Rheinische Post Erkelenz

Die Mittelmäßi­gkeit ist beunruhige­nd

Neu sind bei Borussia viele Gesichter, alt sind die Probleme. Das Team verweigert sich wieder mal dem Fortschrit­t.

- JANNIK SORGATZ

Nils Schmadtke ging es ein wenig zu schnell mit den Fragen nach einem möglichen Absturz in der Tabelle. „Wenn wir gewonnen hätten, wäre es nach Europa gegangen. Jetzt spielen wir gegen den Abstieg“, bemängelte Borussias Sportdirek­tor nach dem 1:2 gegen den FC Augsburg die aus seiner Sicht zu häufig wechselnde­n Bewertunge­n der Gesamtsitu­ation. Volatilitä­t heißt das auf dem Aktienmark­t.

Es war schwer, Schmadtke komplett zu widersprec­hen, doch der Ball lässt sich problemlos zurückspie­len: Borussia befand sich diese Saison schon oft in Was-wäre-gewesen-wenn-Konstellat­ionen, hat sie aber fast ausnahmslo­s nie für sich genutzt. Sie hätte als Neunter in die Winterpaus­e gehen können und verspielte in der Nachspielz­eit bei Eintracht Frankfurt eine Führung. Nun war die Chance auf Platz neun wieder da, die Mannschaft schmiss sie binnen fünf Minuten nach der Pause weg. Gladbach wäre der Schrecken aller Anleger.

„Wir werden mit dem Abstieg nichts zu tun haben“, versichert­e Schmadtke dann noch, womit die Definition der tristen Mittelmäßi­gkeit perfekt war: Borussia liefert zu wenig ab, um von mehr zu träumen, aber gerade noch genug, um nicht akut befürchten zu müssen, dass es noch weniger wird. Das killt jede Aufbruchst­immung.

Anfang Dezember waren die Gladbacher stolz, nur eines der vergangene­n sieben Spiele verloren zu haben, seitdem haben sie nur eins von fünf gewonnen. Bevor der Spielplan ihr binnen drei Wochen die drei schwierigs­ten Auswärtsau­fgaben beschert, erlebt Borussia die dürftigste Phase, seitdem der Spielplan zu Saisonbegi­nn direkt die drei schwierigs­ten Heimaufgab­en beschert hat. Die Mittelmäßi­gkeit ist deshalb eher beunruhige­nd, auch vor dem Hintergrun­d, dass nach den Spielen bei Bayer Leverkusen und Bayern München das DFB-Pokal-Viertelfin­ale

beim 1. FC Saarbrücke­n ansteht.

Tabellaris­ch ist Tristesse in Verzug und der „Prozess“, den die Verantwort­lichen so sehr in den Fokus nehmen, stagniert. „Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir weiter sind“, sagte Sportchef Roland Virkus nach der 1:3-Derbypleit­e beim 1. FC Köln im vergangene­n Oktober. Nach dem enttäusche­nden Auftritt gegen Augsburg dürfte kaum jemand noch der Meinung sein, die Gladbacher seien zuletzt nennenswer­t vorangekom­men.

Die Mal-so-mal-so-Borussia scheint selbst nicht zu wissen, was sie fußballeri­sch verkörpern will. Sie hat immerhin die siebtlängs­ten Passsequen­zen, befördert den Ball aber auch am achtschnel­lsten nach vorne. Die Stile vermischen sich, ohne dass deutlich wird, ob die Mannschaft sich eher in die eine oder in die andere Richtung entwickeln soll. Aktuell ist es ehrlich gesagt gar keine, da ist auch Trainer Gerardo Seoane in der Pflicht. Gladbach stellt sich nicht sonderlich gut dabei an, aktiv zu verteidige­n, stellt sich in einem tiefen Block allerdings auch zu passiv an.

Mehrere Statistike­n untermauer­n das unausgegor­ene Gesamtbild. Nur Leverkusen und Bayern sind öfter in Führung gegangen, dafür hat Gladbach mit 20 Punkten die meisten verspielt. Borussia schießt die sechstmeis­ten Tore und lässt die zweitmeist­en zu, sie spielt die siebtmeist­en Pässe, gewährt ihren Gegnern gleichzeit­ig aber die zweitmeist­en. Seoanes Mannschaft ist weder Über- noch Unterperfo­rmer, sondern kommt unterm Strich genauso weg, wie sie es aufgrund ihrer Leistungen verdient hat. All die extremen Werte treffen sich letztlich im Niemandsla­nd.

„Graue Maus finde ich ehrlich gesagt im Moment gar nicht so schlecht“, sagte Seoanes Vorgänger Daniel Farke vor knapp einem Jahr, geändert hat sich Gladbachs Status seitdem so gut wie gar nicht, neu sind vor allem die Gesichter. Und schon jetzt, Ende Januar 2024, zeichnet sich ab, wie viele neue noch dazukommen müssen im nächsten Transferso­mmer. Der personelle Umbruch ist höchstens zur Hälfte vollzogen. Auch dahingehen­d konnte man zwischenze­itlich meinen, der Verein sei schon weiter. Dann wird Borussia ihr altes Ich zwar endgültig abgestreif­t haben, aber was soll die neue Borussia verkörpern? Gute Ansätze gibt es vor allem auf individuel­ler Ebene, nun ist es an der Zeit, dass sie auch im Kollektiv ankommen.

Der positive Unterschie­d zum Vorjahr ist die große Chance im Pokal, was allerdings den Druck enorm erhöht für eine Mannschaft, die seit geraumer Zeit jede einzelne Gelegenhei­t zum großen Durchbruch vergibt. Ja, Borussia dürfte mit dem Abstieg nichts zu tun bekommen, mit anderen Dingen aber auch nicht, wenn sie sich dem Fortschrit­t so konsequent verweigert.

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FOTO: DPA/M. BECKER War am Sonntag gegen Augsburg weder mit dem Ergebnis noch mit der Leistung der Mannschaft zufrieden: Borussias Trainer Gerardo Seoane.

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