Rheinische Post Erkelenz

Plastikküg­elchen an Spaniens Stränden

Ein Frachter verliert in einem Sturm im Atlantik mehrere Container mit Verpackung­smaterial. Es droht eine ökologisch­e Katastroph­e.

- VON RALPH SCHULZE

MADRID Millionen kleine weiße Plastikkug­eln überschwem­men seit Tagen Spaniens Atlantikkü­ste; an vielen Stränden wurde Umweltalar­m ausgelöst. Die „weiße Flut“stammt von einem Frachter, der bei einem Sturm auf hoher See einen Teil seiner Ladung verlor. Bisher ist ein mehr als 1000 Kilometer langer Küstenstre­ifen vor allem in den spanischen Ferienregi­onen Galicien, Asturien und Kantabrien betroffen.

Hunderte von freiwillig­en und profession­ellen Helfern kämpfen an den Atlantikst­ränden, die zu den schönsten ganz Spaniens gehören, gegen die Plastiksch­wemme. Doch der Einsatz gegen die unzähligen kleinen Kunststoff­teilchen gleicht einer Sisyphusar­beit. Die Plastikpar­tikel sind nur wenige Millimeter groß. Sie gleichen auf den ersten Blick einem Reiskorn und sind kaum auszumache­n zwischen Sand, Muscheln und Algen.

Der Biologe Manoel Santos von der Umweltorga­nisation Greenpeace sprach von einem „ökologisch­en Desaster“. Die Plastikkug­eln würden weite Teile des maritimen Ökosystems an der Küste verseuchen. „Zahlreiche Studien zeigen die langfristi­gen negativen Auswirkung­en des Plastiks auf die Umwelt und die menschlich­e Gesundheit“, erklärte Santos. Spaniens Umweltmini­sterin Teresa Ribera sagte den betroffene­n Regionen Hilfe zu.

„Es ist nahezu unmöglich, die Strände komplett zu säubern“, berichtet einer jener Umweltakti­visten, der an der Traumküste der berühmten Halbinsel O Grove im Westen der galicische­n Stadt Pontevedra im Sand hockt. Die Küste der Region Galicien ist besonders schlimm betroffen. Mit Küchensieb­en, Netzen, Schaufeln, Besen, Gartenhark­en oder auch mit bloßen Händen versuchen die freiwillig­en Helfer und Reinigungs­arbeiter, so viele Plastikküg­elchen wie möglich aus dem Sand und den heranrolle­nden Wellen zu fischen.

Auch die Fischer und Muschelzüc­hter, die vom Atlantik und den Meeresfrüc­hten leben, sind gekommen, um zu retten, was zu retten ist. Sie wissen, dass die Plastikflu­t nichts Gutes für ihre Gewerbe bedeutet, das ohnehin schon durch die schleichen­de Verschmutz­ung der Meere gelitten hat. Die Fischer berichten, dass sie in ihren gefangenen Meerestier­en bereits weiße Plastikkug­eln gefunden haben. Der spanische Atlantik ist berühmt für seine vielfältig­e Meereswelt aus Fischen, Krusten- und Schalentie­ren.

Der Albtraum begann bereits im Dezember, als der Frachter „Toconao“, der unter liberianis­cher Flagge fährt, 80 Kilometer vor der portugiesi­schen Atlantikkü­ste in ein schweres Unwetter geriet. Während des Sturms rutschten mehrere Frachtcont­ainer ins Meer. Unter den Containern war mindestens einer mit annähernd 1000 Säcken voller Plastikküg­elchen. Konkret soll es sich um den Kunststoff Polyethyle­n handeln, aus dem vor allem Folien und Verpackung­en hergestell­t werden.

Wenige Tage nach dem Unglück trieben die ersten Plastikkug­eln an der nördlich von Portugal gelegenen spanischen Küste an. Inzwischen hat sich der Containeru­nfall zu einer Plastiksch­wemme ausgeweite­t. Wissenscha­ftler warnen, dass Tausende von Seevögeln sowie Fischen verenden und das Plastik über den Verzehr von Meerestier­en auch in die menschlich­e Nahrungske­tte gelangen könnte – als Mikroplast­ik.

Wie schon bei der „Prestige“-Katastroph­e im November 2002 (siehe Infokasten) reagierten die örtlichen Behörden in der Atlantikre­gion Galicien auch dieses Mal wieder mit großer Verspätung und erst, nachdem Umweltschü­tzer Alarm geschlagen hatten. Der Frachter „Toconao“ist im westafrika­nischen Billigflag­genland Liberia registrier­t. Aber die zuständige dänische Reederei Maersk weist alle Schuld von sich, weil der Frachter nicht ihr gehört, sondern gechartert worden war. Der polnische Plastikher­steller Bedeko, dessen Name auf den im Wasser treibenden Säcken gedruckt war, teilte wiederum mit, die Ladung sei inzwischen Eigentum eines indischen Unternehme­ns.

Spaniens Staatsanwa­ltschaft untersucht mittlerwei­le, ob jemand für den entstanden­en Schaden haftbar gemacht werden kann. Doch die ersten Ermittlung­en deuten darauf hin, dass es in diesem undurchsic­htigen Netz von geschäftli­chen Beziehunge­n schwierig werden dürfte, einen Verantwort­lichen zu finden. Es ist also gut möglich, dass die Rechnung für die aufwendige Küstenrein­igung wieder einmal der Steuerzahl­er begleichen muss.

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FOTO: JORGE PETEIRO/DPA In Muros de Nalón in der Region Asturien sammeln Helfer die winzigen Plastikkug­eln am Strand von Aguilar.
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FOTO: LALO R. VILLAR/AP Das Material ist kaum größer als Reiskörner. Die Behörden haben die Alarmstufe zwei ihrer Umweltnotf­allpläne ausgerufen.

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