Rheinische Post Erkelenz

Cvancara wäre nicht der erste Spätstarte­r

Der Tscheche hat in diesem Jahr noch keine Trainingse­inheit mit der Mannschaft absolviere­n können. Trotz des ernüchtern­den Starts darf er sich nicht unterkrieg­en lassen. Bei Borussia benötigten schon viele Überfliege­r einen langen Anlauf.

- VON THOMAS GRULKE UND JANNIK SORGATZ

Beide Seiten hätten sich das erste gemeinsame Halbjahr leichter und erfolgreic­her vorgestell­t: Für elf Millionen Euro kam Tomas Cvancara im Sommer von Sparta Prag, der Start verlief verheißung­svoll, doch seit mehr als drei Monaten reiht sich beim 23-Jährigen ein Rückschlag an den nächsten.

Nahezu keine Trainingsw­oche konnte Cvancara beschwerde­frei absolviere­n, von 100 Prozent ist er so weit entfernt wie ein Handy-Akku bei null Grad. Auch wenn der Start ins neue Jahr wieder verkorkst ist und Cvancara noch keine Einheit mit dem Team absolviert hat, wäre der Tscheche nicht der erste Borusse, der mit Verspätung zum Überfliege­r wird. Diese Beispiele machen Hoffnung, dass Cvancara noch durchstart­et.

Horst Köppel (184 Bundesliga­spiele/39 Tore für Gladbach) wechselte im Sommer 1968 als 20-Jähriger mit der Empfehlung von 17 Saisontore­n für den VfB Stuttgart nach Gladbach. Der schnelle Angreifer benötigte jedoch Anlaufzeit in Hennes Weisweiler­s Team. Zwar bestritt Köppel 32 Spiele, ihm gelangen dabei aber nur fünf Tore, drei davon an den letzten drei Spieltagen. Das schien der Startschus­s für den Stürmer zu sein: In den folgenden beiden Jahren steuerte er je neun Tore zu den ersten beiden Meistersch­aften der Borussia bei.

Allan Simonsen (178 Spiele/76 Tore) ist bis heute der Prototyp des

Spätzünder­s bei Borussia. Weisweiler hatte den Glauben an den schmächtig­en Dänen schon verloren, nur fand sich 1974 kein Abnehmer für Simonsen, der nach anderthalb Jahren gerade einmal 17 Ligaspiele und zwei Tore zustande gebracht hatte. Es war ein Glücksfall für Borussia: Der flinke Außenstürm­er startete 1974/75 durch, er gewann mit Gladbach drei Meistertit­el und zweimal den Uefa-Pokal. 1977 wurde er gar Gladbachs einziger „Europas Fußballer des Jahres“.

Uwe Rahn (227 Spiele/81 Tore) war gerade erst 18 Jahre alt geworden, als er 1980 aus der Jugend Waldhof Mannheims zu Borussia wechselte. Niemand erwartete Wunderding­e von langen Blonden, und die erste Saison verlief mit 14 Einsätzen und drei Toren schon vielverspr­echend. Doch der endgültige Durchbruch ließ dann doch noch zwei weitere Spielzeite­n auf sich warten. Die Geduld von Trainer Jupp Heynckes zahlte sich aus: 1984 feierte Rahn sein Debüt in der A-Nationalma­nnschaft, drei Jahre später wurde er Torschütze­nkönig und Fußballer des Jahres.

Martin Dahlin (125 Spiele/60 Tore) machte zunächst nicht den Eindruck, als ob er Gladbach wirklich weiterhelf­en könnte. Im Herbst 1991 aus Malmö gekommen, hatte der Schwede zunächst mit großen konditione­llen Problemen zu kämpfen. Trainer Jürgen Gelsdorf wusste nicht viel mit Dahlin anzufangen, selbst im DFB-Pokalfinal­e gegen Hannover 96 kam der Angreifer nur von der Bank. In der Spielzeit darauf unter Gelsdorf-Nachfolger Bernd Krauss blühte Dahlin aber auf, entwickelt­e sich zum Topstürmer, der Schwede war auch maßgeblich am DFB-Pokalsieg 1995 beteiligt.

Roman Neustädter (59 Spiele/1 Tor) war, mit 21 Jahren vom FSV Mainz gekommen, in seiner ersten Saison 2009/10 Stammkraft in der U23, und auch 2010/11 bekam er kaum einmal eine Chance unter Michael Frontzeck. Der stellte ihn kurz vor Weihnachte­n jedoch in die Startelf, 49-mal in Folge durfte der defensive Mittelfeld­spieler von da an in der Bundesliga beginnen. Marco Reus war im übertragen­en Sinne der „Messi“, den Lucien Favres „Borussia Barcelona“2012 verlor, Dante der „Piqué“und Neustädter der „Iniesta“. Als Sechser vor der zwischenze­itlich besten Abwehr Europas hatte er den FC Schalke überzeugt, so gut wie in Gladbach wurde Neustädter aber nie mehr.

Oscar Wendt (244 Spiele/16 Tore) sollte 2011 so langsam die Nachfolge einer Legende antreten, Kapitän Filip Daems wurde bereits 33 in jenem Jahr. Doch nach der ersten Saison war nicht abzusehen, dass Wendt auf der Linksverte­idiger-Position selbst Legendenst­atus erlangen sollte, und ehrlich gesagt auch nicht so recht nach der zweiten und dritten. Erst 2014/15, als Borussia sich erstmals aufmachte in die Gruppenpha­se der Champions League, war Wendt unumstritt­ener Stammspiel­er. Hatte er sich in der Anfangszei­t sogar noch mit Fans angelegt, dichteten sie irgendwann Lieder über den Schweden.

Granit Xhaka (108 Spiele/6 Tore) kann als Simonsen der Neuzeit bezeichnet werden. Er holte keine Titel und wurde nicht „Europas Fußballer des Jahres“, ist aber bis heute der teuerste Borusse, 45 Millionen überwies der FC Arsenal 2016. Der Schweizer benötigte eine ähnlich lange Anlaufzeit wie der Däne, warf sich immer wieder selbst zurück mit seiner Impulsivit­ät

und fehlender Demut. Wie Xhaka, mit erst 19 Jahren vom FC Basel gekommen, jedoch reifte und zum Synonym eines Anführers wurde, war schlicht beeindruck­end.

Thorgan Hazard (147 Spiele/31 Tore) hat seine Makel nicht komplett abgelegt in fünf Jahren Gladbach und von 2014 an dennoch einen beeindruck­enden Weg zurückgele­gt. Favre wusste ihn noch nicht so richtig einzusetze­n, immerhin hatte er die Chance, in den Pokalwettb­ewerben ins Team zu rotieren. Erst im 33. Bundesliga­spiel machte der Belgier sein zweites Tor, im Dreierstur­m mit Raffael und Lars Stindl lief es so langsam, aber längst nicht nachhaltig. 8, 9, 10, 18 und 21 Scorerpunk­te in der Bundesliga unterstrei­chen die sukzessive Steigerung. Ein Jahr vor Vertragsen­de war Hazard dem BVB 25,5 Millionen Euro wert – eine solche Summe hat Gladbach seitdem nicht mehr mit einem Spieler verdient.

Jonas Hofmann (184 Spiele/40 Tore) kam gleich mit einer Hypothek im Januar 2016 in Gladbach an: Acht Millionen Euro kostete der Dortmunder, das schürte Erwartunge­n, die Hofmann lange nicht erfüllen konnte. In den ersten zweieinhal­b Jahren schoss der Offensiv-Allrounder kein Ligator für Gladbach. Sein Aufstieg zu einem Leistungst­räger begann 2018/19 unter Dieter Hecking. Fortan traf er beständig, am Ende gar zweimal in Folge zwölfmal, wurde Führungssp­ieler und zeitweise gar Stammkraft im Nationalte­am.

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Tomas Cvancara ist seit Monaten physisch nicht auf der Höhe und erleidet immer wieder Rückschläg­e.

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