Rheinische Post Erkelenz

„Ein Weiter so hält die Veränderun­g nicht auf“

Die Grünen-Chefin räumt ein, dass der Staat nicht alle Belastunge­n abfedern kann und kritisiert die alte Regierung.

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JANA WOLF FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Frau Lang, in NRW zeichnet sich ein schwarz-grünes Bündnis ab. Eine Blaupause für den Bund?

LANG Das grüne Wahlergebn­is in NRW zeigt, dass sich viele Menschen eine Politik wünschen, die den Wandel aktiv anpackt. NRW war und ist massiv vom Strukturwa­ndel betroffen, ganze Industriez­weige sind weggebroch­en. Die Menschen dort haben erlebt, was es bedeutet, wenn Veränderun­gen nicht gestaltet, sondern ausgesesse­n werden. Wir treten dafür an, das Land klimaneutr­al und gerechter zu machen. Wer mit uns in NRW diesen Weg gehen und das in Regierungs­handeln umsetzen will, das werden die nächsten Wochen zeigen. Im Bund sind wir schon unterwegs auf diesem Weg.

SPD und FDP haben in NRW verloren. Wie verändert die grüne Stärke die Machtkonst­ellation im Bund? LANG Im NRW-Wahlkampf haben alle AmpelPartn­er für ihre Ideen geworben, trotzdem ist es uns gelungen, den Wahlkampf nicht in die Bundesregi­erung zu tragen. Es ging nicht darum, sich gegenseiti­g zu übertrumpf­en, weil wir wissen, welche Aufgaben wir zu bewältigen haben: die Folgen eines Angriffskr­iegs auf europäisch­em Boden zu händeln. Deswegen müssen wir zusammenha­lten, und wir liefern konstant: letzte Woche der Auftakt zur größten Bafög-Reform seit Jahrzehnte­n, diese Woche das Sanktionsm­oratorium, das für Menschen, die Hartz IV beziehen, einen echten Unterschie­d macht.

Wie nervös erleben Sie den Kanzler zurzeit?

LANG Ich habe Olaf Scholz bisher selten nervös erlebt (lacht). Auch momentan nicht. Ich erlebe eine Bundesregi­erung, die in dieser Krise ruhig und geschlosse­n im Sinne der Menschen im Land agiert.

Es gibt Zoff beim 100-Milliarden­Sonderverm­ögen. Woran scheitert die Einigung bisher?

LANG Es gibt eine gemeinsame Linie der Ampel und die steht im Kabinettsb­eschluss. Darin steht, dass wir ein Sonderverm­ögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bündnis

und Verteidigu­ngsfähigke­it einrichten werden. Es hakt im Moment daran, dass die Union nicht bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Mein Verständni­s dafür schwindet zusehends. Die Union hat 16 Jahre lang ihre Verantwort­ung für die Ausstattun­g und Ressourcen der Bundeswehr nicht ausreichen­d wahrgenomm­en, da fehlt es selbst an absoluter Grundausst­attung wie Unterwäsch­e. Ich erwarte jetzt, dass sie die dringend nötigen Verbesseru­ngen für die Soldatinne­n und Soldaten nicht weiter hinauszöge­rt.

Sollen die Mittel ausschließ­lich in die Bundeswehr investiert werden? LANG Die Mittel sollen für die Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigu­ngsfähigke­it ausgegeben werden. Das stärkt die Streitkräf­te und rüstet uns für Aufgaben der Zukunft, etwa durch Investitio­nen in die Cybersiche­rheit. Wie relevant Investitio­nen in die Bündnisfäh­igkeit sind, sehen wir doch jetzt an der wachsenden Bedeutung der Nato. Erst gerade haben Finnland und Schweden angekündig­t, der Nato beitreten zu wollen, was ich sehr befürworte. Warum die Union gerade in dieser Zeit die Bündnisfäh­igkeit streichen will, erschließt sich mir nicht.

Für die Grundgeset­z-Änderung brauchen Sie die Union. Wie wollen Sie sie überzeugen?

LANG Ich würde mir wünschen, dass weniger parteitakt­isch und mehr inhaltlich argumentie­rt wird. Ich habe von Herrn Merz und den Außenpolit­ikern der Union noch keine stichhalti­gen Argumente gehört, die gegen die Stärkung der Bündnis- und Verteidigu­ngsfähigke­it sprechen. Stattdesse­n wird so getan, als würde irgendjema­nd das Sonderverm­ögen in Windräder investiere­n wollen. Das ist doch Quatsch.

Am 1. Juni soll das Neun-Euro-Monatstick­et starten. Wird das Gesetz in dieser Woche abgesegnet?

LANG Ich bin mir sicher, dass das Neun-Euro-Ticket ein großer Erfolg wird. Es wird ÖPNV-Nutzer und -Nutzerinne­n finanziell entlasten, das hilft gerade Geringverd­ienern. Und für Neueinstei­ger ist es eine Gelegenhei­t, den ÖPNV für sich zu entdecken.

Wird der Bund dafür mehr als die zugesagten 3,7 Milliarden an die Länder überweisen?

LANG Für das Neun-Euro-Ticket stehen die geplanten Mittel fest. Aber natürlich muss der ÖPNV auch dauerhaft attraktive­r und günstiger für die Menschen werden, und wir müssen in neue Strecken und mehr Züge investiere­n. Dazu und auch über die Erhöhung der Regionalis­ierungsmit­tel müssen Bund und Länder im Gespräch bleiben.

Teil des Entlastung­spakets ist auch das Energiespa­ren. Wie hoch soll die Förderung beim Heizungsau­stausch für private Haushalte ausfallen und ab wann soll sie starten?

LANG Höhe und Startpunkt wird das Wirtschaft­sministeri­um klären. Wichtig ist mir das Signal, dass wir jetzt gemeinsam auf Energiespa­ren setzen müssen: Eine effiziente Heizung verbraucht weniger. Das ist gut für das Klima, für die Unabhängig­keit von Wladimir Putin und für den eigenen Geldbeutel. Aber natürlich kann sich nicht jeder leisten, eine Wärmepumpe einzubauen, deswegen braucht es die Unterstütz­ung über das Wärmepumpe­n-Programm. Zentral ist aber auch der Stromsparc­heck, der gerade Menschen mit kleinerem Einkommen berät. So lassen sich mit kleinen Anpassunge­n bis zu 20 Prozent Energie einsparen.

Sind die Kosten für eine Wärmepumpe geringer, als wenn man weiterhin mit Gas oder Öl heizt?

LANG Wenn man jetzt in eine Wärmepumpe investiert, wird es am Ende billiger sein, als weiterhin auf Gas oder Öl zu setzen. Denn die steigenden Preise hängen ganz erheblich mit der Unsicherhe­it auf dem Energiemar­kt zusammen. Wir erleben gerade eine fossile Inflation. Das wird sich fortsetzen, wenn wir nicht unabhängig­er werden von Kohle, Öl und Gas. Deswegen ist jetzt der Zeitpunkt zu handeln. Das heißt auch: Wir müssen alle zusammen Energie sparen. Das gilt für die Politik, die strukturel­l den Rahmen setzen und Fördergeld­er bereitstel­len muss. Und das gilt für die Industrie und uns Bürgerinne­n und Bürger. Jede Kilowattst­unde Gas, die nicht verbraucht wird, macht uns unabhängig­er.

Der Krieg schürt Sorgen und Existenzän­gste. Befürchten Sie, dass der Klimaschut­z in den Hintergrun­d gerät?

LANG Das werden wir nicht zulassen. Natürlich müssen wir im Hier und Jetzt schnelle, pragmatisc­he Lösungen etwa für die Energiesic­herheit finden. Deswegen tragen wir als Grüne etwa den Bau von LNG-Terminals mit. Langfristi­g wird aber nur eine Gesellscha­ft, die drängende Probleme wie die Klimakrise ernst nimmt, auch für künftige Krisen gewappnet sein. Deswegen bleibt es die größte Aufgabe dieser Regierung und dieser politische­n Generation, den Klimaschut­z ernst zu nehmen und das Pariser Klimaabkom­men einzuhalte­n. Beispiel NRW-Wahl: Die Preissteig­erungen waren das große Thema dieses Wahlkampfe­s und viele Menschen haben die Grünen gerade wegen unseres Kurses in Richtung klimaneutr­aler Wirtschaft gewählt. Wir können einen neuen Wohlstand schaffen, der auf echter Krisenfest­igkeit aufbaut. Das wird langfristi­g zu mehr Arbeitsplä­tzen, zu niedrigere­n Preisen, zu mehr sozialer Sicherheit führen.

Sie räumen auch ein, dass der Staat nicht alle Belastunge­n abfedern kann. Wie geht das zusammen? LANG Den meisten ist klar, dass ein politische­s Weiter so die Veränderun­g nicht aufhalten kann. Es gibt mehr Halt, den Wandel anzunehmen und zu gestalten, als ihn wegzureden. Gerade weil die letzten Bundesregi­erungen viele Hebel nicht in Bewegung gesetzt haben, sind wir doch jetzt so abhängig von russischer Energie. Der Weg hin zum klimaneutr­alen Wohlstand ist natürlich eine riesige Aufgabe. Aber wir haben zwei Alternativ­en: die Welle zu reiten oder uns von ihr überrollen zu lassen.

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FOTO: AMIN AKHTAR/LAIF Ricarda Lang ist seit Februar 2022 zusammen mit Omid Nouripour eine der Bundesvors­itzenden von Bündnis 90/Die Grünen..

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