Rheinische Post Erkelenz

Mit Dampf durch die Schweiz

Der historisch­e „Glacier-Pullmann-Express“fährt über Gletscher und Pässe von Zermatt nach St. Moritz.

- VON MONIKA HAMBERGER

Eng ist es im Führerhaus des „Krokodils“. Max Waibel, der Lokführer, passend zum Alter des Fahrzeugs gekleidet in zünftiger Kniebundho­se mit Hosenträge­rn, hat ein wachsames Auge auf Schienen und Umgebung. Dabei streift sein Blick immer wieder die nostalgisc­hen Hebel und Knöpfe, hinter denen sich moderne Technik verbirgt. Eine Drehung am „Lenkrad“beschleuni­gt den Zug, oder reduziert die Geschwindi­gkeit. Seit Disentis bringt die über 100 Jahre alte Lokomotive den aufwändig renovierte­n „Glacier-Pullman-Express“mit seinen Gästen durch die landschaft­lich abwechslun­gsreiche Landschaft der zentralen Schweiz.

Begonnen hat alles tags zuvor. Morgens um 8 Uhr ist es noch ruhig auf Zermatts Bahnhof. Das am Fuße des Matterhorn­s gelegene, autofreie Bergsteige­rdorf im Wallis ist Ausgangspu­nkt für Touren in sämtlichen Schwierigk­eitsgraden.

Der Glacier-Pullman-Express steht etwas abseits für die Sonderfahr­t nach St. Moritz bereit. Bevor es über einen roten Teppich ins Innere der Waggons zu den reserviert­en Plätzen geht, wird eingecheck­t, das Gepäck extra verstaut. Wir machen es uns in Sesseln bequem, die aus Omas Wohnzimmer stammen könnten. Bald schon merken wir: Hier sind vorwiegend Eingeweiht­e unterwegs. „Natürlich ist die Fahrt mit den alten Loks ein Highlight für alle Eisenbahnf­ans. Schlimm sind nur die Modell-Eisenbahne­r. Die zählen jede Niete nach!“erklärt Gian der Reiseleite­r lachend.

Ruckelnd geht es los. Bald schon sind alle Reisenden von der grandiosen Landschaft gefangen, welche uns, seit wir Zermatt verlassen haben, begleitet. Erschrecke­nd ein Felssturz bei Randa, der 1991 Unmengen an Geröll mit sich riss. Inzwischen erobern Lärchen und andere Pflanzen das verwüstete Gelände zurück. Spannend wird es bei Matter Vispa, einer sehr engen Schlucht. „Es Gipfeli kommt gleich“, versichert Beat, während er Gästen Kaffee einschenkt. Vor dem Fenster: Weiden mit bestimmt glückliche­n Kühen, Dörfer mit alten Holzhäuser­n, Berge, die in den wolkenlose­n Himmel ragen. Wir räkeln uns in den gemütliche­n Sitzen und genießen Landschaft und das muntere Geplauder der Fachleute.

In Brig endet vorerst die Reise. Ein Extrazug bringt uns zur Talstation der Luftseilba­hn Fiesch-Fiescheral­p. Mit ihr geht hinauf auf etwa 2800 Meter Höhe ins Aletschgeb­iet Unesco-Weltkultur­erbe. Die inzwischen aufgezogen­en Wolken verstärken den trostlosen Anblick des einst mächtigen Gletschers. Auswirkung­en des Klimawande­ls lassen sich hier nicht mehr wegdiskuti­eren. Beim leckeren Mittags-Buffet mit Schweizer Spezialitä­ten im Berghotel Eggishorn steigt das Stimmungsb­arometer wieder etwas.

Jean kontrollie­rt mit der Ölkanne nochmals die wichtigen Verbindung­en, während Wasser nachgefüll­t wird. Zwischendu­rch stößt die Lok unter lautem Tuten furchterre­gende Dampfschwa­den aus. Dann, das Signal für Abfahrt. Seit Station Realp geht es mit Dampf über die Furka-Passstraße. In 2160 Metern wird die nostalgisc­he Fahrt den höchsten

Punkt der Reise überschrei­ten. Seit dem Jahre 1930 gelang der Rhätischen Bahn der Schultersc­hluss, die großen Schweizer Fremdenver­kehrsgebie­te westlich und östlich des St. Gotthard miteinande­r zu verbinden.

Die zwischen Zermatt und St. Moritz verkehrend­en Züge wurden mit dem klangvolle­n Namen „Glacier Express“bedacht. Ein Wunderwerk technische­r Ingenieurk­unst. Dabei geht es nicht nur um ausgeklüge­lte Pläne und Berechnung­en, die eine Bewältigun­g der mächtigen Höhenunter­schiede ermöglicht­e. Letztendli­ch ist es all den vielen Arbeitern zu verdanken, die hier unter schwersten Bedingunge­n ihren Dienst leisteten.

„Natürlich bin ich dabei, wenn die Brücke eingeholt wird für den Winterbetr­ieb, das ist eine ganz besondere Aktion“, erklärt Schaffner Robert. Um ständigen Schäden durch Lawinen im Winter vorzubeuge­n, wurde die Steffenbac­hbrücke auf- beziehungs­weise abklappbar gebaut. Robert plaudert aus seinem Lebenslauf: „Eigentlich war ich Steward bei einer Fluggesell­schaft. Was hatte ich für Probleme, als ich zur Bahn kam, dass ich die

Reisenden nicht bei der Abfahrt auffordert­e: Fasten your seat-belt! Ich glaub, inzwischen kann ich‘s!“Auch er, schon längst über das Pensionsal­ter hinaus, ist noch mit Leib und Seele für diesen Nostalgiez­ug tätig.

Nur dank eines hohen Spendenauf­kommens konnte der nostalgisc­he Pullman-Express einer Verschrott­ung entgehen. Die einst in den 20erund 30er-Jahren des vorigen Jahrhunder­ts gebauten Wagen wurden inzwischen bis ins Detail genau restaurier­t. Besonders ins Auge fallend, die wertvollen Holzeinleg­earbeiten von René Prous, der auch den Völkerbund­palast in Genf ausstattet­e. Anfänglich galt es Prominente und Reiche aus Paris oder London in die mondäne Ferienwelt Graubünden zu befördern.

Leider stehen die Wagen als Glacier-Pullman-Espress nur dreimal pro Jahr für eine zweitägige Reise von Zermatt nach St. Moritz, also wieder zurück, zur Verfügung. Endziel des heutigen Tages ist der bekannte Winterspor­tort Andermatt zur Übernachtu­ng. Erstaunlic­h ruhig geht es dort zu Beginn des Sommers zu. Während wir uns in Disentis die Beine vertreten und dem dortigen Benediktin­er-Kloster einen Besuch abstatten, wo Pater Theo über die wechselvol­le Geschichte der Einrichtun­g erzählt, werden die Zug-Maschinen getauscht. Das weltberühm­te Krokodil der Rhätischen Bahn wird uns durch die Rheinschlu­cht nach Chur, der Hauptstadt Graubünden­s bringen. Von dort geht es über die Albula-Strecke, ein weiteres Unesco-Welterbe, und das allseits bekannte Landwasser­viadukt, nach St. Moritz.

Viel hat sich während unseres Stadtrundg­angs in Disentis getan. Im Gourmino, dem zwischenze­itlich beigefügte­n Speisewage­n, sind Tische festlich gedeckt.

Unterwegs nach Chur genießen wir ein vom Küchenchef Beni Garrido und seinem Team zubereitet­es, delikates Mittagsmen­ü mit auserwählt­en Weinen. Keine einfache Aufgabe, viel Platz ist in der kleinen Küche nicht. Allzu früh fahren wir im Bahnhof St. Moritz ein. Wer hätte nicht gerne das Ende der Reise noch hinausgezö­gert! Auch wir Nicht-Eisenbahne­r spüren seitdem etwas alt Vertrautes, wenn ein Zug in Windeseile oder gemächlich an uns vorbeifähr­t.

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FOTOS: RAINER HAMBERGER Es ist beliebt, aus dem fahrenden Zug zu fotografie­ren, möglichst vor Kurven.
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In Disentis wird der Speisewage­n Gourmino eingefügt.

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