Der Wert des Wassers
„Still oder sprudelnd?“ist oft die einzige Frage, die gestellt wird. Dabei kann das richtige Mineralwasser Essen verfeinern, wie eine Sommelière weiß.
Mehr als 400 verschiedene Mineralwässer aus aller Welt stehen in Maria Soledad Sicherts Restaurant „Alter Zoll“in Oberpleis, teils abgefüllt in Flaschen, die zu kostbaren Sammlerstücken geworden sind. Bestellen können Gäste eines dieser Getränke nicht, sie sollen vielmehr den Wert von Wasser als lebenswichtiges Nahrungsmittel vermitteln.
Sichert hat in vielen Ländern gelebt und dabei schon als Kind nicht nur festgestellt, dass sich die Qualität des Wassers überall unterscheidet, sondern auch der Umgang mit dieser so wichtigen Ressource. „Außerdem war ich in der Lage, schon früh feine Geschmacksunterschiede herauszuschmecken“, sagt die 53-Jährige. Das Thema faszinierte sie, ließ sie auch nach ihrer Ausbildung als Dolmetscherin nicht los – und führte Maria Soledad Sichert am Ende in die Gastronomie und zu ihrer Nebenprofession als Mineralwasser- Sommelière.
Sich unter anderem mit den aromatischen Nuancen von Mineralwasser zu befassen, mag für viele Menschen nicht besonders aufregend klingen. Wird die geschmackliche Bandbreite doch eher als marginal erachtet. Das sieht Sichert naturgemäß anders. „Jedes Wasser hat sozusagen seine eigene Biografie, seinen eigenen Charakter“, sagt die Sommelière. Kritische Gäste lässt sie gerne mal zwei Wässer im Vergleich probieren. Zehn unterschiedliche Sorten bietet sie auf der Karte ihres Restaurants an, damit würde jeder Kunde fündig. Selbstverständlich berät die Expertin auch, wenn es darum geht, ein Wasser mit einem Wein oder einem Gericht zu kombinieren. Der Preis eines Wassers sage dabei aber nichts über dessen Qualität aus.
Nach wie vor ist Wasser das beliebteste alkoholfreie Getränk in Deutschland. Laut der globalen Datenbank Statista wurden 2022 hierzulande pro Kopf rund 130 Liter
Mineral- und Heilwasser verbraucht, dazu fast 38 Liter Mineralbrunnen-Erfrischungsgetränke mit einem hohen Mineralwasseranteil. In Deutschland definiert die Mineralund Trinkwasserverordnung Mineralwasser als Wasser „von ursprünglicher Reinheit“, das „seinen Ursprung in unterirdischen, vor Verunreinigungen geschützten Wasservorkommen“haben muss. Deutschlandweit produzieren die aktuell 157 Betriebe der Mineralbrunnenindustrie mehr als 13,3 Milliarden Liter Mineralwasser. Eine gigantische Menge, verteilt auf Hunderte Sorten mit den unterschiedlichsten Eigenschaften.
Sichert plädiert denn auch dafür, dass jeder das Mineralwasser wählt, das auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt ist. Das können den Anforderungen entsprechend auch verschiedene Wässer sein. „Man sollte für jede Gelegenheit das passende Wasser haben“, empfiehlt sie. So würden sich etwa für Sportler mineralstoffhaltige Sorten eignen oder solche mit einem hohen Anteil von Magnesium. Zwar könne man seinen Bedarf an Magnesium auch mit Tabletten decken, die Aufnahme über das Wasser sei aber natürlicher. Was nicht benötigt werde, scheide der Körper aus. Wer gerne ab und zu ein Glas Wein trinkt oder Süßes nascht, dabei aber jeweils mit Sodbrennen zu kämpfen hat, dem rät Sichert zu einem Wasser mit einem hohen Hydrogencarbonat-Anteil. „Das neutralisiert die Säure“, sagt die Expertin.
Apropos Säure: Auch der Kohlensäure-Gehalt im Mineralwasser ist für viele Menschen entscheidend. Laut Statista entfiel rund 42 Prozent des Absatzes der deutschen Mineralbrunnenindustrie im Jahr 2022 auf Mineralwasser mit wenig Kohlensäure. Mineralwasser mit Kohlensäure machte demnach zuletzt nur noch etwa ein Drittel des Marktes aus, während der Anteil von stillem Mineralwasser hingegen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sei. Dank vieler artesischer Quellen in Deutschland
wird das Wasser bereits CO2haltig gefördert, es darf aber auch im Nachhinein zugefügt werden. Die Kohlensäure habe auch eine gewisse konservierende Funktion, erklärt Sichert, CO2-haltiges Wasser sei länger haltbar als stilles Wasser. Viele Menschen nehmen auch einfach Leitungswasser und fügen per Sodastreamer Kohlensäure hinzu – das Ergebnis ist allerdings kein Mineralwasser.
Denn Mineralwasser ist eine geschützte Bezeichnung für natürliches Grundwasser, dessen Zusammensetzung innerhalb gewisser Toleranzen stabil sein muss. Dazu wird es einer ständigen Kontrolle unterzogen und Quellort und Mineralisierung müssen auf dem Etikett angegeben sein. Das bedeutet aber nicht, dass Leitungswasser eine geringere Qualität hat, gerade in Deutschland sind die Standards flächendeckend sehr hoch. „Für mich geht es dabei nicht um besser oder schlechter“, sagt die MineralwasserSommelière, „sondern darum, dass das eine ein Natur- und das andere ein Industrieprodukt ist.“Jeder müsse selbst entscheiden, was er bevorzuge.
Das gelte auch für den Geschmack. Grundsätzlich würde ein süßlicheres Aroma darauf hindeuten, dass ein Wasser einen höheren Anteil an Magnesium habe, sagt Sichert. Schmecke es leicht klebrig, sei mehr Kalzium enthalten, ein salziges Wasser deute auf mehr Natriumchlorid bei den Inhaltsstoffen hin und ein vollmundiges Wasser auf eine geringere Mineralisierung. Das könne zwar ein Gradmesser für die eigenen Vorlieben sein, sage aber noch nichts aus darüber, wie sich ein Mineralwasser zu einem Gericht oder einem Wein verhält. Sichert rät, ein wenig zu experimentieren.
Generell sei der Einfluss eines Mineralwassers auf einen Wein größer als der auf Speisen. „Wenn ich zum Beispiel einen nicht so kraftvollen Weißwein habe, kann ich mit einem begleitenden, stark kohlensäurehaltigen und noch mineralisierten Wasser den Geschmack verstärken“, erklärt die Sommelière. Bei einem kräftigen, also ohnehin sehr geschmacksintensiven Rotwein etwa biete sich dann ein eher unauffälliges, stilles Wasser an. Weil Sichert salzarm kocht, kombiniert sie zum Beispiel gerne ein natriumchloridreiches Wasser zum Fisch. „Man sollte selbst herausfinden, wie sich unterschiedliche Mineralwasser zu einem Gericht verhalten“, sagt sie. In der Gastronomie würden oft weniger mineralisierte Wässer bevorzugt, weil man den Geschmack des Essens herausstellen wolle.
Neben einer näheren Betrachtung der Inhaltsstoffe möchte Sichert auch dafür sensibilisieren, beim Kauf nicht zu in dünnen Plastikflaschen abgepacktem Wasser zu greifen. Es bestehe die Gefahr, dass Mikroplastikteilchen ins Wasser abgegeben würden. Problematisch sei es beispielsweise, wenn solche Flaschen vor einem Getränkemarkt lange in der Sonne stünden, weil sich durch die Hitze Weichmacher im Plastik lösen könnten.
„Ich würde immer zur Glasflasche greifen“, sagt Sichert. Es muss ja nicht eines der Sammlerstücke aus ihrem Lokal sein. Aber man sollte sich schon dessen bewusst sein, dass es sich beim Wasser um das wichtigste Lebensmittel überhaupt handelt, und dass man dies sehr bewusst genießen sollte. „Wasser ist das höchste Gut, das wir haben“, sagt die Mineralwasser-Sommelière Maria Soledad Sichert, „und deshalb sollten wir sehr sorgsam damit umgehen.“