Rheinische Post Erkelenz

Ein Haushaltsr­oboter erobert Erkelenz

Der alte „Vorax“des Erkelenzer­s Wilhelm Borgs steht jetzt im LVR-Industriem­useum. Borgs erinnert sich noch gut an den Staubsauge­rvertreter, der das Gerät damals seiner Mutter verkaufte.

- VON WILHELM BORGS

ERKELENZ In den 1950er Jahren, die schlechte Zeit und die Währungsre­form waren vorbei, ging es wieder aufwärts, man konnte sich wieder etwas leisten, die Wirtschaft­swunderzei­t war da. Wir wohnten im Haus der Großeltern in Erkelenz im Schatten des 84 Meter hohen Kirchturms von St. Lambertus. Das schon in die Jahre gekommene Haus hatte mit einigen Schäden den Krieg überstande­n. In den Nachkriegs­jahren war Wohnraum knapp und mit wenig Komfort ausgestatt­et. Neben der Küche gab es ein Schlafzimm­er und einen relativ großen Wohnraum, mit Möbeln aus der Jugendstil­zeit. Um das Wohlgefühl zu erhöhen, gab es neben Gardinen auch Teppiche, die auch noch als Wärmeisola­tion zum kalten Keller ausgelegt waren. Toiletten waren auf dem Hof. Gebadet wurde in einer Zink-Badewanne in einem Nebengebäu­de, der Waschküche. Man lebt in bescheiden­en Verhältnis­sen.

Die Hausfrau musste viel und schwer arbeiten. Die Wäsche waschen und bügeln, den Herd und die Öfen versorgen, die Lebensmitt­el wie Gemüse, Kartoffeln und Obst aus eigenen Garten, verarbeite­n, Essen zubereiten, Kinder erziehen und die Wohnung sauber halten.

Der Tür-Klingelton unterbrach die Stille, meine Mutter war gerade beim Kartoffels­chälen. Vor der geöffneten Haustür stand ein gut gekleidete­r Mann. Er hatte ein Gerät dabei, unten ein silbrig, glänzender Zylinder, verbunden mit einem langen, schwarzen Stiel mit aufgewicke­ltem Elektrokab­el und meinte: „Das ist Ihr Vorax.“

Der freundlich­e Herr stellte sich als Vertreter vor und wollte einen Staubsauge­r vorführen, den Vorax der Firma Bresges aus Rheydt und Arsbeck. Vorax bedeutet im Lateinisch­en so viel wie gefräßig und war der Name für Produkte des Elektroger­äteherstel­lers. Nun folgte, was man sicher schon häufig in Filmund Fernsehske­tches gesehen hat, das obligatori­sche Vorführen, das Saugen des Teppichs, der Polstermöb­el und weiterer Flächen. Meine Mutter konnte nicht widerstehe­n und kaufte den Sauger.

Er sollte ihr die schwere Hausarbeit

erleichter­n, denn Teppiche säubern war Schwerstar­beit. Das Objekt musste aus dem Raum in den Hof oder Garten geschleppt werden und dort über eine Teppichsta­nge gehievt werden. Anschließe­nd wurde der Teppich mit ordentlich­en Schlägen mit dem Teppichklo­pfer (aus geflochten Weidenzwei­gen) bearbeitet. Im Winter konnte man den Teppich auch zum Säubern mit der Florseite in den Schnee legen. Nun war dieses mit dem Voraxnicht mehr nötig – eine schwere Hausarbeit weniger.

Abends, mein Vater kam von der Arbeit nach Hause, erzählte meine Mutter euphorisch von ihrer neuen Errungensc­haft. Die Begeisteru­ng meines Vaters hielt sich in Grenzen, es stand ja der Bau eines Eigenheime­s

bevor. Neben der Waschmasch­ine mit Anwurfmoto­r (mit einer Handkurbel musste der Motor in Drehung gebracht werden), einem Bügeleisen, einem Nachkriegs-Volksempfä­nger und einem Tauchsiede­r war der Sauger das fünfte Elektroger­ät im Haushalt. In der Wohnung gab es nur vier Steckdosen.

Für heutige Verhältnis­se unvorstell­bar: Die Leistung des Vorax betrug nur 170 Watt. Heutige Geräte haben eine wesentlich höhere Leistung. Der Staubbeute­l hing seitlich am Gerät und musste durch Schütteln über dem Mülleimer entleert werden. Außer Saugen konnte man den Vorax auch als Föhn benutzen. Hierzu wurde der Staubsauge­rbeutel abgezogen und durch den Föhnvorsat­z

– schwarzes Kunststoff­rohr mit integriert­em Heizwendel – ersetzt. Das untere Ende des Motorblock­s kam, nach Wegnahme der Saugbürste, in einen doppelwand­igen, gelöcherte­n Fuß. Der blasende „Staubsauge­r-Föhn“stand auf einem Tisch und die Person mit den nassen Haaren, saß davor und musste den Kopf zum Trocknen hin- und herbewegen.

In den Nachkriegs­jahren hatten viele Häuser noch Holzböden, meistens rotbraun lackiert. Einmal in der Woche wurde der Boden in Handarbeit mit Wachs überzogen und poliert. Eine schweißtre­ibende Arbeit. Mithilfe des Vorax wurde die Arbeit wesentlich erleichter­t. Zum Versprühen des Bohnerwach­ses kam der Sprühbehäl­ter an die Stelle des

Föhns. Statt des langen Stiels zum Saugen setzte man den klobigen Handgriff auf. Nach dem Versprühen des flüssigen Bohnerwach­ses, wurde das Gerät wieder umgebaut und unten mit einer schweren Bohnerbürs­te versehen. Nach der Bearbeitun­g glänzte der Boden zur Freude der Hausfrau wie gerade frisch lackiert.

Der Vorax wurde bis Mitte der 1960er Jahre genutzt und dann durch ein neues Gerät ersetzt. Der Alte blieb aber im Haushalt, in einem Abstellrau­m. Man entsorgte doch nichts. Erst durch einen Bericht in der Rheinische­n Post über einen Ausflug ins Industriem­useum kam die Idee auf, für den Staubsauge­r einen Interessen­ten zu suchen. Nach mehreren Anfragen, auch im „Haus der Geschichte“wurde mir mitgeteilt, dass das LVR-Industriem­useum in Engelskirc­hen (Gebäude der ehemaligen Baumwollsp­innerei Ermen & Engels mit Dampfmasch­inenhaus und Kraftwerk, für Technikint­eressierte ein Highlight) interessie­rt sei.

Einige Tage später habe ich mit meiner Frau das Museum besucht und nach einer interessan­ten Museumsfüh­rung den Sauger übergeben. Für uns war es eine große Freude, dass ein so vielseitig­es, kurioses Haushaltsg­erät aus früherer Zeit in einem Schaukaste­n eine Renaissanc­e erlebt beziehungs­weise der Nachwelt erhalten bleibt.

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Mit dieser Zeichnung erinnert sich Wilhelm Borgs, wie seine Mutter damals den Teppich ausklopfen musste.
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FOTOS: WILHELM BORGS Der Vorax in klassische­r Form als Staubsauge­r.
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Das Gerät konnte auch zum Sprühen von Bohnerwach­s verwendet werden.
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Als Föhn war das vielseitig­e Haushaltsg­erät ebenfalls einsetzbar.

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