„Ich fühle mich wie ein Sozialarbeiter“
Bashir Mohammed Ali wuchs in Somalia auf, machte eine Schreinerlehre in der DDR und arbeitet heute als Sicherheitsmann beim Vitus-Center.
MÖNCHENGLADBACH Bashir Mohammed Ali ist nicht aus der Ruhe zu bringen – auch wenn das bei seinem Beruf nicht immer einfach ist. Bis vor einigen Wochen hat er als Sicherheitsmann bei der KfzZulassungsstelle in Mönchengladbach gearbeitet. Zum neuen Jahr wechselte er zum Bürgerbüro im Vitus-Center. Alltäglich trifft er Menschen, die auf einen Termin warten oder nicht genau wissen, welche Unterlagen sie brauchen. Entspannt sind viele von ihnen nicht. „Aber ich habe noch nie Probleme gehabt“, sagt Mohammed Ali. Er geht auf jeden mit einem Lächeln zu, bietet sofort das „Du“an. Das ist seine einnehmende Art, aber es hat auch mit seiner bewegten Geschichte zu tun. Eine Schlange voller ungeduldiger Gladbacher ist bei seinem Lebenslauf kaum eine Herausforderung.
Mohammed Ali wird 1959 in Somalia geboren, seine Eltern leben als Nomaden. Mit acht Jahren, so sagt Mohammed Ali, läuft er von zu Hause weg und fährt, versteckt auf einem Anhänger, zu seinen Geschwistern nach Mogadischu. Doch das Leben in der somalischen Hauptstadt ist hart. Die Geschwister halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, das Geld reicht gerade so für Essen. Mit 13 wird Mohammed Ali in ein Heim aufgenommen. Dort geht er zum ersten Mal in die Schule, lebt in einer kleinen Wohnung. „Wir hatten alles, was wir brauchten“, sagt er heute.
Nach dem Abschluss arbeitet Mohammed Ali in einem Militärkrankenhaus, er will Mediziner werden. Doch zwischen Äthiopien und Somalia herrscht Krieg – und der Jugendliche wird täglich mit dessen Folgen konfrontiert. Er entscheidet sich für eine Ausbildung zum Schreiner, ist fasziniert von der Arbeit mit Holz. „Die DDR hat eine Handwerksschule bei uns vor Ort aufgebaut“, sagt Mohammed Ali.
Mit 20 bekommt Mohammed Ali dort eine einmalige Chance: Er darf in die DDR reisen. Der Flug nach Berlin dauert 24 Stunden, es werden Zwischenstopps in Kairo, dem Iran und Moskau eingelegt. „Als wir aus der Maschine stiegen, dachte ich, mir friert sofort das Gesicht ab“, sagt der Gladbacher und lacht. „Der Wechsel von 36 Grad Celsius zum tiefsten Winter war nicht leicht.“Das gilt auch für die Zeit in Cottbus. Drei Monate lernt Mohammed Ali dort in einem Intensivkurs die deutsche Sprache. Von 8 bis 19 Uhr werden Vokabeln und Grammatik gepaukt.
Trotzdem bleibt Zeit, um die Stadt kennenzulernen. „Die Menschen haben uns mit offenen Armen empfangen und sogar nach Hause zum Essen eingeladen“, erinnert er sich. Viele Jahre später wird Mohammed Ali noch einmal nach Ostdeutschland reisen. „Da war von Gastfreundschaft leider nicht mehr viel zu spüren.“
Nach dem Sprachkurs wird er in der Lausitz zum Lehrmeister ausgebildet. Er entschließt sich nach dem Abschluss, nicht nach Somalia zurückzukehren. „Das war wegen des Bürgerkriegs die richtige Entscheidung. Hätte ich sie nicht getroffen, wäre ich heute sehr wahrscheinlich tot“, sagt er. Wegen seines somalischen Passes kann er nach Westberlin reisen. Mit einem Hemd, einer Hose und 20 Dollar in der Tasche passiert er den Grenzübergang. „Es sollte niemand denken, dass ich ausreisen will.“
In Westberlin hofft er, andere Somalier zu finden. Und das gelingt ihm. „Ich habe zufällig meinen besten Freund von früher aus dem Heim getroffen“, sagt Mohammed Ali. „Ich konnte es nicht glauben.“Er bekommt die Möglichkeit, in die Bundesrepublik zu reisen. An der Grenze wird der Pass kontrolliert. „Das waren die längsten 30 Minuten meines Lebens. Ich saß im Bus und konnte mein Zittern nicht verbergen“, erinnert sich der Gladbacher. Aber er kommt durch und beginnt ein neues Leben.
Heute lebt er mit seiner Frau in der Vitusstadt. Die Tochter wohnt auch hier, Mohammed Ali wollte näher bei seinen Enkelkindern sein. Den Job als Sicherheitsmann beim Bürgeramt macht er gerne – trotz des Stresses. „Ich lerne jeden Tag andere Menschen kennen, höre neue Geschichten“, sagt Mohammed Ali. „Und es hilft, dass ich fünf Sprachen spreche, um Dinge zu erklären. Manchmal fühle ich mich wie ein Sozialarbeiter. Aber das ist schon gut so.“