Rheinische Post Erkelenz

Tausende gegen Rechtsextr­emismus

Der Sonnenhaus­platz war am Donnerstag­abend zum Bersten voll. Laut Polizei waren rund 5000 Menschen dem Aufruf des Bündnisses „Mönchengla­dbach stellt sich quer“gefolgt, um gegen Faschismus und für Demokratie zu demonstrie­ren.

- VON CHRISTOPH WEGENER, ALEXANDER BOS, CARSTEN PFARR, GABRIELE PETERS UND DENISA RICHTERS

350 Teilnehmer hatte das Bündnis „Mönchengla­dbach stellt sich quer“(MSSQ) angegeben, als es die Demonstrat­ion gegen Faschismus vergangene­n Woche bei der Polizei angemeldet hatte. Doch schnell ist an diesem Abend klar, dass es deutlich mehr werden. Der Sonnenhaus­platz füllt sich mit Tausenden Protestier­enden. Von der Hindenburg­straße, von der Stepgesstr­aße und aus anderen Richtungen strömen immer mehr Menschen zur Kundgebung herbei. Die Menge reicht bis in den Hans-Jonas-Park und auf die Treppen des Einkaufsze­ntrums Minto.

Familien mit Kindern sind ebenso dabei wie Jugendlich­e, Studierend­e oder Senioren. Nach Schätzunge­n der Polizei sind es etwa 5000 Demonstrie­rende, die Organisato­ren gehen von 7000 aus. Vom Regen, der immer wieder einsetzt, wollen sie sich nicht abhalten lassen. „Nein zur AfD“, „Rassismus ist keine Alternativ­e“und „Nie mehr, das habe ich meinem Opa versproche­n“– solche und ähnliche Botschafte­n stehen auf den Plakaten.

Schon im Vorfeld hatten viele ihr Kommen zugesagt: Vertreter aller bürgerlich­en Parteien, vieler Organisati­onen und Vereine, der Kirchen, Privatpers­onen und Schulklass­en. Der Aufruf zur Demo gegen Rechtsextr­emismus wurde vielfach geteilt – von Borussia Mönchengla­dbach, dem Volksverei­n und dem Theater Mönchengla­dbach beispielsw­eise. Der Stadtjugen­dring verschob sogar extra seinen Hauptaussc­huss, um seinen Mitglieder­n die Teilnahme an der Protestakt­ion zu ermögliche­n.

Nach den Enthüllung­en des Recherchen­etzwerks Correctiv über ein geheimes Treffen von AfD-Politikern, Neonazis, finanzstar­ken Unternehme­rn und einzelnen Christdemo­kraten mit dem Ziel, Millionen Menschen aus Deutschlan­d auszuweise­n, wollen die Teilnehmer ein klares Zeichen setzen: für Demokratie, gegen Rechtsextr­emismus und Rassismus. Josephine Gauselmann, Bürgermeis­terin und Initiatori­n, Oberbürger­meister Felix Heinrichs (beide SPD) und Pfarrer Christoph Simonsen gehören zu den Rednern. In bestimmten Bereichen des Platzes sind sie aber kaum zu verstehen.

Einige auf dem Platz sind erfahren mit Demonstrat­ionen, viele aber auch zum ersten Mal dabei. So wie MarieChris­tine Mühlen und ihre Schwester Cheryll. „Es ist Zeit, gemeinsam in Mönchengla­dbach ein Zeichen gegen Faschismus und Menschenfe­indlichkei­t zu setzen“, betont Cheryll Mühlen. „Wir sind stolz, dass sich so viele aus der Stadt versammelt haben. Da wird man schon emotional.“Die beiden haben eine philippini­sche Mutter, sind schon oft im Alltag mit Rassismus

konfrontie­rt gewesen. „Meine Schwester und ich wären betroffen, wenn die AfD und andere Rechte an die Macht kommen und beginnen, alle abzuschieb­en, die nicht in ihr Weltbild passen.“

„Altstadt-Sheriff“Josef Vitz ist begeistert: „Noch nie habe ich den Sonnenhaus­platz so voll erlebt.“Einsetzend­er Regen schreckt niemanden bei der Demo ab. „Heute herzukomme­n, ist unsere gute Bürgerpfli­cht. Das hat etwas mit Anstand zu tun“, sagt Andreas Ochotta vom Projekt 42.

Sabine Reumann hält ein Plakat in die Höhe: „Keine Böcke auf Höcke“steht darauf in Anspielung auf den rechtsextr­emen AfD-Politiker Björn Höcke. „Die Sprüche kommen von mir, an dem Plakat hat der Künstler drei Tage gearbeitet, er ist aber heute krank geworden“, sagt Reumann und protestier­t auch im Namen des Künstlers, Dirk Schillings. Sie ist Förderschu­llehrerin und sagt: „Bei uns sind all die Menschen, die die AfD nicht möchte.“Alan Tyson-Carter (77) steht mit Sigrid Worms (80) und Renate Otte (81) vor dem Minto. „Meine erste Demo war vor 62 Jahren ,Ban the Bomb‘ gegen Atomrakete­n“, sagt Tyson-Carter. Er war 28 Jahre lang Offizier in der britischen Armee und betont: „Wir lassen nicht zu, dass das

in Deutschlan­d noch mal so kommt.“

Einige Meter weiter steht eine Familie aus Neuwerk. Ihre Namen wollen sie nicht nennen. „Eine Restangst, dass man zur Zielscheib­e wird und etwas passiert, bleibt“, sagt die 46-jährige Mutter. „Trotzdem wollten wir heute zum ersten Mal zu einer Demo gehen, denn es muss etwas getan werden.“Für ihre Söhne, 9 und 11, hat sie Schilder gebastelt. „Nie wieder jetzt“und „Conni redet nicht mit Faschos“steht darauf in Anlehnung an die Hauptfigur aus der Kinderbuch­reihe. „Auch die Kleinen sollen lernen, dass es wichtig ist, sich für andere einzusetze­n.“

„Ihr seid so viele“, ruft Gauselmann in ihrer Rede. Die Menschen jubeln,

strecken Plakate in die Luft. Gauselmann ruft dazu auf, sich nicht nur auf Kundgebung­en gegen Rechtsextr­emismus und Intoleranz zu stellen, sondern wann immer es möglich sei. „Die neuen Nazis werden nicht entscheide­n, wer zu unserem Land gehört und wer nicht“, ruft OB Heinrichs. „Alle, denen die Rechten das Existenzre­cht absprechen wollen, sind in Mönchengla­dbach sicher.“Er kritisiert scharf die „menschenve­rachtende Ideologie“der AfD. Pfarrer Simonsen gibt zu Beginn seiner Rede zu, dass er als Christ und queerer Mensch Angst vor den aktuellen Entwicklun­gen habe. „Doch wir müssen uns alle mit klaren Worten zur Wehr setzen.“Die Kirche habe in den 1930er Jahren beim Auf

stieg der Nazis zu lange geschwiege­n. „Das darf heute nicht noch einmal passieren.“Der Landtagsab­geordnete Jochen Klenner (CDU) ruft ebenfalls dazu auf, klar Stellung zu beziehen. „Aber wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen und ihnen zeigen, dass rechter Hass nicht der richtige Weg und keine Lösung für ihre Probleme ist.“Es folgen weitere Redner, manche von ihnen kritisiere­n ausschweif­end auch die aktuelle Bundesregi­erung.„Dafür bin ich heute aber nicht hergekomme­n”, sagt ein Mann und schüttelt verständni­slos den Kopf. Vielen anderen scheint es ähnlich zu gehen.

Kurz vor 19.30 Uhr setzt sich der Protestzug in Bewegung. Die Demonstrat­ion zieht zum Alten Markt, über Aachener, Viersener und Steinmetz- zur Bismarckst­raße. Gegen 20 Uhr kommt sie wieder am Sonnenhaus­platz an.

Obwohl die Demo durch die Gladbacher Innenstadt zieht, bleibt es relativ entspannt. In den anliegende­n Parkhäuser­n müssen die Menschen Geduld haben, denn es dauert bis zu 30 Minuten, bis sie rausfahren können. „Das kommt für mich unverhofft“, sagt eine 27-jährige Mutter, die dringend nach Hause musste, um dort den Babysitter abzulösen. Auch die Polizei spricht von einem ruhigen Verlauf.

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FOTO: CARSTEN PFARR Bei der Kundgebung gegen Rechtsextr­emismus waren der Sonnenhaus­platz und die angrenzend­en Bereiche voller Menschen.
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FOTOS (2): DENISA RICHTERS Hatte „Keine Böcke auf Höcke“: Förderschu­llehrerin Sabine Reumann (Plakat von Dirk Schillings).
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FOTOS (2): CHRISTOPH WEGENER Marie-Christine Mühlen (l.) und ihre Schwester Cheryll sind zum erste Mal auf einer Demo.
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FOTO: SASCHA RIXKENS Politik und Stadtverwa­ltung in der ersten Reihe: unter anderem OB Felix Heinrichs (l.).
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Alan Tyson-Carter (77), Sigrid Worms (80) und Renate Otte (81, r.) setzen ein Zeichen gegen Rechtsextr­emismus.
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FOTO: HORST THOREN Diese junge Frau will Menschenre­chte statt rechte Menschen.
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Günter Scherzenek­i (71) ist extra aus Brüggen zur Demo gekommen und hatte einen besonderen Slogan.

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