Plastikkügelchen an Spaniens Stränden
Ein Frachter verliert in einem Sturm im Atlantik mehrere Container mit Verpackungsmaterial. Es droht eine ökologische Katastrophe.
MADRID Millionen kleine weiße Plastikkugeln überschwemmen seit Tagen Spaniens Atlantikküste; an vielen Stränden wurde Umweltalarm ausgelöst. Die „weiße Flut“stammt von einem Frachter, der bei einem Sturm auf hoher See einen Teil seiner Ladung verlor. Bisher ist ein mehr als 1000 Kilometer langer Küstenstreifen vor allem in den spanischen Ferienregionen Galicien, Asturien und Kantabrien betroffen.
Hunderte von freiwilligen und professionellen Helfern kämpfen an den Atlantikstränden, die zu den schönsten ganz Spaniens gehören, gegen die Plastikschwemme. Doch der Einsatz gegen die unzähligen kleinen Kunststoffteilchen gleicht einer Sisyphusarbeit. Die Plastikpartikel sind nur wenige Millimeter groß. Sie gleichen auf den ersten Blick einem Reiskorn und sind kaum auszumachen zwischen Sand, Muscheln und Algen.
Der Biologe Manoel Santos von der Umweltorganisation Greenpeace sprach von einem „ökologischen Desaster“. Die Plastikkugeln würden weite Teile des maritimen Ökosystems an der Küste verseuchen. „Zahlreiche Studien zeigen die langfristigen negativen Auswirkungen des Plastiks auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit“, erklärte Santos. Spaniens Umweltministerin Teresa Ribera sagte den betroffenen Regionen Hilfe zu.
„Es ist nahezu unmöglich, die Strände komplett zu säubern“, berichtet einer jener Umweltaktivisten, der an der Traumküste der berühmten Halbinsel O Grove im Westen der galicischen Stadt Pontevedra im Sand hockt. Die Küste der Region Galicien ist besonders schlimm betroffen. Mit Küchensieben, Netzen, Schaufeln, Besen, Gartenharken oder auch mit bloßen Händen versuchen die freiwilligen Helfer und Reinigungsarbeiter, so viele Plastikkügelchen wie möglich aus dem Sand und den heranrollenden Wellen zu fischen.
Auch die Fischer und Muschelzüchter, die vom Atlantik und den Meeresfrüchten leben, sind gekommen, um zu retten, was zu retten ist. Sie wissen, dass die Plastikflut nichts Gutes für ihre Gewerbe bedeutet, das ohnehin schon durch die schleichende Verschmutzung der Meere gelitten hat. Die Fischer berichten, dass sie in ihren gefangenen Meerestieren bereits weiße Plastikkugeln gefunden haben. Der spanische Atlantik ist berühmt für seine vielfältige Meereswelt aus Fischen, Krusten- und Schalentieren.
Der Albtraum begann bereits im Dezember, als der Frachter „Toconao“, der unter liberianischer Flagge fährt, 80 Kilometer vor der portugiesischen Atlantikküste in ein schweres Unwetter geriet. Während des Sturms rutschten mehrere Frachtcontainer ins Meer. Unter den Containern war mindestens einer mit annähernd 1000 Säcken voller Plastikkügelchen. Konkret soll es sich um den Kunststoff Polyethylen handeln, aus dem vor allem Folien und Verpackungen hergestellt werden.
Wenige Tage nach dem Unglück trieben die ersten Plastikkugeln an der nördlich von Portugal gelegenen spanischen Küste an. Inzwischen hat sich der Containerunfall zu einer Plastikschwemme ausgeweitet. Wissenschaftler warnen, dass Tausende von Seevögeln sowie Fischen verenden und das Plastik über den Verzehr von Meerestieren auch in die menschliche Nahrungskette gelangen könnte – als Mikroplastik.
Wie schon bei der „Prestige“-Katastrophe im November 2002 (siehe Infokasten) reagierten die örtlichen Behörden in der Atlantikregion Galicien auch dieses Mal wieder mit großer Verspätung und erst, nachdem Umweltschützer Alarm geschlagen hatten. Der Frachter „Toconao“ist im westafrikanischen Billigflaggenland Liberia registriert. Aber die zuständige dänische Reederei Maersk weist alle Schuld von sich, weil der Frachter nicht ihr gehört, sondern gechartert worden war. Der polnische Plastikhersteller Bedeko, dessen Name auf den im Wasser treibenden Säcken gedruckt war, teilte wiederum mit, die Ladung sei inzwischen Eigentum eines indischen Unternehmens.
Spaniens Staatsanwaltschaft untersucht mittlerweile, ob jemand für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden kann. Doch die ersten Ermittlungen deuten darauf hin, dass es in diesem undurchsichtigen Netz von geschäftlichen Beziehungen schwierig werden dürfte, einen Verantwortlichen zu finden. Es ist also gut möglich, dass die Rechnung für die aufwendige Küstenreinigung wieder einmal der Steuerzahler begleichen muss.