Rheinische Post Erkelenz

Mannesmann ist nun endgültig Geschichte

Mit dem Aus des Röhrenwerk­s endet kläglich die Historie von Mannesmann, zu der Pioniergei­st und eine Übernahmes­chlacht gehören.

- VON ALEXANDER ESCH UND ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Mit Wut und Enttäuschu­ng hat die Belegschaf­t des Vallourec-Röhrenwerk­s in Düsseldorf auf die Entscheidu­ng des Konzerns reagiert, den Standort und das Werk in Mülheim zu schließen. 2400 Mitarbeite­r verlieren bis 2023 ihre Arbeit. Hunderte hatten sich am Mittag auf dem Fabrikgelä­nde versammelt. Mit lautem Jubel stimmten sie den Forderunge­n von Betriebsra­tschef Vilson Gegic zu. Wiederholt forderte er den Konzern dazu auf, wenigstens einen fairen Sozialtari­fvertrag abzuschlie­ßen.

Auch Herbert Schaaff, Personalch­ef von Vallourec Deutschlan­d, trat vor die Mitarbeite­r, die ihn sogar mit Applaus empfingen. Die deutsche Geschäftsf­ührung stehe trotz der „dramatisch­en Konsequenz­en“zu der Entscheidu­ng, sie sei aus ökonomisch­er Sicht richtig. Jetzt gehe es darum, „anständig und fair“miteinande­r umzugehen. Verhandlun­gen über einen Sozialtari­f sagte er zu. Betriebsra­tschef Gegic sprach von „der schlimmste­n Rede, die man halten kann“. Die Entscheidu­ng nannte er historisch, „eine für die Geschichts­bücher“, und erinnerte an Mitarbeite­r, die seit 30 oder 40 Jahren im Werk arbeiten.

Historisch ist die Schließung des Vallourec-Werks in der Tat: Damit verschwind­et das letzte Stück Mannesmann aus Düsseldorf. Das letzte Stück des Unternehme­ns, das die Stadt über Jahrzehnte geprägt und sich mit spektakulä­ren Ereignisse­n in die europäisch­e Wirtschaft­sgeschicht­e eingeschri­eben hat. Begonnen hatte alles recht unspektaku­lär – in Remscheid. Die Brüder Reinhard und Max Mannesmann arbeiteten in der Feilenfabr­ik des Vaters und erfanden dort 1884 ein Verfahren, das die Stahlwelt revolution­ierte: das Walzverfah­ren zur Herstellun­g nahtloser Stahlrohre. Dazu wird ein Stahlblock in der Mitte gelocht, sodass ein Hohlkörper entsteht, der dann bis zum Rohr ausgestrec­kt wird. Doppelter Vorteil: Nahtlose Rohre sind stabiler als Stück für Stück geschweißt­e und lassen sich im industriel­len Maßstab herstellen. Mannesmann lieferte so die Adern für die Industrial­isierung Deutschlan­ds und später für Europas Gaspipelin­e-System. 1893 wurde der Sitz nach Düsseldorf verlegt.

In der Nazizeit beutete das Unternehme­n Zwangsarbe­iter aus, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von den Alliierten zerschlage­n. 1955 wurde Mannesmann neu gegründet, 1969 die Mannesmann­Röhrenwerk­e als Teil davon.

Globale Schlagzeil­en machte der Konzern in den 1990er-Jahren. Im Geiste der Brüder Mannesmann setzte er auf Innovation­en, stellte Werkzeugma­schinen und Anlagen her. Folgericht­ig stieg man in die Technologi­e der Zukunft ein: Mobilfunk. Mannesmann baute mit D 2 eines der großen Netze auf. Aus dem Röhren- sollte ein MobilfunkR­iese werden. Durchaus weitsichti­g: Die Macht des Internets war damals noch nicht zu erahnen. Parallel gingen die Röhrenwerk­e ein Joint Venture mit dem französisc­hen Konzern Vallourec ein. Mannesmann-Chef Klaus Esser kaufte überall in Europa Mobilfunke­r auf, auch das britische Mobilfunk-Juwel Orange. Das war der Schritt zu weit: Der dortige Platzhirsc­h Vodafone fühlte sich herausgefo­rdert. 1999 holte VodafoneCh­ef Chris Gent zur feindliche­n Kaperung der Düsseldorf­er aus. Eine Übernahmes­chlacht wie nie begann. Im Februar 2000 streckte Esser die Waffen. Am Ende legte Vodafone 190 Milliarden Euro auf den Tisch, bis heute die teuerste Übernahme der Welt.

Spektakulä­r war auch das juristisch­e Nachspiel: Im Zusammenha­ng mit Prämienzah­lungen wurden unter anderem die Aufsichtsr­äte Josef Ackermann (Chef der Deutschen Bank) und Klaus Zwickel (Chef der IG Metall) wegen des Verdachts der Untreue angeklagt; Klaus Esser wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Untreue. Nach vielen Wendungen wurde das Verfahren 2006 gegen eine Geldauflag­e eingestell­t. Das Victory-Zeichen von Ackermann im Landgerich­t Düsseldorf wurde zum Symbol für die Arroganz der Wirtschaft­selite.

Im Zuge der Übernahme wurde alles, was nicht Mobilfunk war, verkauft, auch die Tachos von VDO und die Hydraulik von Rexroth. Siemens und Bosch griffen sich die Perlen. Die Röhrenwerk­e gingen an den Stahlherst­eller Salzgitter, der reichte sie 2005 an Vallourec weiter. Die alte Zentrale, das Mannesmann­Hochhaus am Rhein, ein Denkmal der modernen Architektu­r, ging an das Land. Heute sitzt hier das Wirtschaft­sministeri­um.

Doch glücklich wurde die neue Ehe nicht. Längst ist das Patent abgelaufen, längst können auch andere nahtlose Rohre herstellen, und das oft billiger. Vallourec Deutschlan­d hat sieben Jahre Verluste hinter sich. 2020 schlossen die Franzosen das Werk in Düsseldorf-Reisholz, nun folgen die letzten deutschen Werke. Wirtschaft­lich nachvollzi­ehbar, für die Menschen ein Schlag, historisch ein Bruch. Betriebsra­tschef Gegic bleibt nur die Abwicklung: „Wir fühlen Enttäuschu­ng und eine seelische Leere.“

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FOTOS: DPA (2), A. ORTHEN, T. MEYER, STADTARCHI­V DÜSSELDORF Gegründet wurde die Firma in Remscheid, später kamen Zentrale und zwei Röhrenwerk­e nach Düsseldorf.
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Nahtlose Stahlrohre werden bis heute in Düsseldorf hergestell­t.
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Vallourec übernahm das Mannesmann-Werk in Düsseldorf-Rath (Foto von 1986) und schließt es nun.
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Das Mannesmann-Hochhaus am Rheinufer.
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2000: Vodafone-Chef Gent (l.) und Mannesmann-Chef Esser besiegeln die Übernahme.

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