Wolf war größerer Fehleinkauf als de Jong
Hannes Wolf hat nicht alles zu verantworten, was ihn scheitern ließ. Doch geht er als großes Missverständnis.
Hannes Wolf ist zwischen dem Bekanntwerden seiner USA-Pläne und der Verkündung des Wechsels zum New York City FC am Dienstag oft mit einem weiteren Fehleinkauf der Borussia-Geschichte verglichen worden. Luuk de Jong kam 2012 für zwölf Millionen als Rekordtransfer, doch das Scheitern des Mittelstürmers in Gladbach unterschied sich in wesentlichen Punkten von Wolfs.
De Jong war eher ein Missverständnis als ein kompletter Flop, das wird gerne zu düster eingeordnet. Trainer Lucien Favre war in der Saison, nachdem „Borussia Barcelona“für Furore gesorgt hatte, minimal bereit, den Stil an den groß gewachsenen Zielspieler anzupassen. De Jong traf achtmal in 45 Pflichtspielen, sechsmal davon in der Bundesliga, was insgesamt sieben Punkte brachte – ohne die Borussia 2012/13 nicht die stabile Saison gespielt hätte mit Platz acht, die die Basis legte für die noch größeren Errungenschaften der Folgejahre. De Jong brachte bei seinem Verkauf an die PSV Eindhoven fast die Hälfte seiner Ablöse wieder ein. Und vor allem wurde de Jong nicht von einem beinahe machiavellistischen Treiben zerrieben.
Wolf ist das nicht vorzuwerfen, aber er hatte in Gladbach eben kaum eine Chance, diesem Schicksal zu entfliehen. Manager Max Eberl holte den Österreicher im ersten Corona-Sommer 2020 als Leihspieler von RB Leipzig, wo er gerade einmal 53 Minuten gespielt hatte infolge einer schweren Sprunggelenkverletzung. 1,5 Millionen Euro betrug die Leihgebühr, das wäre noch zu verkraften gewesen, obwohl Borussia keine Transfereinnahmen erzielte. Schlichtweg fatal war dagegen die Kaufpflicht über 9,5 Millionen Euro, die nach einer bestimmten Anzahl an Einsätzen wirksam wurde, kurz bevor Trainer Marco Rose seinen Abschied nach Dortmund verkündete.
Wolf war der Transfer, mit dem Eberl den ambitionierten Trainer nach der Qualifikation für die Champions League genauso zu beschwichtigen versuchte wie mit dem Versprechen, alle Topspieler zu halten – rückblickend zwei gravierende Fehlentscheidungen, die indirekt Eberls Ende in Gladbach einleiteten und deren Folgen der Klub noch immer spürt. Das ElfMillionen-Investment in Wolf limitierte schließlich die Möglichkeiten im Sommer 2021, als Borussia den Europapokal verpasste und wieder kein lukrativer Verkauf gelang. Sie konnte sich am Ende der Transferperiode nicht mal den Youngster Willian Pacho aus Ecuador leisten (der spielt inzwischen für Eintracht Frankfurt und hat einen geschätzten Marktwert von 24 Millionen).
Spätestens nach seiner ordentlichen, wenn auch nicht bahnbrechend erfolgreichen Leihe zu Swansea City in der Rückrunde 2021/22 hätte Wolf aus sportlicher Sicht einen Wechsel forcieren müssen. Zuvor war es zumindest verständlich gewesen, unter Rose-Nachfolger Adi Hütter, einem weiteren Trainer aus der RB-Schule, noch einen Anlauf zu nehmen. Spätestens unter Daniel Farke hätte er sich ausmalen können, wie limitiert seine Perspektive sein würde. Im Winter 2022/23 war Wolf dann verletzt, im Sommer 2023 auch nicht fit – Pech ist in dieser Geschichte ebenfalls ein Faktor.
Welche Rolle Wolfs Jahresgehalt über kolportierte 2,5 Millionen Euro brutto dabei spielte, dass er nicht früher den Absprung fand, lässt sich nur mutmaßen. Es zu verteufeln, dass jemand nicht freiwillig auf eine Million Euro pro Saison oder mehr verzichtet, fällt relativ leicht, wenn man selbst nicht vor der Entscheidung steht.
Am traurigsten ist unterm Strich die Tatsache, dass die Karriere eines einst so großen Talents dermaßen in die Sackgasse geraten ist. Wolf ist noch nicht einmal 25 Jahre alt, hat sein Potenzial aber seit mehr als viereinhalb Jahren nicht mehr dauerhaft abgerufen. Da glänzte er bei RB Salzburg unter Rose. Bis heute bleibt ungeklärt, was Wolf genau verkörpern sollte und welche Rolle in Gladbach am besten gepasst hätte – falls es überhaupt eine gab.
Beim überschaubar prominent besetzten MLS-Franchise New York City FC muss Wolf seine Laufbahn erst mal so in Schwung bringen, dass er überhaupt wieder für die Klubs in Europa interessant wird, bei denen er sich offenbar zu lange gesehen hat. Manchmal lohnt sich immerhin ein Neuanfang weit weg von den Orten, mit denen große Rückschläge verbunden sind. Zumindest um das Leben in der Weltmetropole New York City ist Wolf zu beneiden, der Rest der Geschichte ist aus vielerlei Gründen ernüchternd.
Luuk de Jong übrigens hat nach seinem Abschied aus Gladbach noch eine beachtliche Karriere mit zahlreichen Titeln und fast 250 Toren hingelegt.