Noble Ladenstraße auf Trümmern
Vor zehn Jahren abgerissen, ist die Einkaufsstraße „Lichthof“vielen älteren Gladbachern wegen ihrer exklusiven Angebote noch immer ein Begriff. Doch sie musste dem Minto weichen.
GLADBACH Unübersehbar wirbt der rote Fuchs stadteinwärts auf einer Hausfassade an der Kreuzung Viersener Straße/Schürenweg für den Einkauf im Lichthof. Dort gibt es demnach tolle Rasierapparate. „Lichthof? Wo ist denn der?“, werden Jüngere fragen. Ältere wissen: Diese legendäre Ladenpassage gibt es nur noch in der Erinnerung. Hier erstreckt sich heute das große Einkaufszentrum „Minto“. Mit dem jüngsten Abriss auch des gegenüberliegenden Finanzamts hat dieser gesamte Innenstadtbereich sein Gesicht jetzt so verändert, dass nichts mehr an die „gute alte Zeit“erinnert.
Der Lichthof stand symbolisch für ein Nachkriegs-Mönchengladbach, das auf den Ruinen möglichst schnell eine neue und moderne Innenstadt aufbauen wollte. „Einige beherzte Männer“, so heißt es in der Eröffnungsanzeige vom 3. Dezember 1951, hätten die Idee gehabt, „hier etwas Besonderes zu schaffen“. Sie erinnerten sich an alte Pläne des Architekten Karl Ranzke, der bereits 1906 zwischen der heutigen Hindenburgund der Steinmetzstraße eine glasüberdachte Ladenpassage errichten wollte. Diesen Gedanken griff ein Kreis privater Initiatoren um den agilen Zimmermann Emil Köhler auf.
Der 1977 verstorbene Ehrenkreishandwerksmeister wurde später einer der wenigen Ehrenringträger der Stadt. In rekordverdächtigen drei Monaten entstand nach neuen Plänen des Rheydter Architekten Ludwig Hinrichs die Einkaufsgalerie, deren Steine aus der Trümmerlandschaft gewonnen wurden, in der sie nun als Hoffnungsträger stand. Von dem zuerst geplanten Provisorium mit nur wenigen Jahren Lebensdauer, das zur Schließung der großen Versorgungs- und Baulücken beitragen sollte, war man recht zügig wieder abgerückt. Es sollte eine massive und dauerhafte Anlage geschaffen werden.
Der Anspruch war von Anfang an hoch: Die neue eingeschossige und asphaltierte Ladenstraße unter einem großen schützenden Glasdach sollte einen gehobenen Branchenmix anbieten. Sie sei „nach all dem Schweren, das unser Volk und unsere Vaterstadt getroffen hat, ein hoffnungsvolles Licht“, hieß es pathetisch. „Wenn schon viele Menschen in unserer Vaterstadt noch im Dunkeln wohnen, so sollen sie durch das Licht, das bei Tag und Nacht durch diesen Lichthof strahlt, angezogen werden zur Freude und zum Kauf.“
Der Durchgang selbst war etwa 75 Meter lang, ohne die Anfangsbauten an den Ecken gerechnet. Eine Breite von 5,50 Metern ermöglichte „ein bequemes und störungsfreies Wandeln und Schauen“, so die Aufbaugemeinschaft der Grundstücksbesitzer. Es dürften „nur erstklassige Geschäfte in dem Durchgang Aufnahme finden“.
Die Stadt unterstützte das Projekt, wollte sie doch eine weitere Verbindung von der Hindenburgstraße zu den dahinter liegenden, vom Bombenterror mehr verschont gebliebenen Wohnvierteln schaffen. In der Eröffnungsanzeige von 1951 heißt es, mit dem Lichthof sei „ein total zerstörtes Gelände des alten Geschäftsviertels wiederbelebt worden, das Jahre lang als ,Wüste Gobi‘ bezeichnet worden ist“. Am 3. Dezember 1951 wurde, pünktlich zur Adventszeit, der Lichthof mit zunächst zwölf Ladenlokalen feierlich eröffnet. Darunter befanden sich ein Geschäft für Damenhüte, Kleider und Mäntel, ein weiteres für Korsetts und Unterwäsche, ein Delikatessengeschäft „mit Feinkoststube“und eine Konditorei. Mit dem „Deutschen Tuchhaus Möller-Holtkamp und Co.“gehörte ein Herrenausstatter zu den ersten Fachgeschäften, der als Letzter bis zum Abriss vor zehn Jahren dem Lichthof eisern die Treue hielt.
Bereits Ende November 1949 hatte sich ein Preisrichterkollegium getroffen, das 2800 Namensvorschläge von 600 Mönchengladbacher Bürgern sichtete. Darunter befanden sich so skurrile Ideen wie Füllhorn, Schlapphutgasse, Einkaufstasche oder Gladbacher Kö. Den Zuschlag erhielten aber zwei Einsenderinnen, Käthe Weichert von der Blücherstraße und Ingeborg Korell von der Bozener Straße, die beide für den Begriff Lichthof votiert hatten. Die neue Passage solle „ein in Licht getauchtes Anwesen“werden, da sei diese Bezeichnung die treffendste.
Ähnlich wie bei der Hindenburgstraße ging es mit dem quer darauf zulaufenden Lichthof je nach Standort erheblich bergauf oder bergab: Die Steinmetzstraße liegt etwa 4,30 Meter höher, so dass es schnell eine Diskussion darum gab, ob Treppen eingebaut werden sollten. Wegen der „einkaufenden Hausfrauen mit ihren Kinderwagen“entschieden sich Investoren und Stadt dagegen. Das führte in den folgenden Jahren dazu, dass man bei Regen oder gar Glatteis höllisch aufpassen musste, um nicht auszurutschen. Auch war der Boden des Lichthofs am Anfang teilweise holprig, was aber der Attraktivität des Angebots keinen Abbruch tat. Das beeindruckende Tempo beim Bau der Mini-Einkaufsmeile sollte sich allerdings später rächen: 1975 drohte die Decke herabzustürzen, da die Dachkonstruktion völlig verrostet und undicht geworden war. Zwar wurde die Baustelle gesichert. Aber es sollte noch weitere 14 Jahre dauern, bis endlich eine neue Glasüberdachung fertiggestellt war.
Die Passage, die bei ihrer Eröffnung als „architektonische Neuheit“gepriesen wurde, war seinerzeit die angeblich älteste überdachte Einkaufsgalerie in Deutschland. Das lässt sich nicht mehr klar nachweisen: Als erste überdachte öffentliche Straße Deutschlands gilt jetzt die Bremer Lloyd-Passage, die erst im April 1990 eröffnet worden ist. Der Lichthof war aber eher ein Verbindungsweg mit Einkaufsangeboten und hat vielleicht deshalb nicht Eingang in die Geschichtsbücher gefunden. In seinen letzten Jahren war der Lichthof durch Angebote wie einen Sex-Shop oder eine Spielhalle etwas heruntergekommen.
Die Idee einer vor der Witterung geschützten Einkaufsmeile mit hochwertigen Geschäften ist dagegen heutzutage so aktuell wie seinerzeit vor mehr als sieben Jahrzehnten. Doch der Lichthof musste, unabhängig von seinem Angebot, wie die benachbarte Theatergalerie dem Bau des Minto weichen. Ein Rettungsversuch, auf drei Ebenen statt einer Fläche „exklusive Stände mit frischen Waren und hochwertige Imbisse“inklusive einer Tiefgarage anzubieten, war einige Jahre zuvor mutmaßlich an den zu hohen Kosten gescheitert. Den tollen Rasierapparaten, für die der rote Fuchs noch heute unbeeindruckt wirbt, zum Trotz: Vor allem viele lebensältere Mönchengladbacherinnen trauern „ihrem“Lichthof noch heute nach. „Es war praktisch, dort im wahrsten Wortsinn alles unter einem Dach kaufen zu können – von Schmuck über Backwaren bis zu Stoffen“, meint die Neuwerkerin Lydia Peters. „Oellers habe ich besonders gut in Erinnerung, weil ich dort so gern mit meiner Mutter hinging, um Schnittmuster auszusuchen und dann die nötigen Zutaten vom Stoff bis zu Knöpfen, Garn und Reißverschlüssen zu erwerben.“Brigitte Hüpperling erinnert sich an das noble Porzellangeschäft am Eingang Hindenburgstraße: „Dort standen prächtig geschmückte Hochzeitstische mit Namensnennung, wo man sich Geschenke für die Brautpaare aussuchen konnte, aber durch die man auch erfuhr, wer demnächst heiratet. Das wäre heute schon wegen des Datenschutzes unmöglich.“