„Immobilienkäufer müssen richtige Fragen stellen“
Die Vorsitzende des Gutachterausschusses spricht über die Entwicklung der Preise für Häuser und Wohnungen in Mönchengladbach, Toiletten auf dem Flur, gefragte Stadtteile und worauf Käufer achten sollten.
Sie sind Vorsitzende des Gutachterausschusses, der als Kreis von Fachleuten jedes Jahr die Immobilienwerte in der Stadt ermittelt.
JANA EUJEN Wir werten die Kaufverträge aus, die von den Notaren beurkundet und uns im Anschluss zugesendet werden. Das sind alle Kaufverträge über Immobilien in der Stadt Mönchengladbach.
Das Interesse an Immobilien hat seit Beginn Ihrer Amtszeit vor zehn Jahren enorm zugenommen.
EUJEN Ganz sicher. Aber das Interesse daran, einer Immobilie eine ganz genaue fachliche Einschätzung zu geben, ist nicht unbedingt gewachsen. Wir stellen das fest anhand der Antworten in unseren Fragebögen, die wir an Käufer eines Objektes schicken und mit denen wir Dinge nachfragen, die nicht im Notarvertrag stehen, die für die Bewertung aber wichtig sind. Wir stellen immer häufiger fest, dass es Käufer gibt, die das Objekt vor dem Kauf noch nie gesehen haben.
Immer mehr Menschen kaufen ein Haus, ohne es vorher auch nur einmal besichtigt zu haben?
EUJEN Tatsächlich ja. Es geht offenbar im Moment viel darum, überhaupt eine Immobilie zu bekommen. Menschen wollen wirklich eine Wohnung kaufen, sie sehen eine Anzeige im Internet und kaufen sie dann. Es ist nun einmal immer weniger auf dem Markt, es sind nicht mehr so viele unbebaute Grundstücke vorhanden wie noch vor zehn Jahren. Dadurch entsteht ein gewisser Druck.
Und das entnehmen Sie dem Kaufvertrag und der Befragung im Nachgang?
EUJEN Genau. Aus dem Kaufvertrag gehen das Objekt selbst, der Kaufpreis, Nebenabreden wie Wegerechte, Wohnungsrechte, Erbbaurechte und mehr hervor. Aber darin steht ja nicht, wie das Objekt wirklich aussieht: Wie ist es modernisiert? Hat es drei oder vier Zimmer? Sind das gefangene Räume, die nur durch ein Durchgangszimmer zu erreichen sind? Auf welchem Stand ist die Elektrik? Aus diesen Antworten und der Hausakte der Immobilie bei der Stadt ermitteln wir den Verkehrswert nach den Modellen, die uns vorgegeben sind vom Gesetzgeber, und vergleichen ihn mit dem gezahlten Kaufpreis. Das wird dann auch in unserer Kaufpreissammlung festgehalten.
Und wie passen Ihre ermittelten Preise mit den tatsächlich gezahlten überein in Mönchengladbach?
EUJEN Durchschnittlich liegen die Kaufpreise über den ermittelten Modellwerten, aber eher leicht und zunehmend weniger. Und es gibt natürlich immer wieder Immobilien für Liebhaber bestimmter Architekturen, wo es tatsächlich gar nicht passt. Oder wir kommen zu der Einschätzung, dass die Immobilie nach unserem Modell eigentlich ein Abriss wäre, aber sie findet einen Käufer. Diese Werte muss der Gutachterausschuss für das Jahr 2023 aber erst noch beschließen. Es hat sich sehr viel geändert.
Wie groß war die größte Spanne, die Sie festgestellt haben?
EUJEN Das ist bei bebauten Grundstücken immer etwas schwieriger, weil man dabei immer die Unwägbarkeit hat, wie es in der Immobilie denn tatsächlich aussieht. Bei unbebauten Grundstücken ist das etwas einfacher: Da haben wir teilweise ein Delta von 200 Prozent – nach oben und nach unten.
Wie beurteilen Sie die Preisentwicklung nach dem beginnenden Absturz im zweiten Halbjahr 2022 und im Jahr 2023?
EUJEN Absturz würde ich noch nicht sagen, aber es ist eine Kehrtwende. Wobei es immer noch sehr viele Verkäufer
zu geben scheint, die noch auf den alten Werten beharren. Es dauert immer eine Zeit, bis der Markt das wirklich wahrnimmt. Die Preise gehen zwar runter, aber es ist noch nicht so gravierend.
Ihr Bericht für 2023 erscheint Ende März. Wie viele Kauffälle werten Sie aus für das abgelaufene Jahr?
EUJEN Die Auswertung läuft noch, bisher sind etwa 2000 Kauffälle insgesamt bei der Geschäftsstelle eingegangen. Beim Wohnungseigentum werden wir auf rund 800 Kauffälle hinauslaufen. Aber insgesamt ist die Zahl an Kauffällen deutlich zurückgegangen. Wir werden ein Minus von rund 20 Prozent haben über alle Teilmärkte hinweg.
Schon 2021 ist die Zahl der Kauffälle um mehr als acht Prozent gesunken. Was folgt daraus, wenn der Markt so einbricht?
EUJEN Für uns im Ausschuss bedeutet das, dass wir umdenken müssen. Denn je weniger Daten wir haben, umso größer ist die Herausforderung, daraus qualitativ hochwertige Aussagen abzuleiten. Wir müssen tief einsteigen in jeden Fall.
Sehen Sie Anzeichen einer platzenden Blase in Mönchengladbach?
EUJEN Ich weiß nicht, ob es eine Blase gab. Die Preise sind linear nach oben gegangen dem gesellschaftlichen Trend folgend, dass man Eigentum braucht. Aber ich kann nicht sagen, dass das eine Blase wäre.
Was raten Sie Immobilieneigentümern, die ihr Haus verkaufen wollen? Warten? Oder lieber schnell verkaufen, bevor die Preise womöglich noch weiter fallen? Oder lieber erst einmal sanieren?
EUJEN Sanieren ist ein zweischneidiges Schwert. Man wird in den seltensten Fällen die vollen Sanierungskosten bei einem Verkauf zurückbekommen. Ansonsten ist das eine schwierige Frage: Die Tendenz ist schon klar, dass die Preise für bestimmte Immobilien weniger stark ansteigen beziehungsweise stagnieren. Und wir werden definitiv nicht mehr den Anstieg erleben wie in den fünf, sechs Jahren davor.
Was bedeutet das für Interessenten? Kann man bald wieder Schnäppchen machen?
EUJEN Die gab es immer. Käufer müssen sich heute aber noch besser informieren, was auf Eigentümer zukommt. Sonst droht nach dem Kauf die Überraschung, dass plötzlich die alte Heizung saniert oder ausgetauscht werden muss, weil der Gesetzgeber neue Vorgaben auf den Weg gebracht hat.
Sie meinen die lange Hängepartie
um das Heizungsmodernisierungsgesetz?
EUJEN Ja. Das haben wir 2023 sehr deutlich gemerkt. Wir hatten im August einen sehr deutlichen Einbruch bei den Kauffällen im Vergleich zu den Vorjahresmonaten. Da liegt es nahe, dass dies mit der Unsicherheit durch den Gesetzgebungsprozess zusammenhängt.
Wie ist denn der Zustand der verkauften Häuser in der Stadt? Was kommt auf Eigentümer oder Käufer zu?
EUJEN Es gibt die Eigentümer, die immer alles aktuell halten und auf dem aktuellen Stand sind. Und es gibt die Menschen, die in ihrem Eigentum wohnen und Modernisierungen aufschieben. Das ist aber in Mönchengladbach auf normalem Niveau, soweit ich das einschätzen kann. Natürlich gibt es auch Immobilien, die total verwahrlosen.
Wie haben sich die Preise für 2023 entwickelt?
EUJEN Das ist sehr schwierig, weil wir gerade noch auswerten. Der Umsatz war sehr schwankend im Vergleich zu 2022. Da sind wir in der Auswertung jetzt im September, es dauert noch, bis die restlichen Kaufverträge bei uns ankommen. Aber ganz klar ersichtlich ist: Die Umsätze waren Anfang des Jahres noch bis März, April am stärksten.
In Ihrer Auswertung unterscheiden Sie die Immobilien nach fiktivem Baujahr. Gemeint ist damit der Modernisierungsstand?
EUJEN Genau. Wenn Sie ein Haus haben, das 1900 gebaut wurde, dann ist es zu 99,5 Prozent mit Toiletten in den Innenräumen ausgestattet. Das wäre dann nicht mehr der baujahrestypische Stand von 1900, dann würde es womöglich Stand 1950 besser treffen. Da fließen unter anderem Sanitärräume, Bausubstanz, Fenster, Leitungssysteme mit ein.
Es werden noch Wohnhäuser mit der Toilette im Flur verkauft?
EUJEN Ja, das habe ich schon erlebt –
ein Haus mit einer Toilette auf dem Flur habe ich schon gesehen in Mönchengladbach. Und ich sage Ihnen: Man sieht es dem von außen wunderschön modernisierten Haus aus dem 19. Jahrhundert nicht an.
Also hat der Eigentümer draußen alles getan und im Inneren nicht?
EUJEN Doch. Drinnen war auch alles gemacht. Nur waren die Sanitäranlagen nie in die Wohnungen geholt worden.
Auf Drängen der EWMG hat die Stadt zuletzt die Entwicklung des Neubaugebiets in Morr gestoppt, weil es aufgrund des Preisverfalls unwirtschaftlich geworden ist. Wo sehen Sie denn die Preise für Bauland in Mönchengladbach?
EUJEN Diese Werte muss der Gutachterausschuss zum Stichtag 1. Januar 2024 noch beschließen. Wir haben ja Bodenrichtwertzonen zwischen 180 und um die 600 Euro in einem normalen Wohngebiet, die sich aus Verkäufen in einem unbebauten Teilmarkt ergeben. Aber Veränderungen bei den Richtwerten sind hochkomplex, und gerade jetzt kommt es bei den permanenten Änderungen auf dem Grundstücksmarkt vor, dass wir auch die Auswertungsverfahren anpassen müssen.
Damit meinen Sie die krassen Ausreißer?
EUJEN Ja. Wenn früher jemand das Doppelte des Bodenrichtwertes bezahlt hat oder auch nur die Hälfte, dann wurden diese Daten als ungewöhnlich eingeschätzt. Da hat ein komplettes Umdenken stattgefunden. Im Moment gibt es keine Ausreißer. Es ist alles möglich.
In welchen Stadtteilen wird am meisten gekauft oder verkauft?
EUJEN Das sind immer noch die Innenstädte Gladbach und Rheydt, wo eben viele Wohnungen konzentriert sind.
Und wo werden die höchsten Preise erzielt?
EUJEN In den typischen Lagen wie rund um den Bunten Garten. Auch die Verkäufe, die es in der Seestadt bisher gab, waren extrem hoch.
Was war der bisher höchste Kaufpreis für eine Wohnimmobilie, der Ihnen in Ihrer Zeit im Gutachterausschuss in Mönchengladbach bekannt geworden ist?
EUJEN Das teuerste war vor einigen Jahren ein Objekt für etwa elf Millionen Euro. Das habe ich mir dann auch genauer angeschaut.
entsprach der erzielte KaufUnd preis auch dem durch den Ausschuss ermittelten?
EUJEN Nein. Aber es war nun einmal so. Man kann auch heute noch sehr hohe Preise erzielen, die für uns nicht immer nachvollziehbar sind.
Können Sie ein Beispiel nennen?
EUJEN Wir hatten ein Mehrfamilienhaus mit 16 Wohnungen, für das keine Baugenehmigung vorliegt, für das also noch einige Genehmigungen einzuholen waren. Das ist auch für mehrere Millionen Euro weggegangen. Es hat sich eben ein Käufer gefunden. Gute Preise kann man also auch heute noch erreichen.
Wie oft kommt es vor, dass Häuser ohne Baugenehmigung verkauft werden?
EUJEN Es gibt immer mal wieder Häuser, für die der ursprüngliche Bau genehmigt wurde, bei denen dann aber vielleicht die eine Wand entfernt wurde, eine andere dafür eingebaut oder vielleicht auch ein Anbau selbst gemauert wurde. Das hat es schon immer gegeben, und das wird es auch weiterhin geben.
Was passiert dann?
EUJEN Wenn das wirklich enorm ist, machen wir in unseren Auswertungen einen Abschlag. Gleiches gilt übrigens auch für eingetragene Wohnrechte oder Nießbrauch oder andere aufschiebende Bedingungen.
Ein Abschlag in Ihrer Analyse ist das eine. Aber wenn da ein nicht genehmigtes Gebäude oder ein nicht genehmigter Gebäudeteil steht, dann hat das doch weitere Folgen.
EUJEN Natürlich gibt es genaue Vorschriften bei Vermietungen vor allem beim Brandschutz. Aber es ist Sache des Käufers, sich darüber zu informieren.
Was kommt häufiger vor: Der nicht genehmigte Anbau an der Rückseite oder der zu einem Wohnraum ausgebaute Dachboden, der eigentlich nicht bewohnt werden darf?
EUJEN Beides kommt immer wieder vor, wie auch der ausgebaute Keller. Meistens ist der Brandschutz mit nicht ausreichenden Fluchtmöglichkeiten das Problem. Häufig ist das den Eigentümern gar nicht bewusst, was sie wie genau nutzen oder vermieten dürfen.
Oder verkaufen...
EUJEN Das ist wie gesagt Aufgabe des Käufers. Ich muss die richtigen Fragen stellen, und der Eigentümer muss mich über alles aufklären. Und sicherlich spielt auch eine Rolle, ob der Käufer die Immobilie selbst bewohnen oder vermieten möchte.
Was muss ich als Käufer fragen?
EUJEN Grundsätzlich immer alle Informationen zu dem Objekt einholen, und dazu gehört zum Beispiel auch die Baugenehmigung für ein ausgebautes Dachgeschoss. Wenn da steht „Trockenraum“, dann ist das kein Wohnraum. Es sei denn, es gibt eine Nachgenehmigung. Wenn die nicht vorliegt, gilt immer die ursprüngliche Baugenehmigung. Dann hat das Haus faktisch eben nicht 150 Quadratmeter Wohnfläche, sondern nur 110.
Musste in Ihrer Zeit eine Immobilie abgerissen werden?
EUJEN Im Kaufvertrag sieht man das selten. Aber der Gutachterausschuss macht ja auch Wertermittlungen vor Ort, und da haben wir schon Immobilien bewerten müssen, die wir aus Sicherheitsgründen nicht betreten konnten. Wenn wir so etwas vor Ort sehen, sind wir natürlich verpflichtet, dies der Bauordnung zu melden.
Wer bestellt bei Ihnen denn eigentlich noch ein Gutachten über den Verkehrswert der Immobilie?
EUJEN Bürger, die das ohne Anlass wissen wollen, gibt es heute fast gar nicht mehr. Vor zehn Jahren haben das tatsächlich noch viele Menschen gemacht. Heute werden wir als neutrale Stelle eingeschaltet, wenn Erbengemeinschaften beteiligt sind und Scheidungsverfahren laufen, bei denen man sich nicht einigt. Es kostet ja auch etwa 2000 Euro für ein Einfamilienhaus ohne Besonderheiten. Und man muss ungefähr ein halbes Jahr Wartezeit mitbringen.
Die Grundsteuerreform steht vor der Umsetzung. Und dafür wurden nun Bodenrichtwerte herangezogen aus einer Zeit, in der sie auf sehr hohem Niveau lagen.
EUJEN Ja. Das ist so. Aber die Bodenrichtwerte sind aus unserer Sicht richtig. Was die Finanzgerichtsbarkeit daraus macht, können wir nicht beurteilen. Das Problem ist, dass der gleiche Wert in verschiedenen Fachlichkeiten grundsätzlich anders verstanden und angesetzt wird. In der Grundstückswertermittlung ist der Richtwert nicht direkt anzusetzen, sondern wird als Grundlage genutzt, um mithilfe verschiedener Parameter den Verkehrswert des individuellen Grundstücks zu ermitteln. Für uns ist er eben auch nur ein Richtwert, nicht mehr. In der Grundsteuerreform ist dieser Wert gesetzt – Punkt. Egal, welche Nutzung dahinter steht, ob es ein riesiger Garten ist oder ein nur drei Meter schmales Grundstück, das nicht zu bebauen ist. In der Grundstückswertermittlung ist das ganz wichtig. Aber bei der Grundsteuer zählt nur dieser Richtwert.
Ist das ein Stück weit ungerecht?
EUJEN Damit muss man leben. Diese Diskrepanz hat zu sehr vielen Anrufen bei uns geführt, aber da sind wir machtlos. Das ist eine gesetzliche Vorgabe, die der Gutachterausschuss nicht beeinflussen kann. Bodenrichtwerte können nach dem Beschluss auch nicht mehr nachträglich geändert werden.
Wie lautet Ihr Ratschlag oder Ihr guter Wunsch für 2024 an die Gladbacher Immobilieneigentümer? EUJEN Man sollte sich gut um sein Eigentum kümmern und pfleglich damit umgehen.