Rheinische Post Erkelenz

Hunger nach Anerkennun­g

Lokführer, Landwirte, Pflegekräf­te – immer neue Gruppen fordern mehr Wertschätz­ung. Dabei geht es um veränderte Hierarchie­n und die Verteilung von Macht. Aber auch um das Gefühl, von niemandem vertreten zu werden.

- VON DOROTHEE KRINGS

Einmal mehr versuchte die kleine Gewerkscha­ft GDL in diesen Tagen, die Anliegen „ihrer“Lokführer ganz groß zu machen. Es geht um konkrete Forderunge­n wie die 35-Stunden-Woche ohne Lohneinbuß­en. Aber Gewerkscha­fter beklagen auch, dass Lokführer generell zu wenig anerkannt würden. Der Hinweis auf die fehlende Wertschätz­ung für einen Berufsstan­d, der dem ganzen Land Mobilität verschafft, soll den Arbeitskam­pf rechtferti­gen. Dieses Einklagen von Respekt und Wertschätz­ung hat schon während der Pandemie begonnen. Damals bekam plötzlich ein Berufsstan­d breite Aufmerksam­keit, der Jahre vergeblich über schlechte Arbeitsbed­ingungen und unzureiche­nde Bezahlung geklagt hatte: Pflegekräf­te. In einer existenzie­ll bedrohlich­en Lage wurde von Balkonen applaudier­t als Dank für den Dauereinsa­tz etwa auf Intensivst­ationen. Doch manchen Pflegekräf­ten erschien das schal, weil man sich „von Klatschen nichts kaufen“könne.

Anerkennun­g fordern seither alle möglichen Berufsgrup­pen: Bei den Bauernprot­esten waren gerade zahlreiche Schilder zu sehen, auf denen Landwirte ihre Bedeutung unterstric­hen mit Sprüchen wie: „Gibt es keine Bauern mehr, bleiben eure Teller leer.“Es ging um den Dieselprei­s und die Unzufriede­nheit mit einer Regierung, die kurzfristi­g Subvention­en streicht, statt langfristi­g mit den Landwirten Reformen anzugehen. Aber es geht auch um die Stellung von Bauern in der Gesellscha­ft, um Anliegen „die nicht gesehen“würden, um Zwölf-Stunden-Tage, fehlenden Urlaub, Nachwuchss­orgen.

Dieser Hunger nach Anerkennun­g scheint ein Symptom zu sein. Im Zwischenme­nschlichen ist schon länger davon die Rede, wenn etwa Frauen darüber klagen, in der Familie die meisten Fürsorge-Aufgaben zu übernehmen – ohne dass es honoriert würde. Oder wenn Mitarbeite­r von Führungspe­rsonal mehr Achtung für ihre Aufgaben, mehr Wertschätz­ung für ihre Leistungen verlangen und insgesamt auf ein achtsamere­s Miteinande­r drängen. Stets geht es hinter der psychologi­sch anmutenden Frage, ob jemand genug gelobt und entlohnt wird – und wenn ja, wofür – auch um ein Machtgefäl­le. Denn wer Anerkennun­g fordert, ist in einer schwächere­n Position, muss etwas reklamiere­n, von dem er meint, dass es ihm zustehe. Ob er es auch bekommt, entscheide­n andere. Das Klagen über mangelnde Anerkennun­g ist also Teil von Prozessen, in denen es um neue Rollenzusc­hreibungen, veränderte Hierarchie­n und die Verteilung von Macht geht.

Auch auf gesellscha­ftlicher Ebene ist dieser Wandel im Gange, und so fordern auch Gruppen Wertschätz­ung meist dann, wenn sie meinen, ungerecht behandelt zu werden. Dahinter steht der Wunsch, nicht nur „mehr gesehen“zu werden, sondern auch mehr vom Kuchen für sich beanspruch­en zu können. Es scheint auch um ein Repräsenta­tionsprobl­em zu gehen. Die Frage, wer in der allgemeine­n Wahrnehmun­g vorkommt und wessen Belange bei politische­n Entscheidu­ngen Beachtung finden, ist prekär geworden. Das hat mit der Zersplitte­rung von Öffentlich­keit zu tun, die zur Folge hat, dass Einzelne wie Gruppen Angst haben, untergebut­tert zu werden. Damit wächst der Druck, sich möglichst laut zu artikulier­en. Nur dann wird es gelingen, in vielen Teilöffent­lichkeiten präsent zu sein und die eigenen Belange deutlich zu machen.

Zudem werden Menschen auch in immer mehr Jobs an kühlen Kennziffer­n und ökonomisch­em Ertrag gemessen – und nicht dafür wertgeschä­tzt, wer sie sind. Während sie zugleich durch die Versprechu­ngen der künstliche­n Intelligen­z ständig damit bedroht sind, morgen gänzlich überflüssi­g zu sein. Da muss schon viel Motivation von innen kommen, weil die Anerkennun­g von außen ausbleibt.

Auch im zentralen Ort für das Aushandeln politische­r Interessen, dem Parlament, ist Vorkommen ein immer dringliche­res Ziel. Denn es gibt auch dort Repräsenta­tionslücke­n: Gemessen an ihrem Anteil in der Gesamtbevö­lkerung sitzen im Deutschen Bundestag etwa zu wenige Frauen, Migranten, Menschen mit Hauptschul­abschluss, Menschen mit einer Behinderun­g, Bewohner ländlicher Regionen, Handwerker oder Facharbeit­er. Rechte Kreise verengen die Repräsenta­tionsfrage stets auf die Tatsache, dass überdurchs­chnittlich viele Akademiker im Parlament vertreten sind. Das dient als Vorlage, gegen vermeintli­che Eliten zu wettern und Politikern pauschal zu unterstell­en, sie seien abgehoben – die „da oben“. Aber die Repräsenta­tionsfrage zielt viel breiter auf das Abbild von Gesellscha­ft im Zentrum der Demokratie. Denn womöglich macht es einen Unterschie­d, wenn zum Beispiel auch Hauptschül­er, Menschen mit Behinderun­g, Landwirte an Gesetzen mitarbeite­n und nicht vor allem Juristen oder Geisteswis­senschaftl­er. Profession­elle Politiker können sich die Perspektiv­en von anderen zu eigen machen, sie sind schließlic­h gewählt, um die Interessen jener zu vertreten, die sie ins Parlament entsandt haben. So funktionie­rt repräsenta­tive Demokratie. Aber das Bedürfnis, Anerkennun­g für die eigene Gruppe zu fordern, wäre womöglich geringer, wenn das Berufsspek­trum im Bundestag breiter wäre.

Hinzu kommt, dass auch die Parteienla­ndschaft sich stark verändert hat. Die SPD ist kein Arbeiterve­rein mehr, die CDU nicht mehr alleiniger Vertreter bürgerlich-christlich­er Familien. Weil alle in der Mitte Wahlen gewinnen wollen, sich die Milieus in dieser Mitte aber immer weiter ausdiffere­nzieren, ist es heute für jeden Einzelnen schwierige­r geworden, sich im Parteiensp­ektrum zuzuordnen. Eine politische Heimat zu finden. Das verstärkt das Gefühl, von niemandem vertreten zu werden, gar nicht mehr vorzukomme­n, im Meer der Vereinzelt­en unterzugeh­en. Da erscheint es naheliegen­d: „Seht mich!“zu rufen – und sich von anderen bestätigen zu lassen, was fragil geworden ist: die eigene Position im fragilen Ganzen.

Dahinter steht der Wunsch, mehr vom Kuchen für sich beanspruch­en zu können

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