprechen. Stattdessen wird so getan, als würde irgendjemand das Sondervermögen in Windräder investieren wollen. Das ist doch Quatsch.
Am 1. Juni soll das Neun-Euro-Monatsticket starten. Wird das Gesetz in dieser Woche abgesegnet?
LANG Ich bin mir sicher, dass das Neun-Euro-Ticket ein großer Erfolg wird. Es wird ÖPNV-Nutzer und -Nutzerinnen finanziell entlasten, das hilft gerade Geringverdienern. Und für Neueinsteiger ist es eine Gelegenheit, den ÖPNV für sich zu entdecken.
Wird der Bund dafür mehr als die zugesagten 3,7 Milliarden an die Länder überweisen?
LANG Für das Neun-Euro-Ticket stehen die geplanten Mittel fest. Aber natürlich muss der ÖPNV auch dauerhaft attraktiver und günstiger für die Menschen werden, und wir müssen in neue Strecken und mehr Züge investieren. Dazu und auch über die Erhöhung der Regionalisierungsmittel müssen Bund und Länder im Gespräch bleiben.
Teil des Entlastungspakets ist auch das Energiesparen. Wie hoch soll die Förderung beim Heizungsaustausch für private Haushalte ausfallen und ab wann soll sie starten?
LANG Höhe und Startpunkt wird das Wirtschaftsministerium klären. Wichtig ist mir das Signal, dass wir jetzt gemeinsam auf Energiesparen setzen müssen: Eine effiziente Heizung verbraucht weniger. Das ist gut für das Klima, für die Unabhängigkeit von Wladimir Putin und für den eigenen Geldbeutel. Aber natürlich kann sich nicht jeder leisten, eine Wärmepumpe einzubauen, deswegen braucht es die Unterstützung über das Wärmepumpen-Programm. Zentral ist aber auch der Stromsparcheck, der gerade Menschen mit kleinerem Einkommen berät. So lassen sich mit kleinen Anpassungen bis zu 20 Prozent Energie einsparen.
Sind die Kosten für eine Wärmepumpe geringer, als wenn man weiterhin mit Gas oder Öl heizt?
LANG Wenn man jetzt in eine Wärmepumpe investiert, wird es am Ende billiger sein, als weiterhin auf Gas oder Öl zu setzen. Denn die steigenden Preise hängen ganz erheblich mit der Unsicherheit auf dem Energiemarkt zusammen. Wir erleben gerade eine fossile Inflation. Das wird sich fortsetzen, wenn wir nicht unabhängiger werden von Kohle, Öl und Gas. Deswegen ist jetzt der Zeitpunkt zu handeln. Das heißt auch: Wir müssen alle zusammen Energie sparen. Das gilt für die Politik, die strukturell den Rahmen setzen und Fördergelder bereitstellen muss. Und das gilt für die Industrie und uns Bürgerinnen und Bürger. Jede Kilowattstunde Gas, die nicht verbraucht wird, macht uns unabhängiger.
Der Krieg schürt Sorgen und Existenzängste. Befürchten Sie, dass der Klimaschutz in den Hintergrund gerät?
LANG Das werden wir nicht zulassen. Natürlich müssen wir im Hier und Jetzt schnelle, pragmatische Lösungen etwa für die Energiesicherheit finden. Deswegen tragen wir als Grüne etwa den Bau von LNG-Terminals mit. Langfristig wird aber nur eine Gesellschaft, die drängende Probleme wie die Klimakrise ernst nimmt, auch für künftige Krisen gewappnet sein. Deswegen bleibt es die größte Aufgabe dieser Regierung und dieser politischen Generation, den Klimaschutz ernst zu nehmen und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Beispiel NRW-Wahl: Die Preissteigerungen waren das große Thema dieses Wahlkampfes und viele Menschen haben die Grünen gerade wegen unseres Kurses in Richtung klimaneutraler Wirtschaft gewählt. Wir können einen neuen Wohlstand schaffen, der auf echter Krisenfestigkeit aufbaut. Das wird langfristig zu mehr Arbeitsplätzen, zu niedrigeren Preisen, zu mehr sozialer Sicherheit führen.
Sie räumen auch ein, dass der Staat nicht alle Belastungen abfedern kann. Wie geht das zusammen? LANG Den meisten ist klar, dass ein politisches Weiter so die Veränderung nicht aufhalten kann. Es gibt mehr Halt, den Wandel anzunehmen und zu gestalten, als ihn wegzureden. Gerade weil die letzten Bundesregierungen viele Hebel nicht in Bewegung gesetzt haben, sind wir doch jetzt so abhängig von russischer Energie. Der Weg hin zum klimaneutralen Wohlstand ist natürlich eine riesige Aufgabe. Aber wir haben zwei Alternativen: die Welle zu reiten oder uns von ihr überrollen zu lassen.