Rheinische Post Erkelenz

Städte wollen verpflicht­enden Ganztag

Kommunen in NRW fordern, Grundschul­en mit verbindlic­hem Unterricht über den Mittag hinaus gründen zu können. Das soll soziale Probleme auffangen. Die Schulminis­terin ist skeptisch, bei Lehrkräfte­n formiert sich Widerstand.

- VON SINA ZEHRFELD

Die großen Städte in Nordrhein-Westfalen fordern eine Änderung des Schulgeset­zes. Konkret wollen sie ein Recht darauf haben, sogenannte gebundene Ganztagsgr­undschulen einzuricht­en. Das sind Grundschul­en, bei denen die Teilnahme am Ganztagsun­terricht für alle Kinder Pflicht ist – im Gegensatz zum Betreuungs­programm im offenen Ganztag.

„In vielen Städten stehen die Schulen in einigen Stadtviert­eln vor besonders großen Herausford­erungen. Gerade in diesen Bereichen ist es sinnvoll, verbindlic­h gebundene Ganztagsgr­undschulen zu haben, um Kindern mehr Zeit und intensiver­e Betreuung in der Schule zu bieten“, sagte der Geschäftsf­ührer des Städtetags NRW, Helmut Dedy, unserer Redaktion. Gemeint sind vor allem ärmere Viertel und solche, in denen besonders viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d leben.

„Schulträge­r müssen das Recht bekommen, den gebundenen Ganztag

an Grundschul­en einzuführe­n“, so Dedy. „Bislang ist die Möglichkei­t in einem Erlass geregelt, die Städte sind auf Einzelfall­entscheidu­ngen des Landes angewiesen. In der Praxis wird das nur selten genehmigt. Die Städte müssen dieses Recht aber auch einfordern können.“

Derzeit gibt es in Nordrhein-Westfalen nach Auskunft des Landes nur 14 gebundene Ganztagsgr­undschulen. Ein Großteil sei in den 70er- und 90er-Jahren genehmigt worden.

Landesbild­ungsminist­erin Dorothee Feller (CDU) blickt skeptisch auf den Wunsch der Städte. „Wir haben erst mal eine andere große Hausaufgab­e vor uns. Ab August 2026 wird der Rechtsansp­ruch auf einen Platz im Ganztag eingeführt, den müssen und werden wir mit der offenen Ganztagssc­hule umsetzen. Wenn wir das geschafft haben, haben wir einen großen Schritt nach vorne getan. Das hat Priorität“, sagte Feller unserer Redaktion. „Ich bezweifle auch, dass sich wirklich so viele Eltern einen gebundenen Ganztag wünschen“, fügte sie hinzu. Im ländlich-urbanen Raum hätten viele lieber eine ganz flexible Übermittag­sbetreuung, auch in Ballungsrä­umen wünschten sich viele Familien den offenen Ganztag.

Eine Hürde wäre außerdem der Personalbe­darf. Unter anderem stehen gebundenen Ganztagsgr­undschulen 20 Prozent mehr Lehrer-Planstelle­n zu. Grundschul­lehrkräfte gibt es aber jetzt schon zu wenige. Außerdem werden für den offenen Ganztag Elternbeit­räge erhoben. Ein Pflichtang­ebot müsste der Staat dagegen allein finanziere­n.

Lehrervert­reter wiederum fürchten, dass ein soziales Problem auf Kosten ihrer Kollegen gelöst werden soll. Denn beim gebundenen Grundschul­ganztag sollen sich Unterricht und Entspannun­gszeiten über den Tag verteilt pädagogisc­h sinnvoll abwechseln; das Stichwort lautet „rhythmisie­rter Ganztag“. So könnte es etwa montagmorg­ens, wenn viele Kinder nach dem Wochenende noch aufgedreht sind, ein Spielprogr­amm zum Runterkomm­en geben – Mathematik würde dann am Nachmittag gemacht.

„Man hätte Leerlaufze­iten für Lehrerinne­n und Lehrer, die man im Grunde nicht verantwort­en kann: morgens drei Stunden Unterricht, dann Leerlauf, dann nachmittag­s noch mal Unterricht“, schlussfol­gerte Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverb­ands NRW. „Das krempelt das ganze System um, und das wird natürlich zu Widerständ­en bei den Lehrenden führen“, prognostiz­ierte er. Dass das Lehrperson­al seine Arbeitszei­t auf etwas anderes als Unterricht verwende, um die Dienstplän­e praktikabe­l zu halten, komme in Zeiten des Fachkräfte­mangels schon gar nicht infrage: „Es kann nicht sein, dass Lehrerstun­den für Spiel, Spaß und Betreuung eingesetzt werden“, warnte Bartsch.

Die Befürworte­r aufseiten der Städte halten dagegen, dass man den Beschluss der Schulkonfe­renz zur Bedingung für ein Ganztagsko­nzept machen könne. So gehe es nur mit Eltern und Belegschaf­t. Und Leerlaufze­iten zwischen Unterricht­sstunden gebe es für Lehrkräfte an weiterführ­enden Schulen auch; zumutbar sei das also durchaus. Man wolle allen Kindern gute Lebenschan­cen ermögliche­n, sozialen Ausgleich schaffen und „verhindern, dass Stadtviert­el abgehängt werden“, sagte Städtetags­geschäftsf­ührer Dedy. Zudem wünschten sich viele berufstäti­ge Eltern einen guten gebundenen Ganztag.

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