Hunger nach Anerkennung
Lokführer, Landwirte, Pflegekräfte – immer neue Gruppen fordern mehr Wertschätzung. Dabei geht es um veränderte Hierarchien und die Verteilung von Macht. Aber auch um das Gefühl, von niemandem vertreten zu werden.
Einmal mehr versuchte die kleine Gewerkschaft GDL in diesen Tagen, die Anliegen „ihrer“Lokführer ganz groß zu machen. Es geht um konkrete Forderungen wie die 35-Stunden-Woche ohne Lohneinbußen. Aber Gewerkschafter beklagen auch, dass Lokführer generell zu wenig anerkannt würden. Der Hinweis auf die fehlende Wertschätzung für einen Berufsstand, der dem ganzen Land Mobilität verschafft, soll den Arbeitskampf rechtfertigen. Dieses Einklagen von Respekt und Wertschätzung hat schon während der Pandemie begonnen. Damals bekam plötzlich ein Berufsstand breite Aufmerksamkeit, der Jahre vergeblich über schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichende Bezahlung geklagt hatte: Pflegekräfte. In einer existenziell bedrohlichen Lage wurde von Balkonen applaudiert als Dank für den Dauereinsatz etwa auf Intensivstationen. Doch manchen Pflegekräften erschien das schal, weil man sich „von Klatschen nichts kaufen“könne.
Anerkennung fordern seither alle möglichen Berufsgruppen: Bei den Bauernprotesten waren gerade zahlreiche Schilder zu sehen, auf denen Landwirte ihre Bedeutung unterstrichen mit Sprüchen wie: „Gibt es keine Bauern mehr, bleiben eure Teller leer.“Es ging um den Dieselpreis und die Unzufriedenheit mit einer Regierung, die kurzfristig Subventionen streicht, statt langfristig mit den Landwirten Reformen anzugehen. Aber es geht auch um die Stellung von Bauern in der Gesellschaft, um Anliegen „die nicht gesehen“würden, um Zwölf-Stunden-Tage, fehlenden Urlaub, Nachwuchssorgen.
Dieser Hunger nach Anerkennung scheint ein Symptom zu sein. Im Zwischenmenschlichen ist schon länger davon die Rede, wenn etwa Frauen darüber klagen, in der Familie die meisten Fürsorge-Aufgaben zu übernehmen – ohne dass es honoriert würde. Oder wenn Mitarbeiter von Führungspersonal mehr Achtung für ihre Aufgaben, mehr Wertschätzung für ihre Leistungen verlangen und insgesamt auf ein achtsameres Miteinander drängen. Stets geht es hinter der psychologisch anmutenden Frage, ob jemand genug gelobt und entlohnt wird – und wenn ja, wofür – auch um ein Machtgefälle. Denn wer Anerkennung fordert, ist in einer schwächeren Position, muss etwas reklamieren, von dem er meint, dass es ihm zustehe. Ob er es auch bekommt, entscheiden andere. Das Klagen über mangelnde Anerkennung ist also Teil von Prozessen, in denen es um neue Rollenzuschreibungen, veränderte Hierarchien und die Verteilung von Macht geht.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene ist dieser Wandel im Gange, und so fordern auch Gruppen Wertschätzung meist dann, wenn sie meinen, ungerecht behandelt zu werden. Dahinter steht der Wunsch, nicht nur „mehr gesehen“zu werden, sondern auch mehr vom Kuchen für sich beanspruchen zu können. Es scheint auch um ein Repräsentationsproblem zu gehen. Die Frage, wer in der allgemeinen Wahrnehmung vorkommt und wessen Belange bei politischen Entscheidungen Beachtung finden, ist prekär geworden. Das hat mit der Zersplitterung von Öffentlichkeit zu tun, die zur Folge hat, dass Einzelne wie Gruppen Angst haben, untergebuttert zu werden. Damit wächst der Druck, sich möglichst laut zu artikulieren. Nur dann wird es gelingen, in vielen Teilöffentlichkeiten präsent zu sein und die eigenen Belange deutlich zu machen.
Zudem werden Menschen auch in immer mehr Jobs an kühlen Kennziffern und ökonomischem Ertrag gemessen – und nicht dafür wertgeschätzt, wer sie sind. Während sie zugleich durch die Versprechungen der künstlichen Intelligenz ständig damit bedroht sind, morgen gänzlich überflüssig zu sein. Da muss schon viel Motivation von innen kommen, weil die Anerkennung von außen ausbleibt.
Auch im zentralen Ort für das Aushandeln politischer Interessen, dem Parlament, ist Vorkommen ein immer dringlicheres Ziel. Denn es gibt auch dort Repräsentationslücken: Gemessen an ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung sitzen im Deutschen Bundestag etwa zu wenige Frauen, Migranten, Menschen mit Hauptschulabschluss, Menschen mit einer Behinderung, Bewohner ländlicher Regionen, Handwerker oder Facharbeiter. Rechte Kreise verengen die Repräsentationsfrage stets auf die Tatsache, dass überdurchschnittlich viele Akademiker im Parlament vertreten sind. Das dient als Vorlage, gegen vermeintliche Eliten zu wettern und Politikern pauschal zu unterstellen, sie seien abgehoben – die „da oben“. Aber die Repräsentationsfrage zielt viel breiter auf das Abbild von Gesellschaft im Zentrum der Demokratie. Denn womöglich macht es einen Unterschied, wenn zum Beispiel auch Hauptschüler, Menschen mit Behinderung, Landwirte an Gesetzen mitarbeiten und nicht vor allem Juristen oder Geisteswissenschaftler. Professionelle Politiker können sich die Perspektiven von anderen zu eigen machen, sie sind schließlich gewählt, um die Interessen jener zu vertreten, die sie ins Parlament entsandt haben. So funktioniert repräsentative Demokratie. Aber das Bedürfnis, Anerkennung für die eigene Gruppe zu fordern, wäre womöglich geringer, wenn das Berufsspektrum im Bundestag breiter wäre.
Hinzu kommt, dass auch die Parteienlandschaft sich stark verändert hat. Die SPD ist kein Arbeiterverein mehr, die CDU nicht mehr alleiniger Vertreter bürgerlich-christlicher Familien. Weil alle in der Mitte Wahlen gewinnen wollen, sich die Milieus in dieser Mitte aber immer weiter ausdifferenzieren, ist es heute für jeden Einzelnen schwieriger geworden, sich im Parteienspektrum zuzuordnen. Eine politische Heimat zu finden. Das verstärkt das Gefühl, von niemandem vertreten zu werden, gar nicht mehr vorzukommen, im Meer der Vereinzelten unterzugehen. Da erscheint es naheliegend: „Seht mich!“zu rufen – und sich von anderen bestätigen zu lassen, was fragil geworden ist: die eigene Position im fragilen Ganzen.
Dahinter steht der Wunsch, mehr vom Kuchen für sich beanspruchen zu können