Rheinische Post Erkelenz

„Das soll uns nicht ein zweites Mal passieren“

Der US-Amerikaner spricht über seine neue Rolle auf dem Feld, das große Ziel Pokalfinal­e und Zocker-Abende mit Kollegen.

- Joe Scally

Joe Scally, Sie sind gerade erst 21 Jahre alt geworden, drei Jahre sind mittlerwei­le seit ihrem Wechsel aus den USA vergangen. Fühlt es sich für Sie so an, als seien Sie schon ewig bei Borussia?

SCALLY Definitiv. Wenn man in einem so jungen Alter ist, sind drei Jahre immer eine lange Zeit. Es ist viel passiert, seitdem ich aus New York nach Gladbach gekommen bin, mir wurde es von Anfang an leicht gemacht. Ich bin sehr glücklich, wie es bisher gelaufen ist.

Sie haben sich schnell in der Bundesliga zurechtgef­unden. Inwieweit haben Sie sich an das Leben in Deutschlan­d gewöhnt?

SCALLY Ich würde nicht sagen, dass es sich komplett wie mein Zuhause anfühlt, weil meine Familie weit weg ist. Aber ich fühle mich sehr wohl und komme im Alltag gut zurecht.

Dieses Mal haben Sie sogar die Weihnachts­tage in Deutschlan­d verbracht.

SCALLY Genau, meine ganze Familie war zu Besuch, weil lange Zeit nicht absehbar war, wann wir wieder mit dem Training loslegen. Wir sind dann mit allen für zwei Tage nach Paris gefahren und haben den Rest der Zeit in Düsseldorf verbracht.

Am 31. Dezember stand dann noch ihr Geburtstag an – den feiern Sie wahrschein­lich eher als Silvester. SCALLY Absolut, aber ich glaube, in den USA wäre das dieses Mal noch besonderer gewesen, da ist der 21. Geburtstag aufgrund der Volljährig­keit ein großer Tag, hier in Deutschlan­d ist das ja ein bisschen anders. Aber ich hatte einen schönen Abend mit meiner Familie, wir haben lecker gegessen und Football geschaut.

Erinnern Sie sich noch an den Tag, als Sie im Januar 2021 am Trainingsp­latz standen und kurz nach Ihrer Ankunft aus den USA mit Eugen Polanski ein Training der Profis angeschaut haben?

SCALLY Das weiß ich noch ganz genau. Ganz am Anfang stand eine Passübung auf dem Programm. Es war völlig verrückt. Ich stand da und habe gedacht: ‚Wie soll ich da jemals mithalten?‘

Hat Sie das Tempo beeindruck­t? SCALLY Unter anderem. Jeder war fokussiert. In der MLS ist es so, dass der eine Pass mal auf Brusthöhe ankommt, der nächste auf Kopfhöhe. Ich war das einfach nicht gewohnt, so viele perfekte Bälle zu sehen. Und natürlich war ich mit 18 Jahren auch nervös und hatte Respekt, schließlic­h wollte ich meine Sache auf Anhieb gut machen.

Wer waren die Mitspieler, die Ihnen vor allem am Anfang geholfen haben?

SCALLY Vor allem Jan Olschowsky, Rocco Reitz und Jonas Kersken haben mich super aufgenomme­n, sie gehörten ja wie ich zu den jungen Spielern. Ein halbes Jahr nach mir kam Luca Netz, mit ihm habe ich mich auch direkt gut verstanden.

Mit Olschowsky, Reitz und Netz zocken Sie regelmäßig das Computersp­iel Fortnite. Mittlerwei­le können Ihnen die Gladbach-Fans dabei online zuschauen.

SCALLY Daran haben wir aktuell Spaß. Es ist unterhalts­am, wenn wir mit mehreren spielen. Mir schreiben junge Fans Nachrichte­n, dass Sie daran Freude haben, uns zuzuschaue­n. Einer hat neulich aber auch geschriebe­n, dass ich schlafen gehen soll, weil am nächsten Tag Training ansteht.

Es wird erwartet, dass Sie 24 Stunden am Tag Fußballpro­fi sind. SCALLY Genau, dabei macht es doch keinen Unterschie­d, ob ich zu Hause sitze und abends eine Stunde nur für mich zocke, oder ob die Leute mir dabei zusehen können. Wir haben ja auch noch ein Leben neben dem Fußball, der Großteil der Fans ist sich dessen aber auch bewusst.

Spüren Sie mittlerwei­le einen anderen Spirit in der Mannschaft, weil es im Sommer einen Umbruch gab und jüngere Spieler mehr im Fokus stehen?

SCALLY Ja, schon. Es sind viele erfahrene und ältere Spieler gegangen, der Altersschn­itt ist entspreche­nd gesunken. Wir haben eine gesunde Mischung im Team und es fühlt sich wie eine kleine Familie an. Jeder kann auf jeden zugehen, die Atmosphäre ist gut, ich mag das.

Wo ordnen Sie sich selbst in dem Gefüge ein? Sie sind jung, können in dieser Saison aber bereits ihr

100. Pflichtspi­el für Borussia bestreiten.

SCALLY Ich verstehe mittlerwei­le sehr viel auf Deutsch, kann es aber nicht fließend sprechen. Deshalb bin ich nicht derjenige, der in der Kabine große Reden schwingt oder auf dem Platz lautstark seine Mitspieler zurechtwei­st. Ich versuche vor allem, mit Leistung zu überzeugen, Zweikämpfe auf dem Feld zu gewinnen, die kleinen Dinge eben. Auch dadurch kann ich Verantwort­ung für die Mannschaft übernehmen.

Zu Ihrer Entwicklun­g gehört auch, dass Sie in dieser Saison vom rechten Außenverte­idiger zum rechten Innenverte­idiger geworden sind. Haben Sie das vor der Saison kommen sehen?

SCALLY Nicht wirklich. Ich hatte vorher noch nie als Innenverte­idiger gespielt, dann kam das Thema in der Vorbereitu­ng auf, aber da ging es eher darum, dass ich diese Position vielleicht mal im Aufbauspie­l einnehme. Es ist definitiv anders, daran musste ich mich erst gewöhnen. Mittlerwei­le mag ich es und ich weiß, dass es mir generell hilft, wenn ich mehrere Positionen spielen kann, weil meine Chancen auf Spielzeit dann größer sind.

Was sind Qualitäten, die den Trainer davon überzeugt haben, Sie in der Innenverte­idigung einzusetze­n? SCALLY Vielleicht die Tatsache, dass ich doch schon einige Bundesliga­spiele

gemacht habe und dadurch ungefähr weiß, was auf mich zukommt. Dass ich schnell bin, hilft mir natürlich auch. Mit Ball treffe ich mittlerwei­le schnellere Entscheidu­ngen, das hat mir auf der Position geholfen.

Ist es in der Kabine bereits ein Thema, dass die Chance in diesem Jahr groß ist, ins DFB-Pokalfinal­e zu kommen?

SCALLY Je näher das Saarbrücke­nSpiel kommt, desto mehr wird das thematisie­rt. Aber wir wissen bereits jetzt, dass die Chance da ist. Ich war am vergangene­n Wochenende gemeinsam mit Jordan Siebatcheu in der Nähe von Oldenburg zu einem Fanklub-Besuch, rund 30 Fans haben da auf uns gewartet. Sie haben uns gesagt, dass Sie mit dem Fahrrad nach Berlin fahren würden, wenn wir ins Finale kommen. Das möchte ich jetzt natürlich sehen. Aber im Ernst: Wir haben vor zwei Jahren im Achtelfina­le in Hannover kein gutes Spiel gemacht und sind ausgeschie­den. So etwas soll uns nicht ein zweites Mal passieren.

Wenn Borussia auf kleinere Mannschaft­en trifft, ist die Sorge bei den Fans immer groß, dass das in die Hose geht. 2015 gab es im Viertelfin­ale das Aus bei Arminia Bielefeld, die damals wie Saarbrücke­n Drittligis­t waren. Können Sie den Anhängern den Pessimismu­s nehmen?

SCALLY Wir haben gesehen, was Saarbrücke­n mit Bayern und Frankfurt

gemacht hat. Dass wir sie jetzt unterschät­zen, wird uns also definitiv nicht passieren.

Glauben Sie, dass Borussia mittlerwei­le so weit ist, eine solche Chance auf ein Halbfinale nicht mehr liegen zu lassen?

SCALLY In einem Spiel kann alles passieren, das ist klar. Wir müssen fokussiert sein und alles daran setzen, das Halbfinale zu erreichen. Ich bin optimistis­ch, dass uns das gelingt.

In der Liga starten Sie mit zwei Heimspiele­n ins neue Jahr. Auch das ist eine große Chance, zu punkten.

SCALLY Wir sind mittlerwei­le seit sieben Heimspiele­n unbesiegt. Die Fans geben uns viel Energie, das hilft uns. Deshalb freuen wir uns auch auf die Duelle mit Stuttgart und Augsburg.

Wie schätzen Sie Stuttgart ein? SCALLY Wir haben in der SommerVorb­ereitung gegen sie gespielt. Damals hat der Sieg uns viel Selbstvert­rauen gegeben. Aber das zählt jetzt nicht mehr. Sie haben Dortmund in der Liga geschlagen und sie aus dem Pokal geworfen, und einen Punkt gegen Leverkusen geholt. Wir müssen bereit sein für die 90 Minuten.

Borussia hat es in einigen Spielen in dieser Saison nicht geschafft, von Anfang an voll da zu sein. Gegen Darmstadt, Köln und Union hatte man schnell den Eindruck, dass das schiefgeht.

SCALLY Darüber haben wir gesprochen und das müssen wir abstellen. Vor Union hatten wir zwar das 120-Minuten-Spiel gegen Wolfsburg, aber Union Berlin hatte die Doppelbela­stung fast jede Woche. Deshalb darf das keine Ausrede sein. Wir müssen uns selbst vor jedem Spiel daran erinnern, dass wir in den ersten Minuten da sein müssen. Sonst werden wir dafür bestraft.

„Wir haben gesehen, was Saarbrücke­n mit Bayern und Frankfurt gemacht hat“

Dass Borussia bereits 17 Punkte nach Führungen verspielt hat, ist ein weiteres Problem der ersten Saisonhälf­te gewesen.

SCALLY Auch das müssen wir verbessern. Wir haben viele junge Spieler, die noch nicht so erfahren sind, daran werden wir wachsen. Dass man eine Führung aus der Hand gibt, kann mal passieren, aber nicht in der Häufigkeit.

Von außen betrachtet wirkt es eher wie ein Problem der gesamten Mannschaft.

SCALLY Es ist immer eine Sache des Kollektivs. Manchmal geht es vorne los, wenn dort unser Pressing nicht stimmt. Oder im Mittelfeld und hinten, wo wir eine Mischung aus jungen und älteren Spielern haben, das hat dann nichts mit dem Alter zu

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Joe Scally kam im Januar 2021 aus New York nach Gladbach.

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