Zwischen den Stühlen
Der „Tatort: Zerrissen“schildert den Kampf um die Seele eines Heranwachsenden.
(ry) Kurz vor Ladenschluss wird in Stuttgart ein Juwelier überfallen. Er selbst wird verletzt, seine Kundin stirbt beim Versuch, zu fliehen. Das Vorgehen der Räuber gleicht einem ähnlichen Überfall vom Vorjahr und somit geraten die verschwägerten Familien Maslov und Ellinger in den Fokus der Ermittlungen von Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare). Doch die erwachsenen Mitglieder der Familie haben bereits viel Erfahrung damit, polizeiliche Anfragen an sich abperlen zu lassen und überzeugende Alibis herbeizubringen. Dadurch geraten die Ermittlungen bereits zu Beginn ins Stocken. Bleibt noch der 13-jährige David Ellinger (Louis Guillaume), der in einem Jugendheim untergebracht ist. Die Kommissare vermuten, dass der noch strafunmündige Teenager bei dem Überfall als Wachposten eingesetzt war und somit wertvolle Hinweise liefern könnte. Die ihn betreuende Sozialarbeiterin Annarosa Neuffer (Caroline Cousin) verteidigt den Jungen mit voller Überzeugung und bemüht sich schon prinzipiell nicht gerade darum, die Polizei zu unterstützen, denn von staatlichen Regeln hält sie nicht besonders viel. Ihr junger Schützling wiederum ist in einem tiefgreifenden Dilemma. Er will Annarosa gefallen, für die er schwärmt. Aber David will sich auch von seiner Familie nicht völlig lossagen, schon gar nicht, wenn sie ihn braucht. Der Teenager, das erkennen die Kommissare schon bald, könnte der Hebel sein, um die Familie endlich zu knacken. Doch zwischen polizeilichem Druck, Loyalität zur
Familie und der verliebten Bewunderung für Annarosa droht David, vollends die Orientierung zu verlieren. Und das bedeutet Gefahr, nicht zuletzt für ihn selbst. Kann es Lannert und Bootz gelingen, ihn zur richtigen Entscheidung zu bewegen?
Regisseur Martin Eigler inszenierte mit „Tatort: Zerrissen“zum vierten Mal einen Fall der Stuttgarter Ermittler, er verfasste zudem auch jedes Mal das Drehbuch, zweimal wurde er dabei von Sönke Lars Neuwöhner unterstützt, zuletzt im November 2018 beim Fall „Der Mann, der lügt“. Schon damals haben sie den Fokus verschoben, „weg von der Frage, wer der Mörder gewesen ist; hin zu der Frage, was es wirklich heißt, wenn man für den
Mörder gehalten wird“, erklärt Neuwöhner. „Damals hatten wir einen Verdächtigen ins Zentrum gestellt und die Kommissare beinahe zu bedrohlichen Randfiguren gemacht. So weit gehen wir in ‚Zerrissen‘ nicht. Aber auch hier geht es uns weniger um einen Whodunit als primär um die Frage, ob und wie sich ein Minderjähriger von den Kräften befreien kann, die ihn zum Schuldigen machen, die ihn ‚knacken‘, die ihn auf ihre Seite ziehen wollen.“Am Anfang habe eine Zeitungsnotiz gestanden, in der davon die Rede war, wie ein Heranwachsender aus seiner schwer kriminellen Familie genommen und in ein Heim verbracht wird, das allerdings sehr schnell im Fadenkreuz eben dieser Familie steht, führt Neuwöhner weiter aus. „Wie gelingt es einem Kind, mit den Kräften fertig zu werden, die an ihm ziehen und die es manipulieren?“Dieser Kampf um die Seele eines Heranwachsenden habe somit maßgeblich die Handlung des Drehbuchs inspiriert. Ob es den Stuttgarter Ermittlern gelingen kann, den Jungen zur richtigen Entscheidung zu bewegen, steht im Mittelpunkt des „Tatort: Zerrissen“. So entsteht, auch durch die überzeugende schauspielerische Leistung des Episodenhauptdarstellers Louis Guillaume, ein packendes Jugenddrama. Die düstere Stimmung, welche schon zu Beginn durch die eindrucksvollen Nachtszenen vermittelt wird, hält den Zuschauer zusätzlich in Atem.
20.15 Uhr, ARD