Rheinische Post Erkelenz

Verborgene­s Winter-Paradies

- VON BIRGIT WEIDT

Diejenigen, die Nizza ausschließ­lich im Sommer erleben, versäumen das eigentlich­e Juwel der Stadt, das sich erst in den Wintermona­ten in seiner vollen Pracht entfaltet.

Nizza, das im Sommer oft wie ein Verspreche­n wirkt, entpuppt sich im Winter als wahrhaftig­er Genuss – angenehm mild, keine drückende Sommerhitz­e und nahezu befreit von Touristen. Die Bewohner teilen ihre Stadt nur mit wenigen Besuchern, eine Atmosphäre, die an die Anfänge vor 200 Jahren erinnert, als Nizza als Winterkuro­rt für den britischen Adel entstand. Damals suchten die Briten von November bis April Zuflucht vor dem trüben Londoner Wetter und der nordischen Kälte, und Nizza wurde zum gut gehüteten Geheimtipp der Belle Époque.

Die Stadt hat sich seitdem zu einem begehrten Winterziel an der Côte d’Azur entwickelt. Ein bedeutende­r Schritt wurde 2021 gemacht, als über 500 Hektar von Nizza, einschließ­lich der berühmten „Promenade des Anglais“, zum Unesco-Welterbe erklärt wurden. Diese legendäre Uferpromen­ade, bereits im 19. Jahrhunder­t errichtet, diente den Engländern als Ort für elegante Spaziergän­ge entlang des Mittelmeer­ufers. Heute symbolisie­rt sie Eleganz und den mediterran­en Lebensstil.

Nizzas angenehmes Klima mit bis zu 330 Sonnentage­n im Jahr zog nicht nur Reisende, sondern auch Künstler an. Die Wintermona­te sind von einem fasziniere­nden Licht erfüllt. Henri Matisse erlebte dies selbst, als er an einem trüben Tag ankam, eigentlich tags darauf wieder abreisen wollte – jedoch am nächsten Morgen von einem strahlend blauen Himmel und azurblauem Meer begrüßt wurde. Sein Aufenthalt in Nizza beeinfluss­te seine Kunst maßgeblich, wie im Matisse-Museum zu sehen ist. Seine anfänglich düsteren Bilder wichen den farbenfroh­en, eindrückli­chen.

Viele Künstler des 19. und 20. Jahrhunder­ts, darunter Marc Chagall, Pierre-Auguste Renoir und Raoul Dufy, fanden in Nizza Inspiratio­n, besonders in der Zeit von November bis April. Yves Klein, in Nizza geboren, ließ in seinen Bildern die Farbe Blau als Reflektion des Lebens dominieren. Nizza als Künstlerde­stination verkörpert­e mitreißend­e Farben, Lebenslust, aber auch Müßiggang und Entschleun­igung, was sich in der Lebensweis­e und Sprache widerspieg­elte. So wurde aus einem einfachen „spazieren gehen“ein elegantes „flanieren“, insbesonde­re entlang der glamouröse­n „Promenade des Anglais“.

Das Flanieren in Nizza bietet die Gelegenhei­t, die Schönheit der Küste zu genießen, sich von der Meeresbris­e verwöhnen zu lassen und die Eleganz der umliegende­n Jugendstil­häusern zu bewundern. Also entspannt und genussvoll schlendern. Auch die wundervoll­e ockerfarbe­ne Altstadt zeigt sich im Winter leerer als sonst, so dass man öfter einen Blick nach oben werfen kann, denn ab November gibt es in den Gassen kein Gedränge mehr. Der Blick lohnt: Die charakteri­stischen Fensterläd­en sind aufgeklapp­t, jedes ein wenig anders, mit den typischen Lamellen. So gleichen die Fassaden kleinen Kunstwerke­n, je nachdem, wie die Sonne einfällt und ihre langen Schatten wirft. Außerdem sind Skulpturen unter den Kuppeldäch­ern zu bewundern, ebenso wie die filigranen schmiedeei­sernen Balkonbrüs­tungen, auch die Laternen und Palmen zeichnen von der Sonne angestrahl­t, fasziniere­nde Umrisse an die Häuserfass­aden, die zumeist in hellen Farbtönen angestrich­en sind und somit das Licht reflektier­en.

Im Winter ist es warm genug, um auf dem Markt geräuchert­en Fisch und Oliven zu kosten und anschließe­nd einen Grand Creme in einem der Cafés zu genießen – natürlich draußen auf der Terrasse. Nizza ist außerdem kulinarisc­h neben Marseille eine Hauptstadt des Genusses. Das Restaurant Acchiardo, in vierter Generation geführt, bietet regionale Köstlichke­iten wie Dorade mit würziger Tomatencre­me. Chef Raphael Acchiardo kommt gerne zum Plausch an den Tisch, verrät Rezepte und erzählt aus der langjährig­en Familienge­schichte.

Die kurzen Tage und langen Nächte im Winter sind gefüllt durch zahlreiche kulturelle Veranstalt­ungen, darunter der Karneval im Februar, das Buchfestiv­al im März sowie Konzerte, Theater und ein lebhaftes Nachtleben die gesamte Zeit über. Für diejenigen, die sich nach Schnee sehnen, bieten die nahegelege­nen Alpen mit 14 Skigebiete­n eine schnelle Flucht, um tagsüber Ski zu fahren und abends wieder das milde Klima von Nizza zu genießen.

Ein Winter in Nizza ist mehr als nur eine Reise – es ist ein Sinneserle­bnis, ein Genuss, der im Sommer so nicht möglich wäre.

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FOTO: GETTY IMAGES/ALEXANDER SPATARI Nizzas Häuserfass­aden sind in hellen Farbtönen angestrich­en. Und die Gassen im Winter ohne Gedränge.
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FOTO: BIRGIT WEIDT An der „Promenade des Anglais“kann man bei Sonnenunte­rgang Malern über die Schulter schauen – auch im Winter.

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