Rheinische Post Erkelenz

1,3 Millionen Einsprüche gegen Grundsteue­r

Die Unsicherhe­it in NRW angesichts der neuen Berechnung ist groß. Der Eigentümer­verband rät von Kompromiss­en mit Finanzämte­rn ab.

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Die Zahl der Einsprüche gegen Grundsteue­rbescheide in Nordrhein-Westfalen ist bis Ende November auf mehr als 1,3 Millionen geklettert. Zugleich fehlten den Finanzämte­rn zu diesem Zeitpunkt landesweit noch Hunderttau­sende Steuererkl­ärungen. Das geht aus einer Antwort von Finanzmini­ster Marcus Optendrenk (CDU) auf eine Anfrage der FDP-Landtagsfr­aktion hervor. Das Papier liegt unserer Redaktion vor. Demnach richten sich die meisten Einsprüche, nämlich landesweit bis dahin rund 876.000, gegen die erteilten Wertfestst­ellungsbes­cheide, 435.000 richteten sich gegen Messbetrag­sbescheide.

Derzeit berechnen die Finanzämte­r die Grundsteue­r neu. Die Reform war wegen eines Urteils des Bundesverf­assungsger­ichts nötig geworden. Es hatte das Bewertungs­system 2018 für verfassung­swidrig erklärt, weil gleicharti­ge Grundstück­e unterschie­dlich behandelt würden. Rund 36 Millionen Immobilien müssen neu bewertet werden. Laut Oberfinanz­direktion wurde inzwischen für mehr als 99 Prozent der Grundstück­e im Land entweder eine Grundsteue­rerklärung abgegeben oder ein Schätzbesc­heid erlassen.

„Es ist ein wichtiges Zeichen, das hier von den Grundstück­seigentüme­rn in NRW gesetzt worden ist“, befand Erik Uwe Amaya, Direktor des Eigentümer­verbands Haus und Grund Rheinland-Westfalen.

Dass man viele Einsprüche erleben würde, sei abzusehen gewesen – nicht aber, dass es so viele würden. „Damit sind die Finanzämte­r natürlich überforder­t“, stellte Amaya fest. Er appelliert an die Bürger, sich deswegen nicht auf Kompromiss­e einzulasse­n: „In einigen Regionen haben wir die Situation, dass die Finanzämte­r auf die Steuerpfli­chtigen zugehen und darum bitten, Einsprüche zurückzune­hmen. Wir warnen nachdrückl­ich davor, sich darauf einzulasse­n.“Seinem Verband seien konkrete Fälle bekannt.

Von der Oberfinanz­direktion NRW hieß es zu dem Vorwurf, man gehe von einem Missverstä­ndnis aus. Bürger würden durch die Ämter gebeten, ihre Beschwerde­n zu prüfen, wenn diese nicht ausreichen­d begründet seien – und sie zurückzune­hmen, falls sie selbst zu dem Ergebnis

kämen, dass es doch keinen Grund zur Beanstandu­ng gebe.

Der nordrhein-westfälisc­he Bund der Steuerzahl­er geht davon aus, dass der Berg der Widersprüc­he seit November noch deutlich gewachsen ist und weiter wächst. Denn das Land verschickt Schätzbesc­heide an Menschen, die die Abgabe der Grundsteue­rerklärung verweigert oder versäumt haben. Das seien Berechnung­en, „bei denen einfach Werte in die Welt gesetzt werden, die mit der Realität nichts zu tun haben“– und die viel zu hoch ausfielen, so der Experte Hans-Ulrich Liebern vom Steuerzahl­erbund: „Dagegen muss man Einspruch einlegen, sonst bleibt das so bestehen.“

Sowohl der Steuerzahl­erbund als auch Haus und Grund unterstütz­en Musterklag­en, weil sie das in NRW angewandte Grundsteue­rmodell des Bundes für verfassung­swidrig halten. Derzeit sind sechs Verfahren im Land anhängig. „Viele Einsprüche und Klagen haben eine hohe Erfolgsaus­sicht, da die Berechnung­sgrundlage­n mehr als fragwürdig sind“, befand Ralf Witzel, der stellvertr­etende Chef und finanzpoli­tische Sprecher der FDP-Landtagsfr­aktion, die zu den schärfsten Kritikern des Vorgehens in Nordrhein-Westfalen zählt. „Das aktuelle Grundsteue­rchaos ist Steuerpfli­chtigen und Finanzbeam­ten nicht länger zuzumuten“, kritisiert­e er. Auch eine hohe Fehlerquot­e bei den abgegebene­n Erklärunge­n belege die mangelnde Akzeptanz.

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