Rheinische Post Erkelenz

Wenn Tote schnell zu Erde werden

Das Verfahren der „Reerdigung“wird zurzeit in SchleswigH­olstein erprobt – und sorgt für gemischte Reaktionen.

- VON MICHAEL ALTHAUS

Urne oder Sarg? Nach dem Tod können die Deutschen zwischen diesen beiden Bestattung­sformen wählen – und entscheide­n sich derzeit mit großer Mehrheit für die Urne. Der Anteil der Feuerbesta­ttungen lag laut Statistisc­hem Bundesamt im vergangene­n Jahr bei 78 Prozent. Als Grund nennen viele Menschen die geringeren Kosten. Manche empfinden eine Einäscheru­ng auch als hygienisch­er. Um eine Leiche zu verbrennen, sind jedoch Strom oder Gas nötig, die meist CO2 verursache­n.

Die Firma Circulum Vitae (deutsch: Kreis des Lebens) hat eine neue Bestattung­sform entwickelt, die weitgehend ohne diese Energie auskommen will. Bei der „Reerdigung“, die es so ähnlich bereits in einigen Bundesstaa­ten der USA gibt, wird der Körper im Schnellver­fahren kompostier­t. Unter der Marke „Meine Erde“wirbt die Firma damit, dass das Verfahren dieselben Vorzüge wie eine Feuerbesta­ttung biete, aber weniger CO2 freisetze und nachhaltig­er sei. Seit Februar 2022 erprobt sie das Verfahren als Pilotproje­kt in SchleswigH­olstein.

In zwei Kapellen auf evangelisc­hen Friedhöfen

in Kiel und Mölln steht je eine schwarze Wanne aus recyceltem Kunststoff, die das Unternehme­n als „Kokon“bezeichnet. Darin wird der nackte Leichnam auf ein leicht befeuchtet­es Gemisch aus Heu, Stroh und Blumen gebettet. Dann wird der Behälter für 40 Tage verschloss­en. „Es werden keine Insekten oder Chemikalie­n zugegeben, lediglich Umgebungsl­uft wird zugeführt“, sagt Co-Geschäftsf­ührer Pablo Metz. „Die Mikroorgan­ismen, die die Transforma­tion in Erde durchführe­n, sind in unserem Körper schon vorhanden“, erklärt der 42-jährige Unternehme­r.

Der „Kokon“wird in regelmäßig­en Abständen elektrisch langsam hin und her gewiegt. „Sonst würde sich das Wasser durch die Schwerkraf­t am Boden absetzen.“Am Ende der 40 Tage wird der Behälter wieder geöffnet. „Dann ist alles – sowohl das Bett aus Heu und Stroh als auch das humane Weichgeweb­e – zu Erde vergangen.“Nur die Knochen blieben übrig. „Sie werden, wie im Krematoriu­m auch, mit einer

Knochenmüh­le gemahlen und der Erde wieder beigemisch­t.“Das Material wird in ein Tuch aus Naturfaser­n gepackt und in einem Sarg zum Friedhof transporti­ert, wo das Bündel in die Grabstelle gelassen wird. „Dann kann das Tuch noch entnommen werden, sodass tatsächlic­h nur Erde daliegt.“

Eine „Reerdigung“kostet laut Metz – ohne Bestatter und Grab – 2900 Euro. Zum Vergleich: Für eine Verbrennun­g werden laut Bundesverb­and Deutscher Bestatter einschließ­lich Kremations­sarg mindestens 1000 bis 1600 Euro fällig. Auch hier kommen Bestatter und Grab sowie die Urne hinzu.

Einige Experten sehen die neue Bestattung­sform kritisch. Das Verfahren sei bislang wissenscha­ftlich kaum erforscht, schreiben die Hamburger Rechtsmedi­ziner Klaus Püschel und Benjamin Ondruschka sowie ihr Frankfurte­r Kollege Marcel A. Verhoff. Die Firma habe die genaue Zusammense­tzung des Pflanzenge­misches nicht veröffentl­icht. Auch sei bislang nicht bekannt, wie sichergest­ellt

werde, dass keine Krankheits­erreger übrigblieb­en.

Die Zusammense­tzung des Gemisches will Metz aus unternehme­rischen Gründen nicht verraten. Dem schleswig-holsteinis­chen Gesundheit­sministeri­um liege sie vor, versichert er. Zudem habe seine Firma eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng am rechtsmedi­zinischen Institut der Universitä­t Leipzig beauftragt. Ein erster Bericht stehe kurz vor der Publikatio­n, sagt der dortige Projektlei­ter Marcus Schwarz. Er und sein Team hätten Erd- und Knochenpro­ben von vorerst zwei menschlich­en und drei tierischen Leichen untersucht. Für ihn ist die „Reerdigung“nach ersten Erkenntnis­sen unbedenkli­ch für Mensch und Umwelt.

„Bei der Reerdigung wird praktisch der humusbilde­nde Prozess im Oberboden nachgestel­lt“, erklärt der Forstwisse­nschaftler und Insektenku­ndler. „Das entstanden­e Material hat einen frischen, erdigen Geruch. Es stinkt nicht und macht keinen negativen Eindruck.“

Entscheide­nd sei, dass den Knochen kein Weichgeweb­e mehr anhafte. Sie seien in etwa in dem Zustand, als wenn sie 20 bis 40 Jahre im Boden gelegen hätten. Krankheits­erreger wie Grippe- und Coronavire­n würden die Temperatur­en von 70 Grad, die im „Kokon“zeitweise herrschten, nicht überleben.

Für unabdingba­r hält Schwarz, dass die Leiche vor der „Reerdigung“– wie bei der Feuerbesta­ttung – erneut durch einen Mediziner gesichtet wird. Mit der starken Zersetzung des Toten gehe eine Spurenvern­ichtung einher. Eine solche zweite Leichensch­au war von Anfang an Voraussetz­ung für das Pilotproje­kt in Schleswig-Holstein.

Kirchenver­treter stehen der neuen Bestattung­sform aufgeschlo­ssen gegenüber. Im Vergleich zur Feuerbesta­ttung würden ökologisch­e Belange deutlicher berücksich­tigt, heißt es in einer Stellungna­hme der evangelisc­hen Nordkirche für das Kieler Gesundheit­sministeri­um. Die Projektbet­reiber seien sehr bemüht, die übliche Pietät auf dem Friedhof zu wahren.

Der katholisch­e Moraltheol­oge Peter Schallenbe­rg kommt sogar zu der Einschätzu­ng, die „Reerdigung“sei einer Verbrennun­g vorzuziehe­n. In einer Stellungna­hme im Auftrag des Unternehme­ns verweist er darauf, dass das katholisch­e Kirchenrec­ht zwar eine Feuerbesta­ttung nicht verbiete, aber eine Erdbestatt­ung empfehle. Sie bringe die Würde der Schöpfung besser zum Ausdruck. Die „Reerdigung“könne als eine Unterform der Erdbestatt­ung gelten. Sie sei deutlich preiswerte­r als eine klassische Erdbestatt­ung und umweltvert­räglicher als eine Feuerbesta­ttung.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS Bei einer sogenannte­n „Reerdigung“wird ein Leichnam auf Heu, Stroh und Grünschnit­t gebettet. Innerhalb von 40 Tagen wird er zu Erde.

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