Faszination Metropolen
Während der Pandemie zog es zwar viele Menschen aufs Land, doch Großstädte von Berlin bis Düsseldorf sind vitaler und wichtiger denn je.
Geflüchtete, die in den Metropolen oft bereits entsprechende Milieus vorfinden. Das gilt für „Expatriates“aus hochentwickelten Ländern genauso wie für Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. So beherbergt Düsseldorf die größte japanische Gemeinde, Chinesen und Koreaner zieht es nach Hamburg und Frankfurt, Inder in die IT-Hochburg München. Auch Syrer, Afghanen und Türken gehen oft in die Metropolen, weil dort große Gemeinden dieser Nationalitäten existieren.
Zurück zum Städtewettbewerb. Mehr als 100 Indikatoren hat das IW zusammengestellt, um die Leistungsfähigkeit einer Stadt zu messen. Es geht dabei um den erreichten Stand im Immobilienmarkt, in der Lebensqualität, im Arbeitsmarkt und bei der Wirtschaftsstruktur. Die Dynamik wird in den gleichen Bereichen gemessen. Und als dritte Kategorie kommt die Nachhaltigkeit hinzu. Hier prüften die Forscher Indikatoren wie den Anteil der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung, die Ingenieursdichte und die Abgänger der technischen und naturwissenschaftlichen Studiengänge. Gemessen wird aber auch die Menge des Abfalls, die Luftqualität, die Zahl der E-Tankstellen und die installierte Solarleistung.
Das Maß aller Dinge ist und bleibt bereits seit Jahren die bayerische Metropole München. Ob Produktivität, Pro-Kopf-Einkommen, Hightech-Gründungen, Ingenieursdichte oder wissensintensive Dienstleistungen – überall belegt die Hauptstadt des Freistaats Spitzenplätze. 38 Mal landet das Zentrum Süddeutschlands in den Top Ten der untersuchten Indikatoren. Lediglich bei Altersarmut, Luftqualität oder installierter Solarleistung liegt München trotz des weiß-blauen Himmels auf den hinteren Rängen. Vor allem die führende Stellung in der Digitalisierung macht die Stadt zur absoluten Nummer eins unter den deutschen Zentren. München ist das wichtigste IT-Zentrum Deutschlands, was nicht nur an seinen beiden Exzellenzuniversitäten (Ludwig-Maximilians-Universität und Technische Universität) oder den Sitzen und Forschungszentren so bekannter Internetriesen wie Amazon oder Microsoft liegt, sondern auch an einem beispiellosen Biotop großer, mittlerer und kleiner Hightech-Unternehmen in diesem Bereich. „Der Großraum München schafft eine besondere Verbindung zwischen IT-Produkten, IT-Kenntnissen und IT-Forschung“, meint die Städteforscherin Hünnemeyer.
In der Dynamik hat vor allem Berlin aufgeholt. Die Bundeshauptstadt belegt Platz zwei im Ranking der Zuwachsraten. Keine andere deutsche Großstadt hat prozentual mehr neue Jobs geschaffen, mehr Unternehmensgründungen und HightechStartups initiiert – selbst im Vergleich zur Bevölkerung. In 20 Kategorien des Rankings liegt die inzwischen gar nicht mehr so arme Kapitale unter den Top Ten. Berlin hat mehr als 100 Forschungsinstitute, 175 Museen, vier Top-Universitäten, drei Opern, sieben Spitzentheater sowie acht Orchester und sechs Chöre der Kategorie A. Von den 32 deutschen „Unicorns“, Start-ups mit einem Firmenwert von mehr als einer Milliarde Dollar, kommen 22 aus der Hauptstadt. Spätestens im Jahr 2035 soll die Stadt mehr als vier Millionen Einwohner zählen.
Von seinem Hafen profitiert vor allem Hamburg, von Finanzdienstleistungen und dem größten deutschen Airport die MainMetropole Frankfurt. Stuttgart ist mit den Weltunternehmen Mercedes-Benz, Daimler Trucks, Bosch, Porsche sowie dem Lasermaschinenbauer Traub das industrielle Herz Deutschlands. Die Stadt gilt als die nachhaltigste unter den „Big Seven“in Deutschland. Nirgendwo sonst in den anderen Metropolen wird so wenig Müll produziert und gibt es so viele Elektrotankstellen wie in der schwäbischen Landeshauptstadt. Nach Wolfsburg melden die Stuttgarter Unternehmen relativ zu den Beschäftigten die meisten Patente an. Auch bei der Ingenieursdichte oder den Mitarbeitern in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen liegen die Schwaben vorn. Nach wie vor ist der Erfindergeist unseres Landes in der zweitgrößten süddeutschen Metropole zu Hause.
Doch auch Nordrhein-Westfalen muss sich mit den beiden Anziehungspunkten Düsseldorf und Köln nicht verstecken. Beide liegen im Zentrum des größten europäischen Wirtschaftsraums, der von London über die Niederlande und Belgien bis in die Schweiz und nach Mailand reicht. An dieser Dynamik partizipieren beide Städte – trotz einiger Mängel. Köln besticht besonders bei den Neugründungen, als digitaler Knotenpunkt in NRW und beim Anteil der wissensintensiven Dienstleistungen in der städtischen Wirtschaft. Die Domstadt ist Mittelpunkt des Einzelhandels mit einer größeren Fläche als Berlin, Versicherungszentrum und hat sich die E-Auto-Produktion des amerikanischen Ford-Konzerns gesichert.
Düsseldorf gehört zu den deutschen Großstädten mit der ausgeglichensten Wirtschaftsstruktur und einer
enormen
Steuerkraft. Bei den Unternehmensneugründungen belegt die NRW-Landeshauptstadt Platz neun unter den 71 Großstädten, bei den Hightech-Gründungen sogar Rang drei. Auch bei Kleinen und Großen stimmt es in Düsseldorf. Beim Zuwachs der Kitaplätze für unter Dreijährige ist die Stadt die Nummer vier, bei der Zunahme der Hochqualifizierten die Nummer fünf in Deutschland. In keiner anderen Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern stiegen die Immobilienpreise stärker als in der rheinischen Metropole. Um zwei Drittel legten die Kaufpreise für Eigentumswohnungen zu – sehr zur Freude der bisherigen Eigentümer, Makler und Immobilienunternehmen. Auch das zeigt die Dynamik und Attraktivität der Stadt am Rhein.
So sehr die „Big Seven“punkten: Auch kleinere Großstädte haben ihre Stärken. Noch vor Berlin ist die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz mit dem berühmtesten Pharma-Start-up, Corona-Impfstofferfinder und -hersteller Biontech die dynamischste Stadt in Deutschland. Sie hat eine höhere Pro-Kopf-Steuerkraft als Düsseldorf, den stärksten Zuwachs beim durchschnittlichen Einkommen ihrer Bewohner und der Produktivität ihrer Unternehmen. Und der VW-Sitz macht Wolfsburg zu einem Zentrum deutscher Ingenieurskunst, auch wenn der Verbrennermotor bald der Vergangenheit angehört.
Starke mittlere Großstädte gibt es in allen Teilen Deutschlands: Jena hat eine einzigartige Mischung aus Unternehmen, Forschungszentren und Universität, die noch aus der Zeiss-Tradition stammt. Darmstadt brilliert mit seinem Gründungsökosystem, Heilbronn ist über die Schwarz-Stiftung (Lidl) ein Außenposten der innovativsten Universität des europäischen Kontinents, der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. So belegen etwa die bayerischen Großstädte Erlangen, Ingolstadt und Regensburg die Ränge vier, fünf und zehn im Niveauranking des IW.
Deutschlands Städte stehen also noch für die Wirtschaftskraft des Landes, auch wenn ihre Position durch die Schocks des Energiepreisanstiegs und der Corona-Pandemie herausgefordert wird. Auch die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität wird die Städte-Hierarchie verändern. Hier kann sich sogar das strukturschwache Ruhrgebiet Chancen ausrechnen. Denn in der Wasserstofftechnologie gibt es dort eine einzigartige Verbindung von Anwendern und Produzenten. Auch abgehängte Regionen bekommen bisweilen eine zweite Chance. Sie müssen sie aber auch nutzen.
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Bundesamt)