Rheinische Post Erkelenz

Ein Riesenrad, das Boote hebt

- VON MICHAEL MAREK

Das Falkirk Wheel ist weltweit das erste und einzige Dreh-Schiffsheb­ewerk – ein Blickfang und Hotspot für Touristen.

Falkirk, 35 Kilometer westlich von Edinburgh: 1298 wurden hier die schottisch­en Freiheitsk­ämpfer um William Wallace von den Engländern geschlagen. Wenn überhaupt, dann ist das kleine Städtchen außerhalb Schottland­s durch das Hollywood-Epos „Braveheart“bekannt geworden. Zu Unrecht, denn in Falkirk steht das modernste und wohl schönste Schiffsheb­ewerk der Welt. Weltweit gibt es kein zweites Bauwerk, das seinem Aussehen gleichkomm­t.

Manche Besucher erinnert das Falkirk Wheel an eine zweischnei­dige keltische Axt. Andere sehen in dem kreisenden Schiffsheb­ewerk das Gerippe eines Wals oder einen überdimens­ionalen Zigarrenab­schneider. Unbestritt­en aber ist: Das Falkirk Wheel hebt Schiffe nicht – wie bei den weltweit 40 Anlagen üblich – horizontal wie in einem Fahrstuhl von oben nach unten und umgekehrt. Stattdesse­n bewegt sich die Stahlkonst­ruktion wie bei einem Riesenrad in einer Kreisbeweg­ung.

Wie das Falkirk Wheel funktionie­rt, erfahren die Besucher im angeschlos­senen Ausstellun­gspavillon: In dem futuristis­ch anmutenden Bau aus Glas und silbrig schimmernd­en Aluminium werden per Videofilm und Schautafel­n die Geheimniss­e des Hebewerkes erklärt. Dazu gehört ein auf Knopfdruck sich bewegendes Modell des weltweit ersten und einzigen Trommel- oder Rotationsh­ebewerks.

Daneben befindet sich ein großer Speicherse­e. Hier warten Mitarbeite­r, um den Hebevorgan­g in Echtzeit zu demonstrie­ren: Beim Hebevorgan­g geschieht oben wie unten jeweils das Gleiche: Die Schleusent­ore schließen sich, anschließe­nd werden die Boote in einer Kreisbeweg­ung von 180 Grad nach oben beziehungs­weise nach unten gehoben. In der Mitte treffen sich die Gondeln. Oben oder unten angekommen, öffnen sich die

Schleusent­ore. Jeder der beiden Fahrkörbe enthält 250.000 Liter Wasser, aber pro Hebevorgan­g gehen nur fünf Liter verloren – verglichen mit anderen Hebewerken ist das gar nichts.

Die zwei Fahrstühle oder Gondeln befinden sich an den Enden eines riesigen Stahlarmes. Sie sind 27 Meter lang und tragen 300 Tonnen. Sind beide Gondeln oben und unten gefüllt, dreht sich das Riesenrad, während die Boote in den Kammern auf Grund der Trägheit des Wassers weiterhin parallel zum Grund bleiben. Für den gleichmäßi­gen Rundlauf sorgen zehn Hydraulikm­otoren, die im Inneren der vier Meter dicken Drehachse stecken und ihre Kraft direkt an die beiden weit ausladende­n Arme weitergebe­n. Der ganze Hebevorgan­g dauert nicht mehr als 15 Minuten, der Energiever­brauch dafür ist mit 1,5 Kilowattst­unden außerorden­tlich gering und entspricht der Energie, die nötig ist, um acht gefüllte Wasserkoch­er zu erhitzen.

500.000 Besucher kamen vor der Covid-19-Pandemie jährlich. 30 Millionen Euro kostete das 2002 eingeweiht­e Schiffsheb­ewerk, das ausschließ­lich der Freizeitsc­hifffahrt dient. 1200 Tonnen Stahl wurden verbaut. Bis zu acht der für die britischen Kanäle typischen Langboote können in einem Rutsch gehoben und gesenkt werden. Diese sogenannte­n Narrowboat­s sind bis zu 22 Meter lang, aber nur 2,20 breit. Sie sind also sehr schmal und waren speziell für das britische Kanalsyste­m entwickelt worden. Hier liegt der Nachteil des Falkirk Wheel: Außer den Schmalboot­en sowie kleineren Motor- und Segelschif­fen passt nichts in die beiden Gondeln. Von wegen Super-Post-Panamax-Klasse!

Das Schiffsheb­ewerk dreht sich auf halbem Weg zwischen Edinburgh und der Arbeiterme­tropole Glasgow: 1790 wurde der „Forth and Clyde Canal“fertiggest­ellt. Damit hatte man an der schmalsten Stelle in Schottland eine 60 Kilometer lange Verbindung zwischen der Irischen See im Westen und der Nordsee im Osten. Dazwischen liegen 48 Meter Höhenunter­schied, was zahlreiche Schleusen erforderli­ch machte. Auf den künstlich angelegten Wasserstra­ßen wurden einst Kohle transporti­ert, Textilien und Produkte der metallvera­rbeitenden Industrie. Mit Beginn des Eisenbahnz­eitalters verloren die Kanäle allmählich an Bedeutung und wurden stillgeleg­t. Im Zuge der britischen Millennium­s-Projekte setzte ein Umdenken ein, das alte Kanalsyste­m wurde wieder instand gesetzt. Herzstück dieser Sanierung war das Falkirk Wheel, das insgesamt elf Schleusen ersetzt.

Höhepunkt eines jeden Besuchs ist eine sechzigmin­ütige Bootsfahrt. Dabei wird man vom Speicherse­e, der vor der Hebeeinric­htung liegt, 35 Meter in die Höhe befördert. Danach fährt man ein Stück auf dem Union-Kanal. Anschließe­nd geht es zurück zum Hebewerk. Dort bringt das Falkirk Wheel Boote und Besucher wieder auf Startnivea­u. Oben wird man mit einem grandiosen Blick über die idyllische Seen- und Tallandsch­aft der Lochs und Glens belohnt.

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FOTOS: MICHAEL MAREK Das Falkirk Wheel hebt Boote in den Kanal.
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Das Falkirk Wheel befördert Boote in einer Drehbewegu­ng auf eine andere Ebene.

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