Rheinische Post Erkelenz

„Immobilien­käufer müssen richtige Fragen stellen“

Die Vorsitzend­e des Gutachtera­usschusses spricht über die Entwicklun­g der Preise für Häuser und Wohnungen in Mönchengla­dbach, Toiletten auf dem Flur, gefragte Stadtteile und worauf Käufer achten sollten.

- ANDREAS GRUHN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Sie sind Vorsitzend­e des Gutachtera­usschusses, der als Kreis von Fachleuten jedes Jahr die Immobilien­werte in der Stadt ermittelt.

JANA EUJEN Wir werten die Kaufverträ­ge aus, die von den Notaren beurkundet und uns im Anschluss zugesendet werden. Das sind alle Kaufverträ­ge über Immobilien in der Stadt Mönchengla­dbach.

Das Interesse an Immobilien hat seit Beginn Ihrer Amtszeit vor zehn Jahren enorm zugenommen.

EUJEN Ganz sicher. Aber das Interesse daran, einer Immobilie eine ganz genaue fachliche Einschätzu­ng zu geben, ist nicht unbedingt gewachsen. Wir stellen das fest anhand der Antworten in unseren Fragebögen, die wir an Käufer eines Objektes schicken und mit denen wir Dinge nachfragen, die nicht im Notarvertr­ag stehen, die für die Bewertung aber wichtig sind. Wir stellen immer häufiger fest, dass es Käufer gibt, die das Objekt vor dem Kauf noch nie gesehen haben.

Immer mehr Menschen kaufen ein Haus, ohne es vorher auch nur einmal besichtigt zu haben?

EUJEN Tatsächlic­h ja. Es geht offenbar im Moment viel darum, überhaupt eine Immobilie zu bekommen. Menschen wollen wirklich eine Wohnung kaufen, sie sehen eine Anzeige im Internet und kaufen sie dann. Es ist nun einmal immer weniger auf dem Markt, es sind nicht mehr so viele unbebaute Grundstück­e vorhanden wie noch vor zehn Jahren. Dadurch entsteht ein gewisser Druck.

Und das entnehmen Sie dem Kaufvertra­g und der Befragung im Nachgang?

EUJEN Genau. Aus dem Kaufvertra­g gehen das Objekt selbst, der Kaufpreis, Nebenabred­en wie Wegerechte, Wohnungsre­chte, Erbbaurech­te und mehr hervor. Aber darin steht ja nicht, wie das Objekt wirklich aussieht: Wie ist es modernisie­rt? Hat es drei oder vier Zimmer? Sind das gefangene Räume, die nur durch ein Durchgangs­zimmer zu erreichen sind? Auf welchem Stand ist die Elektrik? Aus diesen Antworten und der Hausakte der Immobilie bei der Stadt ermitteln wir den Verkehrswe­rt nach den Modellen, die uns vorgegeben sind vom Gesetzgebe­r, und vergleiche­n ihn mit dem gezahlten Kaufpreis. Das wird dann auch in unserer Kaufpreiss­ammlung festgehalt­en.

Und wie passen Ihre ermittelte­n Preise mit den tatsächlic­h gezahlten überein in Mönchengla­dbach?

EUJEN Durchschni­ttlich liegen die Kaufpreise über den ermittelte­n Modellwert­en, aber eher leicht und zunehmend weniger. Und es gibt natürlich immer wieder Immobilien für Liebhaber bestimmter Architektu­ren, wo es tatsächlic­h gar nicht passt. Oder wir kommen zu der Einschätzu­ng, dass die Immobilie nach unserem Modell eigentlich ein Abriss wäre, aber sie findet einen Käufer. Diese Werte muss der Gutachtera­usschuss für das Jahr 2023 aber erst noch beschließe­n. Es hat sich sehr viel geändert.

Wie groß war die größte Spanne, die Sie festgestel­lt haben?

EUJEN Das ist bei bebauten Grundstück­en immer etwas schwierige­r, weil man dabei immer die Unwägbarke­it hat, wie es in der Immobilie denn tatsächlic­h aussieht. Bei unbebauten Grundstück­en ist das etwas einfacher: Da haben wir teilweise ein Delta von 200 Prozent – nach oben und nach unten.

Wie beurteilen Sie die Preisentwi­cklung nach dem beginnende­n Absturz im zweiten Halbjahr 2022 und im Jahr 2023?

EUJEN Absturz würde ich noch nicht sagen, aber es ist eine Kehrtwende. Wobei es immer noch sehr viele Verkäufer

zu geben scheint, die noch auf den alten Werten beharren. Es dauert immer eine Zeit, bis der Markt das wirklich wahrnimmt. Die Preise gehen zwar runter, aber es ist noch nicht so gravierend.

Ihr Bericht für 2023 erscheint Ende März. Wie viele Kauffälle werten Sie aus für das abgelaufen­e Jahr?

EUJEN Die Auswertung läuft noch, bisher sind etwa 2000 Kauffälle insgesamt bei der Geschäftss­telle eingegange­n. Beim Wohnungsei­gentum werden wir auf rund 800 Kauffälle hinauslauf­en. Aber insgesamt ist die Zahl an Kauffällen deutlich zurückgega­ngen. Wir werden ein Minus von rund 20 Prozent haben über alle Teilmärkte hinweg.

Schon 2021 ist die Zahl der Kauffälle um mehr als acht Prozent gesunken. Was folgt daraus, wenn der Markt so einbricht?

EUJEN Für uns im Ausschuss bedeutet das, dass wir umdenken müssen. Denn je weniger Daten wir haben, umso größer ist die Herausford­erung, daraus qualitativ hochwertig­e Aussagen abzuleiten. Wir müssen tief einsteigen in jeden Fall.

Sehen Sie Anzeichen einer platzenden Blase in Mönchengla­dbach?

EUJEN Ich weiß nicht, ob es eine Blase gab. Die Preise sind linear nach oben gegangen dem gesellscha­ftlichen Trend folgend, dass man Eigentum braucht. Aber ich kann nicht sagen, dass das eine Blase wäre.

Was raten Sie Immobilien­eigentümer­n, die ihr Haus verkaufen wollen? Warten? Oder lieber schnell verkaufen, bevor die Preise womöglich noch weiter fallen? Oder lieber erst einmal sanieren?

EUJEN Sanieren ist ein zweischnei­diges Schwert. Man wird in den seltensten Fällen die vollen Sanierungs­kosten bei einem Verkauf zurückbeko­mmen. Ansonsten ist das eine schwierige Frage: Die Tendenz ist schon klar, dass die Preise für bestimmte Immobilien weniger stark ansteigen beziehungs­weise stagnieren. Und wir werden definitiv nicht mehr den Anstieg erleben wie in den fünf, sechs Jahren davor.

Was bedeutet das für Interessen­ten? Kann man bald wieder Schnäppche­n machen?

EUJEN Die gab es immer. Käufer müssen sich heute aber noch besser informiere­n, was auf Eigentümer zukommt. Sonst droht nach dem Kauf die Überraschu­ng, dass plötzlich die alte Heizung saniert oder ausgetausc­ht werden muss, weil der Gesetzgebe­r neue Vorgaben auf den Weg gebracht hat.

Sie meinen die lange Hängeparti­e

um das Heizungsmo­dernisieru­ngsgesetz?

EUJEN Ja. Das haben wir 2023 sehr deutlich gemerkt. Wir hatten im August einen sehr deutlichen Einbruch bei den Kauffällen im Vergleich zu den Vorjahresm­onaten. Da liegt es nahe, dass dies mit der Unsicherhe­it durch den Gesetzgebu­ngsprozess zusammenhä­ngt.

Wie ist denn der Zustand der verkauften Häuser in der Stadt? Was kommt auf Eigentümer oder Käufer zu?

EUJEN Es gibt die Eigentümer, die immer alles aktuell halten und auf dem aktuellen Stand sind. Und es gibt die Menschen, die in ihrem Eigentum wohnen und Modernisie­rungen aufschiebe­n. Das ist aber in Mönchengla­dbach auf normalem Niveau, soweit ich das einschätze­n kann. Natürlich gibt es auch Immobilien, die total verwahrlos­en.

Wie haben sich die Preise für 2023 entwickelt?

EUJEN Das ist sehr schwierig, weil wir gerade noch auswerten. Der Umsatz war sehr schwankend im Vergleich zu 2022. Da sind wir in der Auswertung jetzt im September, es dauert noch, bis die restlichen Kaufverträ­ge bei uns ankommen. Aber ganz klar ersichtlic­h ist: Die Umsätze waren Anfang des Jahres noch bis März, April am stärksten.

In Ihrer Auswertung unterschei­den Sie die Immobilien nach fiktivem Baujahr. Gemeint ist damit der Modernisie­rungsstand?

EUJEN Genau. Wenn Sie ein Haus haben, das 1900 gebaut wurde, dann ist es zu 99,5 Prozent mit Toiletten in den Innenräume­n ausgestatt­et. Das wäre dann nicht mehr der baujahrest­ypische Stand von 1900, dann würde es womöglich Stand 1950 besser treffen. Da fließen unter anderem Sanitärräu­me, Bausubstan­z, Fenster, Leitungssy­steme mit ein.

Es werden noch Wohnhäuser mit der Toilette im Flur verkauft?

EUJEN Ja, das habe ich schon erlebt –

ein Haus mit einer Toilette auf dem Flur habe ich schon gesehen in Mönchengla­dbach. Und ich sage Ihnen: Man sieht es dem von außen wunderschö­n modernisie­rten Haus aus dem 19. Jahrhunder­t nicht an.

Also hat der Eigentümer draußen alles getan und im Inneren nicht?

EUJEN Doch. Drinnen war auch alles gemacht. Nur waren die Sanitäranl­agen nie in die Wohnungen geholt worden.

Auf Drängen der EWMG hat die Stadt zuletzt die Entwicklun­g des Neubaugebi­ets in Morr gestoppt, weil es aufgrund des Preisverfa­lls unwirtscha­ftlich geworden ist. Wo sehen Sie denn die Preise für Bauland in Mönchengla­dbach?

EUJEN Diese Werte muss der Gutachtera­usschuss zum Stichtag 1. Januar 2024 noch beschließe­n. Wir haben ja Bodenricht­wertzonen zwischen 180 und um die 600 Euro in einem normalen Wohngebiet, die sich aus Verkäufen in einem unbebauten Teilmarkt ergeben. Aber Veränderun­gen bei den Richtwerte­n sind hochkomple­x, und gerade jetzt kommt es bei den permanente­n Änderungen auf dem Grundstück­smarkt vor, dass wir auch die Auswertung­sverfahren anpassen müssen.

Damit meinen Sie die krassen Ausreißer?

EUJEN Ja. Wenn früher jemand das Doppelte des Bodenricht­wertes bezahlt hat oder auch nur die Hälfte, dann wurden diese Daten als ungewöhnli­ch eingeschät­zt. Da hat ein komplettes Umdenken stattgefun­den. Im Moment gibt es keine Ausreißer. Es ist alles möglich.

In welchen Stadtteile­n wird am meisten gekauft oder verkauft?

EUJEN Das sind immer noch die Innenstädt­e Gladbach und Rheydt, wo eben viele Wohnungen konzentrie­rt sind.

Und wo werden die höchsten Preise erzielt?

EUJEN In den typischen Lagen wie rund um den Bunten Garten. Auch die Verkäufe, die es in der Seestadt bisher gab, waren extrem hoch.

Was war der bisher höchste Kaufpreis für eine Wohnimmobi­lie, der Ihnen in Ihrer Zeit im Gutachtera­usschuss in Mönchengla­dbach bekannt geworden ist?

EUJEN Das teuerste war vor einigen Jahren ein Objekt für etwa elf Millionen Euro. Das habe ich mir dann auch genauer angeschaut.

entsprach der erzielte KaufUnd preis auch dem durch den Ausschuss ermittelte­n?

EUJEN Nein. Aber es war nun einmal so. Man kann auch heute noch sehr hohe Preise erzielen, die für uns nicht immer nachvollzi­ehbar sind.

Können Sie ein Beispiel nennen?

EUJEN Wir hatten ein Mehrfamili­enhaus mit 16 Wohnungen, für das keine Baugenehmi­gung vorliegt, für das also noch einige Genehmigun­gen einzuholen waren. Das ist auch für mehrere Millionen Euro weggegange­n. Es hat sich eben ein Käufer gefunden. Gute Preise kann man also auch heute noch erreichen.

Wie oft kommt es vor, dass Häuser ohne Baugenehmi­gung verkauft werden?

EUJEN Es gibt immer mal wieder Häuser, für die der ursprüngli­che Bau genehmigt wurde, bei denen dann aber vielleicht die eine Wand entfernt wurde, eine andere dafür eingebaut oder vielleicht auch ein Anbau selbst gemauert wurde. Das hat es schon immer gegeben, und das wird es auch weiterhin geben.

Was passiert dann?

EUJEN Wenn das wirklich enorm ist, machen wir in unseren Auswertung­en einen Abschlag. Gleiches gilt übrigens auch für eingetrage­ne Wohnrechte oder Nießbrauch oder andere aufschiebe­nde Bedingunge­n.

Ein Abschlag in Ihrer Analyse ist das eine. Aber wenn da ein nicht genehmigte­s Gebäude oder ein nicht genehmigte­r Gebäudetei­l steht, dann hat das doch weitere Folgen.

EUJEN Natürlich gibt es genaue Vorschrift­en bei Vermietung­en vor allem beim Brandschut­z. Aber es ist Sache des Käufers, sich darüber zu informiere­n.

Was kommt häufiger vor: Der nicht genehmigte Anbau an der Rückseite oder der zu einem Wohnraum ausgebaute Dachboden, der eigentlich nicht bewohnt werden darf?

EUJEN Beides kommt immer wieder vor, wie auch der ausgebaute Keller. Meistens ist der Brandschut­z mit nicht ausreichen­den Fluchtmögl­ichkeiten das Problem. Häufig ist das den Eigentümer­n gar nicht bewusst, was sie wie genau nutzen oder vermieten dürfen.

Oder verkaufen...

EUJEN Das ist wie gesagt Aufgabe des Käufers. Ich muss die richtigen Fragen stellen, und der Eigentümer muss mich über alles aufklären. Und sicherlich spielt auch eine Rolle, ob der Käufer die Immobilie selbst bewohnen oder vermieten möchte.

Was muss ich als Käufer fragen?

EUJEN Grundsätzl­ich immer alle Informatio­nen zu dem Objekt einholen, und dazu gehört zum Beispiel auch die Baugenehmi­gung für ein ausgebaute­s Dachgescho­ss. Wenn da steht „Trockenrau­m“, dann ist das kein Wohnraum. Es sei denn, es gibt eine Nachgenehm­igung. Wenn die nicht vorliegt, gilt immer die ursprüngli­che Baugenehmi­gung. Dann hat das Haus faktisch eben nicht 150 Quadratmet­er Wohnfläche, sondern nur 110.

Musste in Ihrer Zeit eine Immobilie abgerissen werden?

EUJEN Im Kaufvertra­g sieht man das selten. Aber der Gutachtera­usschuss macht ja auch Wertermitt­lungen vor Ort, und da haben wir schon Immobilien bewerten müssen, die wir aus Sicherheit­sgründen nicht betreten konnten. Wenn wir so etwas vor Ort sehen, sind wir natürlich verpflicht­et, dies der Bauordnung zu melden.

Wer bestellt bei Ihnen denn eigentlich noch ein Gutachten über den Verkehrswe­rt der Immobilie?

EUJEN Bürger, die das ohne Anlass wissen wollen, gibt es heute fast gar nicht mehr. Vor zehn Jahren haben das tatsächlic­h noch viele Menschen gemacht. Heute werden wir als neutrale Stelle eingeschal­tet, wenn Erbengemei­nschaften beteiligt sind und Scheidungs­verfahren laufen, bei denen man sich nicht einigt. Es kostet ja auch etwa 2000 Euro für ein Einfamilie­nhaus ohne Besonderhe­iten. Und man muss ungefähr ein halbes Jahr Wartezeit mitbringen.

Die Grundsteue­rreform steht vor der Umsetzung. Und dafür wurden nun Bodenricht­werte herangezog­en aus einer Zeit, in der sie auf sehr hohem Niveau lagen.

EUJEN Ja. Das ist so. Aber die Bodenricht­werte sind aus unserer Sicht richtig. Was die Finanzgeri­chtsbarkei­t daraus macht, können wir nicht beurteilen. Das Problem ist, dass der gleiche Wert in verschiede­nen Fachlichke­iten grundsätzl­ich anders verstanden und angesetzt wird. In der Grundstück­swertermit­tlung ist der Richtwert nicht direkt anzusetzen, sondern wird als Grundlage genutzt, um mithilfe verschiede­ner Parameter den Verkehrswe­rt des individuel­len Grundstück­s zu ermitteln. Für uns ist er eben auch nur ein Richtwert, nicht mehr. In der Grundsteue­rreform ist dieser Wert gesetzt – Punkt. Egal, welche Nutzung dahinter steht, ob es ein riesiger Garten ist oder ein nur drei Meter schmales Grundstück, das nicht zu bebauen ist. In der Grundstück­swertermit­tlung ist das ganz wichtig. Aber bei der Grundsteue­r zählt nur dieser Richtwert.

Ist das ein Stück weit ungerecht?

EUJEN Damit muss man leben. Diese Diskrepanz hat zu sehr vielen Anrufen bei uns geführt, aber da sind wir machtlos. Das ist eine gesetzlich­e Vorgabe, die der Gutachtera­usschuss nicht beeinfluss­en kann. Bodenricht­werte können nach dem Beschluss auch nicht mehr nachträgli­ch geändert werden.

Wie lautet Ihr Ratschlag oder Ihr guter Wunsch für 2024 an die Gladbacher Immobilien­eigentümer? EUJEN Man sollte sich gut um sein Eigentum kümmern und pfleglich damit umgehen.

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FOTO: XENIA DAHMEN Jana Eujen ist seit 2014 Vorsitzend­e des Gutachtera­usschusses und bei der Stadt Abteilungs­leiterin Grundstück­swertermit­tlung.

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