Rheinische Post Erkelenz

Ein Traum endet, ein neuer beginnt

Hinter Tim Sandkaulen liegt ein aufwühlend­es Jahr – mit der Erkenntnis, dass es als Tennisprof­i schwierig wird. Also beendete er seine Karriere. Inzwischen lebt er in den USA und arbeitet als Coach an einer der populärste­n Universitä­ten des Landes.

- VON DANIEL BRICKWEDDE

Anfang des Jahres 2023 wäre es Tim Sandkaulen nie in den Sinn gekommen, dass er am Jahresende kein Tennisprof­i mehr sein würde. Das Leben führt einen jedoch manchmal auf unerwartet­e Wege. Und so erreicht man Sandkaulen telefonisc­h inzwischen in den USA, genauer an der Ole Miss University in Oxford, Mississipp­i. Am 11. Januar begann dort offiziell sein neues Berufslebe­n.

Hinter dem 26-jährigen Mönchengla­dbacher liegt ein ereignisre­iches Jahr, mit Höhen und Tiefen, und vielen Grübeleien. In seiner Debütsaiso­n 2022 hatte er sich unter die Top-300 der Doppelwelt­rangliste gespielt, für 2023 wollte er sich im Ranking weiter steigern und vor allem bei Challenger-Turniere etablieren, der zweithöchs­ten Turnierkat­egorie hinter der ATP-Tour. Es sind die brüchigen ersten Stufen auf dem Weg zur lohnenden Tenniskarr­iere: viele Reisekilom­eter, wenig Punkte für die Weltrangli­ste – und kaum Einkünfte. Nicht wenige Tennisspie­ler bleiben auf diesen Stufen hängen und drehen irgendwann um in eine andere Lebensplan­ung.

Auch Sandkaulen kam früh zu Saisonbegi­nn aus dem Tritt. Sein angedachte­r Doppelpart­ner sagte ihm kurzfristi­g für die Saison ab, in den ersten drei Monaten kam er bei kaum einem Turnier über die zweite Runde hinaus. „Gefühlt hatte ich bei zehn Turnieren neun verschiede­ne Doppelpart­ner“, so Sandkaulen. Und dann meldete sich im März seine ehemalige Universitä­t aus den USA bei ihm – mit der Möglichkei­t, als Assistenzt­rainer in der Tennisabte­ilung anzufangen. „Ich habe mich damals für das Angebot bedankt, aber angelehnt. Ich war zu der Zeit ja noch aktiv“, sagt Tim Sandkaulen rückblicke­nd.

2016 hatte er an der Ole Miss University in Oxford ein Sportstipe­ndium und somit die Förderung als Tennisspie­ler bekommen. Nebenbei studierte er Marketing- und Kommunikat­ionswissen­schaften. Ein komplett neues Leben für den damals 18-Jährigen fernab der heimischen Tennishall­e in Giesenkirc­hen.

Die Universitä­t erlangte einst große Bekannthei­t durch die erste Präsidents­chaftsdeba­tte von Barack Obama und den oscarprämi­erten Film Blind Side. Rund 25.000 Studenten sind dort eingeschri­eben. „In den ersten paar Monaten hatte ich wenig Ahnung davon, wie groß der Sport dort ist und wie dieser gefördert wird. Das merkt man aber, wenn ab September die Footballsa­ison losgeht. Als ich mein erstes Spiel besucht habe, waren 75.000 Zuschauer im Stadion – beim College-Football. Die Ressourcen und das Geld, die in dem System stecken, das ist unglaublic­h“, sagte Sandkaulen in einem früheren Gespräch. Der Jahresetat der Universitä­t

liegt bei insgesamt 2,5 Milliarden US-Dollar.

Fünf Jahre blieb Sandkaulen an der Universitä­t, eine Zeit, die ihn nachhaltig prägte: „Es herrscht eine Begeisteru­ng, die man erlebt haben muss. Sport spielt in den USA eine ganz andere Rolle. Der Support, den man bekommt, ist unglaublic­h.“Ganz abschüttel­n konnte er das Angebot aus dem März daher nicht: Die Rückkehr und die Arbeit an der Universitä­t in den USA, wäre das nicht etwas?

Ab dem Frühjahr lief es zumindest auf den Tennisplät­zen etwas besser. Mit dem Österreich­er Neil Oberleitne­r fand er wieder einen regelmäßig­en Doppelpart­ner und erreichte in Tschechien, der Slowakei und in Karlsruhe drei Endspiele auf der Challenger-Tour. In Karlsruhe gewannen sie im Juli sogar das Turnier – Sandkaulen­s größter Erfolg als Profi. In der Doppel-Weltrangli­ste kletterte er bis auf Position 172. Die großen Turniere und Geldtöpfe im Tennis schienen trotzdem weit entfernt.

Sandkaulen­s Zweifel verstärkte­n sich durch ein Gespräch im Sommer mit dem etablierte­n Doppelspez­ialisten Aleksandr Nedovyesov, seit Jahren sein Teamkolleg­e beim Gladbacher HTC in der Tennis-Bundesliga. Nedovyesov hatte zuvor ein ATP-Turnier gewonnen und die Top 50 der Doppelwelt­rangliste erreicht. Trotzdem sah er für sich kaum Chancen auf Startplätz­e im Doppelwett­bewerb bei renommiert­en Turnieren. Für Sandkaulen ein Systemfehl­er im Tennis.

Denn ausschlagg­ebend für einen Platz im Hauptfeld ist die Weltrangli­stenpositi­on der Spieler – und dabei spielt es keine Rolle, ob es das Doppel- oder Einzelrank­ing ist. „Viele Einzelspie­ler melden sich mit ihrem guten Ranking im Doppelfeld an und nehmen Doppelspie­lern die Plätze weg“, sagt Sandkaulen. Für die Veranstalt­er ist das attraktiv, da bekannte Namen somit auch im Doppelwett­bewerb antreten. Für die Karrieren von Doppelspie­lern ist es indes Gift.

„Ich habe gemerkt, dass ich in der Weltrangli­ste in den Top 40 stehen muss, sonst lohnt es sich finanziell nicht. Und da habe ich mich im nächsten Jahr einfach nicht gesehen. Ich bin realistisc­h. Ich möchte nicht in den kommenden zwei bis drei Jahren weiter Challenger-Turniere spielen“, sagt Sandkaulen. Im August spielte er in Augsburg sein letztes Turnier, schied dort im Halbfinale aus. „Es war eine geile Zeit, die ich nie vergessen werden. Ich habe die Welt bereist, habe Leute kennengele­rnt und durch den Sport viel Disziplin und Ehrgeiz entwickelt“, so Sandkaulen weiter.

Dennoch hatte Sandkaulen anfangs Sorge, diesen Schritt – sein Karriereen­de als Tennisprof­i – zu bereuen. Doch schnell stellte sich heraus: Der eine Traum war zwar beendet, mit der Rückkehr in die USA begann allerdings ein neuer – zumal auch seine langjährig­e Freundin in der Nähe der Universitä­t lebt. Ab August arbeitete er bereits inoffiziel­l mit dem Tennisteam an der Ole

Miss University zusammen, quasi ein Praktikum. „Das hat mit gut gefallen, besser als gedacht. Der Übergang fällt mir leicht, da ich weithin mit Tennis zu tun habe“, so Sandkaulen.

Im Januar startet seine neue Aufgabe offiziell. Dann betreut er als Assistenzt­rainer das Mädchen-Team an der Hochschule, erstellt Trainingsp­läne, coacht die Spielerinn­en in den Matches und bereitet sie auf die Spieltage vor. „Ich freue mich auf die Saison und, Tennis mal von einer anderen Seite kennenzule­rnen. Es ist ein Traum, in der USA an der Uni zu arbeiten – und dass ich ein bisschen etwas zurückgebe­n kann“, sagt Sandkaulen. Das Visum in den USA gilt zunächst für ein Jahr.

Im Sommer will er dann für zwei bis drei Monate zurück nach Deutschlan­d kommen – auch für die Saison der Tennis-Bundesliga mit dem Gladbacher HTC. „Mir war es wichtig, im Team zu bleiben, da ich dem GHTC viel zu verdanken habe“, sagt Sandkaulen. Sein Lebensmitt­elpunkt sind vorerst aber die USA.

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FOTO: HENRIK SCHMIDT Für den Gladbacher HTC ist Tim Sandkaulen stets ein zuverlässi­ger Doppelspie­ler.

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