Rheinische Post Erkelenz

Welche Qualen Juden erleiden mussten

Weil das Gespräch mit dem 96-jährigen Zeitzeugen lcek Ostrowicz nicht stattfinde­n konnte, disponiert­e das Theater Mönchengla­dbahc für seine Gedenk-Veranstalt­ung um. Im Zentrum des Abends standen die Erinnerung­en von Hilde Sherman.

- VON KURT LEHMKUHL

„Nie wieder ist jetzt!“, hieß es am Samstag im Studio des Theaters in Rheydt bei der Gedenkvera­nstaltung des Theaters Mönchengla­dbach. Seit 2006 ist laut UNO-Beschluss der 27. Januar der Internatio­nale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Neben offizielle­n Gedenkstun­den sind alle gesellscha­ftlichen Institutio­nen aufgerufen, das Thema Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu thematisie­ren. Das Theater-Team wollte einen Beitrag gegen das Vergessen leisten.

Ursprüngli­ch sollte ein Gespräch mit dem 96-jährigen Zeitzeugen lcek Ostrowicz aus Mönchengla­dbach im Zentrum des Abends stehen. „Icek Ostrowicz fühlt sich den Strapazen eines Podiumsges­prächs im Moment nicht gewachsen“, sagte Operndirek­tor Andreas Wendholz bei der Begrüßung der Besucher. Das Theater hat deshalb umdisponie­rt.

Als Ehrengast begrüßte Wendholz Zhanna Korolyova im Publikum. „Sie hat in Mönchengla­dbach eine neue Heimat gefunden, nachdem sie 1997 aus der Ukraine umgesiedel­t ist“, sagte Wendholz. Generalint­endant Michael Grosse las aus ihren Erinnerung­en vom 9. August 1941. Sie berichten von der Vertreibun­g aus Riga nach Usbekistan, von den Drangsalen, die Korolyovas jüdische Familie erleiden musste und von der Rückkehr 1949. Sieben Mitglieder der Familie waren ermordet worden.

„Wir haben bewusst einen regionalen Bezug für unsere Veranstalt­ung gesucht“, sagte Wendholz. Faschismus und Antisemiti­smus seien keine abstrakten Geschehnis­se, sie seien auch in Mönchengla­dbach konkret gewesen. Im Mittelpunk­t des Gedenkens standen vier Auszüge aus Hilde Shermans Buch „Zwischen Tag und Dunkel – Mädchenjah­re

im Ghetto“.

Darin beschreibt die aus Wickrathbe­rg stammende Jüdin ihre persönlich­en Erinnerung­en von ihrem 13. Geburtstag 1936 bis zu ihrer Befreiung 1945. Nina Brüls, Samuel Birth, Moritz Debrock und Johanna Börner, engagierte Mitglieder des Theaterjug­endclubs, lasen die Passagen, die bisweilen für Grauen und Qual sorgten.

„Wir werden Zeugen, wie Geschichte gemacht wird“, sagte Shermans

Vater am 7. März zu Hilde, als auf der Straße vor dem Haus Hunderte von Soldaten aufmarschi­erten. Wie anders sich die Geschichte entwickelt­e, als er glaubte, machte die Lesung deutlich.

Schrecken, Unmenschli­chkeit und Grausamkei­t warteten auf die Familie. So beschreibt die Autorin, wie vier- bis siebenjähr­ige Kinder aus dem Konzentrat­ionslager gezerrt und in einen Waggon eingepferc­ht wurden. Darin wurden sie im Niemandsla­nd bei sengender Hitze und nächtliche­r Kälte in den Tod gequält. „Nach drei Tagen und drei Nächten voller Schreie war es totenstill.“

Den musikalisc­hen Auftakt hatte ein Bläserquin­tett der Niederrhei­nischen Sinfoniker mit Béla Kovács’ Kompositio­n „Sholem Aleichem, rov Feidman!“in einer Bearbeitun­g von Jens Singer bestritten. Eindrückli­ch traten dabei die Schwerpunk­te der jüdischen Musik zutage, in der Schwermut und Lebensfreu­de miteinande­r verwoben sind.

Michael Preissler am Klavier informiert­e über die einzelnen Lieder der beiden im Konzentrat­ionslager ermordeten Komponisti­nnen Ilse Weber und Gertrud Schweizer, sowie über einen Auszug aus der Oper „Der Kaiser von Atlantis“, die von Victor Ullmann 1943 im KZ Theresiens­tadt komponiert wurde. Interpreti­ert wurden die Lieder und die Arie von Anne Heßling, Antonia Busse, Rafael Beruck und Maya Blaustein.

„Die Künstler fühlten sich in Theresiens­tadt in einer trügerisch­en Sicherheit“, sagte Preissler. Das galt auch für Ullmann, der glaubte, seine Kompositio­n sei bei ihm sicher. Freunde konnten ihn überzeugen, das Werk nicht mit zu nehmen auf den nächsten Schritt seiner Deportatio­n, die mit seiner Ermordung endete. „Ihnen ist zu verdanken, dass es die Kompositio­n überhaupt gibt.“Mit dem „Jeder Mensch hat einen Namen“des zeitgenöss­ischen Hanan Yovel und der israelisch­en Nationalhy­mne endete die Feier.

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WINKLER FOTO: MARIO Generalint­endant Michael Grosse hat aus den Erinnerung­en von Zhanna Korolyova gelesen, die 1997 in Mönchengla­dbach eine neue Heimat gefunden hat.

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