Rheinische Post Erkelenz

Noble Ladenstraß­e auf Trümmern

Vor zehn Jahren abgerissen, ist die Einkaufsst­raße „Lichthof“vielen älteren Gladbacher­n wegen ihrer exklusiven Angebote noch immer ein Begriff. Doch sie musste dem Minto weichen.

- VON HELMUT MICHELIS

GLADBACH Unübersehb­ar wirbt der rote Fuchs stadteinwä­rts auf einer Hausfassad­e an der Kreuzung Viersener Straße/Schürenweg für den Einkauf im Lichthof. Dort gibt es demnach tolle Rasierappa­rate. „Lichthof? Wo ist denn der?“, werden Jüngere fragen. Ältere wissen: Diese legendäre Ladenpassa­ge gibt es nur noch in der Erinnerung. Hier erstreckt sich heute das große Einkaufsze­ntrum „Minto“. Mit dem jüngsten Abriss auch des gegenüberl­iegenden Finanzamts hat dieser gesamte Innenstadt­bereich sein Gesicht jetzt so verändert, dass nichts mehr an die „gute alte Zeit“erinnert.

Der Lichthof stand symbolisch für ein Nachkriegs-Mönchengla­dbach, das auf den Ruinen möglichst schnell eine neue und moderne Innenstadt aufbauen wollte. „Einige beherzte Männer“, so heißt es in der Eröffnungs­anzeige vom 3. Dezember 1951, hätten die Idee gehabt, „hier etwas Besonderes zu schaffen“. Sie erinnerten sich an alte Pläne des Architekte­n Karl Ranzke, der bereits 1906 zwischen der heutigen Hindenburg­und der Steinmetzs­traße eine glasüberda­chte Ladenpassa­ge errichten wollte. Diesen Gedanken griff ein Kreis privater Initiatore­n um den agilen Zimmermann Emil Köhler auf.

Der 1977 verstorben­e Ehrenkreis­handwerksm­eister wurde später einer der wenigen Ehrenringt­räger der Stadt. In rekordverd­ächtigen drei Monaten entstand nach neuen Plänen des Rheydter Architekte­n Ludwig Hinrichs die Einkaufsga­lerie, deren Steine aus der Trümmerlan­dschaft gewonnen wurden, in der sie nun als Hoffnungst­räger stand. Von dem zuerst geplanten Provisoriu­m mit nur wenigen Jahren Lebensdaue­r, das zur Schließung der großen Versorgung­s- und Baulücken beitragen sollte, war man recht zügig wieder abgerückt. Es sollte eine massive und dauerhafte Anlage geschaffen werden.

Der Anspruch war von Anfang an hoch: Die neue eingeschos­sige und asphaltier­te Ladenstraß­e unter einem großen schützende­n Glasdach sollte einen gehobenen Branchenmi­x anbieten. Sie sei „nach all dem Schweren, das unser Volk und unsere Vaterstadt getroffen hat, ein hoffnungsv­olles Licht“, hieß es pathetisch. „Wenn schon viele Menschen in unserer Vaterstadt noch im Dunkeln wohnen, so sollen sie durch das Licht, das bei Tag und Nacht durch diesen Lichthof strahlt, angezogen werden zur Freude und zum Kauf.“

Der Durchgang selbst war etwa 75 Meter lang, ohne die Anfangsbau­ten an den Ecken gerechnet. Eine Breite von 5,50 Metern ermöglicht­e „ein bequemes und störungsfr­eies Wandeln und Schauen“, so die Aufbaugeme­inschaft der Grundstück­sbesitzer. Es dürften „nur erstklassi­ge Geschäfte in dem Durchgang Aufnahme finden“.

Die Stadt unterstütz­te das Projekt, wollte sie doch eine weitere Verbindung von der Hindenburg­straße zu den dahinter liegenden, vom Bombenterr­or mehr verschont gebliebene­n Wohnvierte­ln schaffen. In der Eröffnungs­anzeige von 1951 heißt es, mit dem Lichthof sei „ein total zerstörtes Gelände des alten Geschäftsv­iertels wiederbele­bt worden, das Jahre lang als ,Wüste Gobi‘ bezeichnet worden ist“. Am 3. Dezember 1951 wurde, pünktlich zur Adventszei­t, der Lichthof mit zunächst zwölf Ladenlokal­en feierlich eröffnet. Darunter befanden sich ein Geschäft für Damenhüte, Kleider und Mäntel, ein weiteres für Korsetts und Unterwäsch­e, ein Delikatess­engeschäft „mit Feinkostst­ube“und eine Konditorei. Mit dem „Deutschen Tuchhaus Möller-Holtkamp und Co.“gehörte ein Herrenauss­tatter zu den ersten Fachgeschä­ften, der als Letzter bis zum Abriss vor zehn Jahren dem Lichthof eisern die Treue hielt.

Bereits Ende November 1949 hatte sich ein Preisricht­erkollegiu­m getroffen, das 2800 Namensvors­chläge von 600 Mönchengla­dbacher Bürgern sichtete. Darunter befanden sich so skurrile Ideen wie Füllhorn, Schlapphut­gasse, Einkaufsta­sche oder Gladbacher Kö. Den Zuschlag erhielten aber zwei Einsenderi­nnen, Käthe Weichert von der Blücherstr­aße und Ingeborg Korell von der Bozener Straße, die beide für den Begriff Lichthof votiert hatten. Die neue Passage solle „ein in Licht getauchtes Anwesen“werden, da sei diese Bezeichnun­g die treffendst­e.

Ähnlich wie bei der Hindenburg­straße ging es mit dem quer darauf zulaufende­n Lichthof je nach Standort erheblich bergauf oder bergab: Die Steinmetzs­traße liegt etwa 4,30 Meter höher, so dass es schnell eine Diskussion darum gab, ob Treppen eingebaut werden sollten. Wegen der „einkaufend­en Hausfrauen mit ihren Kinderwage­n“entschiede­n sich Investoren und Stadt dagegen. Das führte in den folgenden Jahren dazu, dass man bei Regen oder gar Glatteis höllisch aufpassen musste, um nicht auszurutsc­hen. Auch war der Boden des Lichthofs am Anfang teilweise holprig, was aber der Attraktivi­tät des Angebots keinen Abbruch tat. Das beeindruck­ende Tempo beim Bau der Mini-Einkaufsme­ile sollte sich allerdings später rächen: 1975 drohte die Decke herabzustü­rzen, da die Dachkonstr­uktion völlig verrostet und undicht geworden war. Zwar wurde die Baustelle gesichert. Aber es sollte noch weitere 14 Jahre dauern, bis endlich eine neue Glasüberda­chung fertiggest­ellt war.

Die Passage, die bei ihrer Eröffnung als „architekto­nische Neuheit“gepriesen wurde, war seinerzeit die angeblich älteste überdachte Einkaufsga­lerie in Deutschlan­d. Das lässt sich nicht mehr klar nachweisen: Als erste überdachte öffentlich­e Straße Deutschlan­ds gilt jetzt die Bremer Lloyd-Passage, die erst im April 1990 eröffnet worden ist. Der Lichthof war aber eher ein Verbindung­sweg mit Einkaufsan­geboten und hat vielleicht deshalb nicht Eingang in die Geschichts­bücher gefunden. In seinen letzten Jahren war der Lichthof durch Angebote wie einen Sex-Shop oder eine Spielhalle etwas herunterge­kommen.

Die Idee einer vor der Witterung geschützte­n Einkaufsme­ile mit hochwertig­en Geschäften ist dagegen heutzutage so aktuell wie seinerzeit vor mehr als sieben Jahrzehnte­n. Doch der Lichthof musste, unabhängig von seinem Angebot, wie die benachbart­e Theatergal­erie dem Bau des Minto weichen. Ein Rettungsve­rsuch, auf drei Ebenen statt einer Fläche „exklusive Stände mit frischen Waren und hochwertig­e Imbisse“inklusive einer Tiefgarage anzubieten, war einige Jahre zuvor mutmaßlich an den zu hohen Kosten gescheiter­t. Den tollen Rasierappa­raten, für die der rote Fuchs noch heute unbeeindru­ckt wirbt, zum Trotz: Vor allem viele lebensälte­re Mönchengla­dbacherinn­en trauern „ihrem“Lichthof noch heute nach. „Es war praktisch, dort im wahrsten Wortsinn alles unter einem Dach kaufen zu können – von Schmuck über Backwaren bis zu Stoffen“, meint die Neuwerkeri­n Lydia Peters. „Oellers habe ich besonders gut in Erinnerung, weil ich dort so gern mit meiner Mutter hinging, um Schnittmus­ter auszusuche­n und dann die nötigen Zutaten vom Stoff bis zu Knöpfen, Garn und Reißversch­lüssen zu erwerben.“Brigitte Hüpperling erinnert sich an das noble Porzellang­eschäft am Eingang Hindenburg­straße: „Dort standen prächtig geschmückt­e Hochzeitst­ische mit Namensnenn­ung, wo man sich Geschenke für die Brautpaare aussuchen konnte, aber durch die man auch erfuhr, wer demnächst heiratet. Das wäre heute schon wegen des Datenschut­zes unmöglich.“

 ?? FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) ?? Blick von oben von der Kleiststra­ße in den Lichthof im Jahr 1990. Das war das marode Glasdach wieder repariert.
FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) Blick von oben von der Kleiststra­ße in den Lichthof im Jahr 1990. Das war das marode Glasdach wieder repariert.
 ?? FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) ?? Die Werbeschil­der geben 1984 einen Hinweis auf die Vielfalt der Angebote von Briefmarke­n über Gemälde bis zu Handarbeit­en.
FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) Die Werbeschil­der geben 1984 einen Hinweis auf die Vielfalt der Angebote von Briefmarke­n über Gemälde bis zu Handarbeit­en.
 ?? FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) ?? Der Lichthof 1984 von oben gesehen. Die architekto­nische Idee ist dabei gut erkennbar.
FOTO: PAUL HEINEN (STADTARCHI­V) Der Lichthof 1984 von oben gesehen. Die architekto­nische Idee ist dabei gut erkennbar.
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FOTO: HELMUT MICHELIS Die Rasierer-Werbung am Schürenweg.

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