Der Teufel und der lange Hermann
Ausstellung zum Thema Reisen
(epd) Das Museum Folkwang widmet dem Thema Reisen eine Plakatausstellung. Unter dem Titel „Ferne Länder. Ferne Zeiten“sind vom 15. März bis zum 7. Juli rund 300 Plakate aus der Zeit seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu sehen, wie das Museum ankündigte. Ergänzt werde die Schau durch zahlreiche Photochrome, Postkarten sowie den Nachbau eines Kaiserpanoramas, mit dem sich die Besucher visuell auf weite Reisen begeben könnten. Als „Special Guest“verfasse die Schriftstellerin Felicitas Hoppe zudem exklusiv für die Ausstellung literarische Miniaturen. Reisen seien bis in die 1950er-Jahre ein Luxusgut gewesen, das sich nur Menschen mit frei verfügbarer Zeit und entsprechenden finanziellen Mitteln leisten konnten, hieß es. Die Plakate hätten nicht nur zur Bewerbung dieser luxuriösen Reiseziele in Europa und der ganzen Welt gedient, sondern seien für die meisten Betrachter zu Projektionsflächen ihrer eigenen Sehnsüchte geworden.
Auf der größten estnischen Insel Saaremaa haben 1000 Jahre Geschichte und zahlreiche Herren ihre Spuren hinterlassen.
Auf Saaremaaa sind die Wälder noch dicht und die Moore dunkel. Bis zur Lösung des Baltikums von der Sowjetunion 1991 war der größte Teil der Insel knapp vor der estnischen Küste an der Westgrenze des Sowjetreichs militärisches Sperrgebiet. Heute pendeln vom Hafen Virtsu zwar bequeme Fähren auf die Insel. Aber große Kreuzfahrtschiffe steuern sie nicht an. Und von den einst 80.000 Insulanern sind nur 36.000 geblieben, verteilt auf einer Fläche, auf der das Saarland locker Platz fände. Einsam ist es vielerorts noch heute und manchmal auch ein bisschen unheimlich. Deshalb haben sich Geschichten und Spuren aus 1000 Jahren Geschichte hier erhalten, wie sie andernorts längst vergessen sind.
Im Nordosten der Insel ragt die verwitterte Karja-Kirche von Linnaka aus Feldern mit Klatschmohn und Kornblumen hervor. Seit 700 Jahren trotzt sie Stürmen und Eroberern von Deutschordensrittern, Dänen, Schweden, Russen oder Nazi-Deutschen, bietet Pilgern und Bedrängten Schutz und gibt den Gläubigen Rat, wie sie dem Teufel und seinen Versuchungen widerstehen mögen. „Die gibt es schließlich überall“, verrät Marika Varias und lässt offen, was genau sie damit meint.
Das Relief von einem jungen geschwätzigen Mann, dem der Teufel bereits im Nacken sitzt, ist jedenfalls eher ein harmloser Ratschlag zur Andacht. Durch eine schiefe Holzpforte in der mit Moos bewachsenen Bruchsteinmauer führt Varias uns auf den Kirchhof. Im hinteren Teil zeigt sie auf eine seltsame Figur, die irgendwer aus einem alten Wagenrad und ein paar Holzscheiten gebastelt hat. Das sei keine Vogelscheuche. Es ist ein Schrat. „Man musste mit ihm in einer Donnerstagnacht auf eine Kreuzung gehen und dem Teufel drei Tropfen Blut opfern“, erklärt die Insulanerin. Dann sei der Schrat zum Leben erwacht und habe seinem Besitzer Wünsche erfüllt. Allerdings musste er ständig gefüttert werden – mit Blut. Und am Ende kam der Teufel, um sein Opfer ganz zu holen.
Auch wenn in der Kirche feine Reliefs an die Heilige Katharina und den Heiligen Nikolaus appellieren. Allein darauf wollten sich die Kirchgänger wohl nicht verlassen. Alte Wandmalereien, die erst vor einigen Jahrzehnten wieder freigelegt wurden, enthalten auch heidnische Symbole wie eine Triskele oder ein Pentagramm. Und dann zeigt Varias
an der Decke ein merkwürdiges kleines Bild mit zwei blanken Beinen und einer Fratze dazwischen. „Wenn der Teufel kommt, muss man ihm den entblößten Po zeigen“, übersetzt Varias die Bedeutung, „dann platzt er“.
Die Volksfrömmigkeit hat auf den weit verstreuten Gehöften auf Saaremaa wilde Blüten getrieben. Wie sollte man sich schließlich den kreisrunden Tümpel erklären, der noch heute ganz in der Nähe umgeben von einem hohen Wall in einem Wald bei Kaali liegt? Von einem bösen Gutsherren flüsterte man, der so zügellos auf Kosten seiner Lehnsleute lebte, dass er bei einer besonders ausgelassenen Feier vom Erdboden verschluckt wurde. Andere wollten von einer Kapelle wissen, die bei der Hochzeit eines Geschwisterpaares im Morast versank.
Erst Alfred Wegener stellte bei einem Besuch die richtige Vermutung auf: Der Tümpel ist der Krater eines Eisenmeteoriten, der vor gut 4000 Jahren hier einschlug und mit dem aufgewirbelten Staub mehrere Monate die Sonne verdunkelte. Weltweit sind nur wenige bekannt, die größer sind
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als der Kaali-Krater. Kuressaare im Südwesten ist mit 16.000 Einwohnern der Hauptort auf Saaremaa. Bis 1919 hieß das Städtchen noch Arensburg, denn rund 200 Familien konnten ihre Herkunft bis zur Zeit des Deutschen Ordens zurückverfolgen. Der hatte im 13. Jahrhundert eine Bischofsburg errichtet, um seinen neuen Besitz zu verteidigen. Die heutige Anlage mit Bastionen und Wassergraben stammt von den Schweden, auch wenn die Insulaner den rekonstruierten Pulverturm Langer Herrmann nennen. 1559 hatte der Orden die ganze Insel an Dänemark verkauft. Später fiel sie an Schweden und 1721 an Russland. Arensburg wurde ein gepflegter Kurort mit Schlammbädern und 1918 nach kurzer deutscher Besetzung estnisch. Das Regionalmuseum in der alten Schwedenfestung informiert anschaulich über die jüngere Geschichte: Mit dem
Hitler-Stalin-Pakt kamen russische Soldaten auf die Insel und starteten 1941 mehrere Luftangriffe auf Berliner Vororte. Beliebt waren sie nicht. „Die meisten Einwohner haben wenig später die Wehrmacht freudig begrüßt“, sagt Marika Varias, die nun sehr emotional wird. Nach der Rückkehr der Sowjets 1944 seien viele Balten-Deutsche mit drei Schiffen nach Schweden geflohen, über 1000 weitere später nach Sibirien deportiert worden. „Es war eine schreckliche Zeit“, sagt Varias. Die Sowjetzeit kommentiert sie vor allem mit Witzen: „Warst du gestern auf der Parteiversammlung? Nein, ich habe zu Hause geschlafen.“
Trotzdem gehört der Bauernhof eines bekennenden Stalinisten auf dem Rückweg zum Festland zu den Must-Sees einer Inselrunde. Wir fahren über den Steindamm, der Saaremaa seit mehr als 120 Jahren mit der kleineren Nachbarinsel Muhu mit ihrem Fährhafen verbindet. In der Nähe liegt das Museumsdorf Koguva. Vom großen Parkplatz aus spazieren wir auf ungeteerten Wegen durch lichten Birkenwald zu den 18 Höfen. Baumstämme auf den Dächern schützen das Reet vor dem Wind. Graue Bruchsteinmauern schützen vor Erosion, achteckige Blüten an den Türen vor dem bösen Blick. „Und ja nicht auf die Türschwelle treten“, sagt Varias, „darunter wohnt das Glück“.
Fast alle Höfe werden heute wieder von Liebhabern bewohnt, auch wenn sie nur denkmalgerecht ausgebaut werden dürfen. Eine Galerie mit Volkskunst hat eröffnet und ein Museum mit alten Trachten. Der stattliche Hof von Juhan Smuul ist ebenfalls ein Museum.
Der Dichter hatte es dem Staat vor seinem Tod 1971 zu diesem Zweck geschenkt. Im geduckten Haupthaus wirken die gute Stube mit gehäkelten Gardinen und das Schlafzimmer des Autors wie aus Großmutters Zeiten. Ums Haus gruppieren sich Speicher für Getreide, Milch und Kleider. Auf einer Mauer liegt ein löchriges Holzboot, das man nur am Johannestag verbrennen durfte, wollte man nicht den Zorn Gottes auf sich lenken. So perfekt ist die Idylle, dass die Insulaner Juhan Smuul sein Engagement im Obersten Sowjet der Sowjetunion ebenso verzeihen wie sein Lobgedicht an den Diktator Stalin.