Mannesmann ist nun endgültig Geschichte
Mit dem Aus des Röhrenwerks endet kläglich die Historie von Mannesmann, zu der Pioniergeist und eine Übernahmeschlacht gehören.
DÜSSELDORF Mit Wut und Enttäuschung hat die Belegschaft des Vallourec-Röhrenwerks in Düsseldorf auf die Entscheidung des Konzerns reagiert, den Standort und das Werk in Mülheim zu schließen. 2400 Mitarbeiter verlieren bis 2023 ihre Arbeit. Hunderte hatten sich am Mittag auf dem Fabrikgelände versammelt. Mit lautem Jubel stimmten sie den Forderungen von Betriebsratschef Vilson Gegic zu. Wiederholt forderte er den Konzern dazu auf, wenigstens einen fairen Sozialtarifvertrag abzuschließen.
Auch Herbert Schaaff, Personalchef von Vallourec Deutschland, trat vor die Mitarbeiter, die ihn sogar mit Applaus empfingen. Die deutsche Geschäftsführung stehe trotz der „dramatischen Konsequenzen“zu der Entscheidung, sie sei aus ökonomischer Sicht richtig. Jetzt gehe es darum, „anständig und fair“miteinander umzugehen. Verhandlungen über einen Sozialtarif sagte er zu. Betriebsratschef Gegic sprach von „der schlimmsten Rede, die man halten kann“. Die Entscheidung nannte er historisch, „eine für die Geschichtsbücher“, und erinnerte an Mitarbeiter, die seit 30 oder 40 Jahren im Werk arbeiten.
Historisch ist die Schließung des Vallourec-Werks in der Tat: Damit verschwindet das letzte Stück Mannesmann aus Düsseldorf. Das letzte Stück des Unternehmens, das die Stadt über Jahrzehnte geprägt und sich mit spektakulären Ereignissen in die europäische Wirtschaftsgeschichte eingeschrieben hat. Begonnen hatte alles recht unspektakulär – in Remscheid. Die Brüder Reinhard und Max Mannesmann arbeiteten in der Feilenfabrik des Vaters und erfanden dort 1884 ein Verfahren, das die Stahlwelt revolutionierte: das Walzverfahren zur Herstellung nahtloser Stahlrohre. Dazu wird ein Stahlblock in der Mitte gelocht, sodass ein Hohlkörper entsteht, der dann bis zum Rohr ausgestreckt wird. Doppelter Vorteil: Nahtlose Rohre sind stabiler als Stück für Stück geschweißte und lassen sich im industriellen Maßstab herstellen. Mannesmann lieferte so die Adern für die Industrialisierung Deutschlands und später für Europas Gaspipeline-System. 1893 wurde der Sitz nach Düsseldorf verlegt.
In der Nazizeit beutete das Unternehmen Zwangsarbeiter aus, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von den Alliierten zerschlagen. 1955 wurde Mannesmann neu gegründet, 1969 die MannesmannRöhrenwerke als Teil davon.
Globale Schlagzeilen machte der Konzern in den 1990er-Jahren. Im Geiste der Brüder Mannesmann setzte er auf Innovationen, stellte Werkzeugmaschinen und Anlagen her. Folgerichtig stieg man in die Technologie der Zukunft ein: Mobilfunk. Mannesmann baute mit D 2 eines der großen Netze auf. Aus dem Röhren- sollte ein MobilfunkRiese werden. Durchaus weitsichtig: Die Macht des Internets war damals noch nicht zu erahnen. Parallel gingen die Röhrenwerke ein Joint Venture mit dem französischen Konzern Vallourec ein. Mannesmann-Chef Klaus Esser kaufte überall in Europa Mobilfunker auf, auch das britische Mobilfunk-Juwel Orange. Das war der Schritt zu weit: Der dortige Platzhirsch Vodafone fühlte sich herausgefordert. 1999 holte VodafoneChef Chris Gent zur feindlichen Kaperung der Düsseldorfer aus. Eine Übernahmeschlacht wie nie begann. Im Februar 2000 streckte Esser die Waffen. Am Ende legte Vodafone 190 Milliarden Euro auf den Tisch, bis heute die teuerste Übernahme der Welt.
Spektakulär war auch das juristische Nachspiel: Im Zusammenhang mit Prämienzahlungen wurden unter anderem die Aufsichtsräte Josef Ackermann (Chef der Deutschen Bank) und Klaus Zwickel (Chef der IG Metall) wegen des Verdachts der Untreue angeklagt; Klaus Esser wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Untreue. Nach vielen Wendungen wurde das Verfahren 2006 gegen eine Geldauflage eingestellt. Das Victory-Zeichen von Ackermann im Landgericht Düsseldorf wurde zum Symbol für die Arroganz der Wirtschaftselite.
Im Zuge der Übernahme wurde alles, was nicht Mobilfunk war, verkauft, auch die Tachos von VDO und die Hydraulik von Rexroth. Siemens und Bosch griffen sich die Perlen. Die Röhrenwerke gingen an den Stahlhersteller Salzgitter, der reichte sie 2005 an Vallourec weiter. Die alte Zentrale, das MannesmannHochhaus am Rhein, ein Denkmal der modernen Architektur, ging an das Land. Heute sitzt hier das Wirtschaftsministerium.
Doch glücklich wurde die neue Ehe nicht. Längst ist das Patent abgelaufen, längst können auch andere nahtlose Rohre herstellen, und das oft billiger. Vallourec Deutschland hat sieben Jahre Verluste hinter sich. 2020 schlossen die Franzosen das Werk in Düsseldorf-Reisholz, nun folgen die letzten deutschen Werke. Wirtschaftlich nachvollziehbar, für die Menschen ein Schlag, historisch ein Bruch. Betriebsratschef Gegic bleibt nur die Abwicklung: „Wir fühlen Enttäuschung und eine seelische Leere.“