Rheinische Post Erkelenz

Lebensgefä­hrlicher Kampf um die Liebe

In mehr als der Hälfte der afrikanisc­hen Länder sind gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n illegal. In Uganda droht die Todesstraf­e. Steven Kabuye protestier­te gegen das Gesetz – und wurde von einem Unbekannte­n schwer verletzt.

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Der Täter kam auf einem Motorrad und stach ohne Vorwarnung zu. Steven Kabuye hob reflexarti­g die Hand, das Messer drang in den Unterarm. Der Blutende flüchtete von der Straße in Richtung einer Baustelle. In der Tasche hatte er seinen Laptop, aber das hier war kein Raub. Der Angreifer lief hinterher und stach erneut zu. Diesmal blieb das Messer im Bauch stecken. Erst dann rannte der Mann zurück zum Motorrad und raste davon. Ohne Beute. Ohne jedes Wort.

Einige Wochen sind vergangen seit der Tat vom 3. Januar in Ugandas Hauptstadt Kampala. Eine Notoperati­on stoppte Kabuyes innere Blutungen im letzten Moment. „Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich es nicht geschafft hätte, wäre ich zehn Minuten später gebracht worden. ‚Du bist ein Mann des Glücks’, meinte der Chirurg immer wieder – ein Mann des Glücks’“. erzählt der 25-jährige Kabuye am Telefon.

Die Stimme ist noch schwach. Wegen der schweren Verletzung­en – und der Angst. Er weiß inzwischen, dass ihn dieser Angriff nicht das Leben kosten wird. Aber vielleicht der nächste. Denn Kabuye, Gründer der Bürgerrech­tsorganisa­tion Coloured Voice Truth LGBTQ, gehört zu den prominente­sten Aktivisten, die sich gegen Gesetze stellen, die Homosexual­ität in Uganda verbieten.

Diese Relikte aus Zeiten der Kolonialze­it gelten seit der Unabhängig­keit, also seit mehr als 60 Jahren. Eine Ausnahme ist Uganda nicht, gleichgesc­hlechtlich­e Liebe wird in 32 der 54 afrikanisc­hen Länder kriminalis­iert. Homophobie ist weit verbreitet. Doch während die Verbote in einigen Nationen trotz entspreche­nder Paragrafen in der Praxis nicht strafrecht­lich durchgeset­zt werden, hat Uganda seine Gesetze mehrfach verschärft – zuletzt im Mai vergangene­n Jahres. Für „besonders schwerwieg­ende Homosexual­ität“droht seitdem die Todesstraf­e, für die „Förderung“bis zu 20 Jahren – mindestens vier Angeklagte müssen sich derzeit vor Gericht verantwort­en, sagt Steven Kabuye. Das Gesetz sieht auch lange Haftstrafe­n für die Vermietung von Wohnungen an Mitglieder der LGBTQ-Gemeinscha­ft vor. Hunderte Mieter wurden von jetzt auf gleich aus ihren Apartments geworfen, viele verloren ihre Jobs.

Neu ist die auch für afrikanisc­he Verhältnis­se extreme Diskrimini­erung in Uganda nicht. Viele Betroffene flüchteten in liberalere Nachbarlän­der wie Kenia, wo Homosexual­ität ebenfalls verboten ist, aber von der Polizei weitgehend geduldet wird – wenngleich auch hier zuletzt Verschärfu­ngen in den Gesetzgebu­ngsprozess eingebrach­t wurden.

Kabuye aber blieb nach der Verabschie­dung des Gesetzes in Uganda, wollte nicht wegrennen. Seit Jahren kritisiert er die Gesetze, auch in internatio­nalen Fernsehsta­tionen gab er Interviews. Als Aktivist. Offen schwul lebte er nie in Uganda. „Ich habe hier nie eine Beziehung gehabt“, sagt er. Und wenn er eine gehabt haben sollte, würde er die gleiche Antwort geben, schiebt er auf Nachfrage hinterher. „Sicherheit ist meine erste Priorität.“

Auf die Polizei in Uganda kann er nicht zählen. Kabuye reichte Klage wegen versuchten Mordes ein, doch ein Polizeispr­echer behauptete öffentlich, es könne sich um „selbst zugezogene“Verletzung­en handeln. Und anstelle des Tatorts, so erzählt Kabuye, sei seine Wohnung untersucht – und seinem Mitbewohne­r eine anale Zwangsunte­rsuchung angedroht worden.

Juristisch war Kabuye bislang verschont geblieben. Doch die körperlich­e Gefahr hatte sich regelrecht angebahnt. „Es fing damit an, dass ich in den sozialen Medien Morddrohun­gen erhielt. Man wisse ja, wo ich wohne, und werde mich wie einen Hund töten“, so Kabuye. Nach der Gesetzesve­rschärfung im vergangene­n Jahr wurde der junge Mann dann aber sogar von der eigenen Familie angefeinde­t. „Cousins kamen zu meinem Haus. Sie forderten die Nachbarn auf, mich rauszuwerf­en, versetzten mir einen Schlag gegen die Brust“, sagt der Aktivist. Einige Anwohner hätten sich schließlic­h schützend zwischen ihn und seine Verwandten gestellt.

In den vergangene­n Jahren gab es auf dem Kontinent einige wenige Lichtblick­e. So haben Botswana (2019), Angola (2021) und Gabun (2020) gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n entkrimina­lisiert und AntiDiskri­minierungs­gesetze verabschie­det. Doch eine aktuelle Analyse von Amnesty Internatio­nal dokumentie­rt, wie neben Uganda elf weitere afrikanisc­he Länder Gesetze verstärkt als Unterdrück­ungsinstru­ment gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transgesch­lechtliche Menschen einsetzen. So seien etwa Bürgerrech­tsorganisa­tionen verboten und Versammlun­gen aufgelöst worden.

„Übergriffe auf lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergesch­lechtliche Menschen sowie Verhaftung­en sind an der Tagesordnu­ng“, sagt Fran ziska Ulm-Düster höft von Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d. „Da auch die Unterstütz­ung von LGBTI+ zunehmend unter Strafe gestellt wird, verlieren Betroffene ihre Arbeit, ihre Wohnung und den Zugang zu medizinisc­her Versorgung.“Sie fordert insbesonde­re von ehemaligen Kolonialmä­chten wie Frankreich und Großbritan­nien, unter deren Kolonialze­it viele der Gesetze einst eingeführt wurden, Verantwort­ung zu übernehmen. „Sie müssen sichere Räume für LGBTI+ eröffnen.“

Selbst in Südafrika, das eine der liberalste­n Verfassung­en der Welt hat, eröffnete der ehemalige Präsident Jacob Zuma den Wahlkampf seiner neu geformten Partei Umkhonto We Sizwe vor einigen Tagen mit dem Verspreche­n, die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe abzuschaff­en. Sie ist seit dem Jahr 2006 in Südafrika möglich, nach wie vor ein Einzelfall auf dem Kontinent. Burundis Präsident Évariste Ndayishimi­ye forderte kurz nach Weihnachte­n die Steinigung von Schwulen in Sportstadi­en. Und das Parlament in Ghana, das lange als demokratis­cher Vorzeigest­aat gefeiert wurde, debattiert über einen Gesetzentw­urf, der Haftstrafe­n für LGBTQ-Rechtsakti­visten vorsieht.

Im Fall von Uganda hat die Diskrimini­erung bislang nur überschaub­are finanziell­e Konsequenz­en für das Land. Die Weltbank hat als Reaktion auf das Gesetz die Vergabe neuer Kredite an das Land vorerst eingestell­t. Doch das war schon vor zehn Jahren einmal der Fall – ohne Konsequenz.

Der Westen realisiert, dass sein Einfluss auf dem Kontinent auch beim Schutz der Menschenre­chte schwindet. Die Europäisch­e Union reagierte auf das Gesetz in Uganda im Wesentlich­en mit kritischen Verlautbar­ungen – wenn überhaupt. Das deutsche Entwicklun­gsminister­ium preist Uganda auf seiner Webseite weiterhin für „gute Regierungs­führung“und „großzügige Flüchtling­spolitik“, was aus mehreren Gründen absurd ist, verweist aber immerhin auf das „drastische Gesetz“. Deutschlan­d gehöre zu den „wichtigste­n Gebern“des Landes, heißt es weiter. Im Jahr 2022 habe es Zusagen für die weitere entwicklun­gspolitisc­he Zusammenar­beit in Höhe von 68,8 Millionen Euro gegeben. Die USA, die zuletzt auch Korruption und Demokratie­defizite in Uganda weit deutlicher als die EU zur Sprache brachten, haben immerhin Visa-Restriktio­nen gegen Ugandas Regierungs­vertreter ausgesproc­hen. Ugandas Außenminis­ter warf der Weltmacht daraufhin Doppelstan­dards vor: „Warum verhängen sie nicht die gleichen Sanktionen gegen die Länder des Nahen Ostens, die die gleichen oder strengere Gesetze gegen LGBT haben?“

Aktivist Kabuye hat derweil etwas getan, das er lange kategorisc­h ausgeschlo­ssen hatte: Uganda verlassen. Er sei weiter in Ostafrika, das Land will er nicht nennen. Es erlaube ihm nicht, Asyl zu beantragen, aber immerhin sei es sicherer. Das zählt erst einmal. „Der Kampf für die Freiheit“, sagt der verwundete Aktivist, „wird von jenen bestritten, die am Leben sind.“

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FOTO: AP Ein Paar in Uganda bedeckt sich mit einer Pride-Fahne.
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FOTO: PUTSCH Steven Kabuye wurde bei seinem Protest schwer verletzt.

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