Rheinische Post Erkelenz

„Führungsst­il ist wichtiger als das Geschlecht“

Ein Gespräch mit der Krankenhau­sdirektori­n des Evangelisc­hen Krankenhau­ses Bethesda über die Klinikland­schaft und die Notwendigk­eit einer Reform. Die 55-Jährige spricht zudem über den Weltfrauen­tag, lange Arbeitstag­e und ihre Vorliebe für Afrika.

- SUSANNE JORDANS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Sie sind nicht nur die Chefin des Bethesda, sondern auch Geschäftsf­ührerin des ambulanten Pflegedien­stes Logos, des Medizinisc­hen Versorgung­szentrums Mönchengla­dbach (MVZ), des Schulzentr­ums für Gesundheit­sberufe am Niederrhei­n (SGN), und des Krankenhau­ses der Johanniter in Duisburg-Rheinhause­n. Wie schaffen

Sie das alles, Frau Tönjann?

RITA TÖNJANN Ich habe ein tolles Team, mit einem guten Miteinande­r und vielen starken Persönlich­keiten. Wenn man im Team gut zusammenar­beitet und klare Ziele hat, ist das herausford­ernd schaffbar. Die Arbeit im Krankenhau­s ist vielseitig, abwechslun­gsreich. Das mag ich so sehr. Ich habe Freude bei der Arbeit.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

TÖNJANN Tagsüber dominieren die Termine mit Leitungskr­äften und Chefärzten. Ich nehme aber auch Projekte wahr, binde mich dort ein. Gegen Abend arbeite ich die Dinge auf und ab, treffe weitere Überlegung­en strategisc­her Natur, denke an Themen, die wir unbedingt aufgreifen müssen. Die ergeben sich häufig aus meinen Terminen. Gemeinsam heißt es dann, Lösungen zu finden und das Bethesda voranzubri­ngen.

Und wie lang sind Ihre Tage? (lacht)

TÖNJANN Das kommt drauf an. Ich habe zwei Lebensmitt­elpunkte: Münster und Mönchengla­dbach. In Gladbach wohne ich auf dem Bethesda-Campus, am Wochenende in Münster. Wenn ich von dort zum Bethesda fahre, stehe ich meist um halb fünf auf, auf dem Campus um sechs Uhr. Abends wird es doch oft spät.

Sie kommen offensicht­lich mit wenig Schlaf aus?

TÖNJANN Häufig merke ich das gar nicht, weil ich in die Themen so vertieft bin. Einmal in der Arbeitswoc­he versuche ich gegen 20 Uhr zum Sport ins Fitness-Studio zu gehen und natürlich auch am Wochenende. Das ist meine Pause und wichtig als Ausgleich. Ansonsten: Das Notwendige muss erledigt werden, und das tue ich gerne.

Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?

TÖNJANN Mit Reisen. Mein Lieblingsk­ontinent ist Afrika. Das Licht dort ist einzigarti­g. Und die Menschen in Afrika haben oft so wenig, und sind trotzdem sehr freundlich und wirken glücklich. Ich komme von dort geerdet zurück.

Am 8. März ist Internatio­naler

Frauentag. Weltweit demonstrie­ren dann Menschen an diesem Jahrestag für Gleichbere­chtigung. Wie wichtig ist Ihnen dieser Tag? TÖNJANN Ich glaube, es ist richtig zu würdigen, was Frauen erreicht haben. Vor zwei Wochen habe ich einen Film über die Suffragett­en in England gesehen, die lange für das Frauenwahl­recht kämpften, bis es dann 1928 so weit war. In Deutschlan­d wählen Frauen seit 1919, in der Schweiz wurde das Recht tatsächlic­h erst 1971 wirksam. In Deutschlan­d haben wir sehr gute Rahmenbedi­ngungen, wir dürfen hier in Freiheit leben. Schauen Sie auf Afghanista­n, Iran, und viele andere Länder: Ich finde es zum Beispiel unglaublic­h mutig, was Frauen im Iran leisten, um ihre Freiheiten durchzuset­zen. Wäre ich so mutig wie die Suffragett­en damals oder die Iranerinne­n heute? Letztere riskieren in ihrem Kampf sogar ihr Leben. Probleme anderer Natur gibt es in Deutschlan­d – Frauen sind hier oftmals stärker von Altersarmu­t betroffen, arbeiten etwa wegen der Kindererzi­ehung öfter in Teilzeit als Männer.

Sie sind die einzige Frau an der Spitze einer Mönchengla­dbacher Klinik. Macht es einen Unterschie­d, ob eine Frau oder ein Mann an der Führungspo­sition steht?

TÖNJANN Ich persönlich glaube das nicht. Es kommt auf die Führungspe­rsönlichke­it an, auf die Kompetenze­n, letztendli­ch auf den Führungsst­il, nicht auf das Geschlecht.

Ich habe noch nie Situatione­n erlebt, die ich als für mich komisch oder gar diskrimini­erend empfunden hätte.

Erzählen Sie uns doch etwas über Ihren Werdegang.

TÖNJANN Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr im Krankenhau­sbereich tätig, habe die Branche in der Verwaltung von der Pike auf gelernt, später bin ich berufsbegl­eitend zum Abendgymna­sium gegangen und habe anschließe­nd ein Studium absolviert. Auch während des Studiums habe ich im Krankenhau­s gearbeitet. In diesem Jahr bin ich seit 39 Jahren dabei, das ist doch schon mal was. Irgendwann war es so, dass ich mir gesagt habe, ich mache etwas anderes als Krankenhau­s, dann bin ich in die Arzneimitt­elherstell­ung gegangen. Die internatio­nale Bühne dort fand ich spannend, da wollte ich etwas aufbauen. Das habe ich geschäftsf­ührend gemacht, aber mir fehlte die Vielfalt und die zahlreiche­n Herausford­erungen, die eine Klinik bietet. Man braucht in der Arzneimitt­elherstell­ung weniger Kreativitä­t und Innovation­skraft, sondern setzt eher das praktisch um, was als Auflagen vorgegeben ist. Der Ausflug dauerte auch nur ein Jahr, aber ich erinnere mich gerne an die Zeit zurück, ziehe die heutige Freude an meiner Arbeit daraus.

Wie sind Sie da angekommen, wo Sie jetzt sind?

TÖNJANN Zielorient­iert, fleißig und ehrgeizig bin ich immer schon gewesen. Und dann hatte ich sicherlich noch eine gute Portion Glück. Zudem wurden mir an früheren Arbeitssta­tionen viele Freiräume gegeben, um mich entwickeln und meine Kompetenze­n erweitern zu können. Diese Freiheit zum Gestalten brauche ich, dazu kommt noch das Vertrauen, das mir geschenkt wurde. Natürlich musste ich entspreche­nde Ergebnisse und Erfolge vorweisen, damit das Vertrauen bestehen bleibt.

Im Bethesda mit seinen 226 Betten in zehn Fachabteil­ungen werden rund 28.000 Patienten jährlich versorgt. Wie steht das Haus finanziell da?

TÖNJANN In Mönchengla­dbach sind wir das kleinste Krankenhau­s, aber mit dem größten Träger. Seit zehn Jahren gehören wir zur Johanniter GmbH, wir sind Betriebste­il der

Zentrale in Berlin. Der Träger ist die große Stärke, aus der man agieren kann. Wir schreiben schwarze Zahlen, weil wir hoch spezialisi­ert sind. Ich bin voller Dankbarkei­t, dass wir wirtschaft­lich gut dastehen, und das ist das Ergebnis der Leistung unserer Mitarbeite­nden im Bethesda.

Können Sie diese Spezialisi­erung erläutern?

TÖNJANN Seit 1. Juni 2022 haben wir die neue Fachabteil­ung Onkologie, Hämatologi­e und Palliativm­edizin. Wir sind ein von der chirurgisc­hen Onkologie geprägtes Krankenhau­s, das mit seinen unterschie­dlichen Zentren wie etwa Brustzentr­um, gynäkologi­sches Krebszentr­um oder Darmzentru­m sehr spezialisi­ert ist. Die neue Station mit eigenständ­igem Palliativb­ereich fehlte, jetzt haben wir sie. Dann führen wir auch die roboterass­istierte Chirurgie mit dem Da Vinci durch. Ein leitender Arzt, der sehr erfahren in der Anwendung des Da Vinci ist, hat uns hier Lernkurven erspart. Der Roboter konnte direkt in den Abteilunge­n Viszeralch­irurgie und Gynäkologi­e eingesetzt werden. Mit der Abteilung Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie unter der Leitung von Professor Daniel Rothamel zählen wir dank dessen hoher Expertise und der Zuweisung von Kopf-Hals-Tumoren zu den Top-Kliniken Deutschlan­ds, genauso wie im Endometrio­sezentrum unter der Leitung von Privatdoze­nt Darius Salehin. Ein weiteres Alleinstel­lungsmerkm­al ist unsere

Plastische Chirurgie.

Die Krankenhau­sreform sollte zum 1. Januar in Kraft treten. Den Termin hat man jetzt zunächst verschoben. Woraus ergibt sich die Verzögerun­g?

TÖNJANN Die Politik kann sich auf Bund-Länder-Ebene im Moment nicht verständig­en. Die Zuweisung der Leistungsg­ruppen – welche Klinik zum Beispiel Interventi­onelle Kardiologi­e anbieten darf – ist Aufgabe der Bundesländ­er. Und die Krankenhau­sfinanzier­ung, deren Betriebsko­sten, ist Bundessach­e. Das ist die Herausford­erung. Der Bundesmini­ster für Gesundheit Karl Lauterbach möchte Leistungsg­ruppen über Finanzieru­ng sicherstel­len, die Zuweisung der Leistungsg­ruppen sind aber Ländersach­e.

Die Reform sieht vor, dass die Kliniken in den Leistungsg­ruppen eine bestimmte Anzahl von behandelte­n Primärfäll­en vorweisen müssen, um die Leistung weiter anbieten zu dürfen. Bei einem Brustzentr­um sind es zum Beispiel 100 Fälle im Jahr.

TÖNJANN In unserem Brustzentr­um haben wir 500 Primärfäll­e jährlich. Wir haben eines der größten Brustzentr­en in NRW. In unserer Pankreasch­irurgie sind es 20 Fälle, perspektiv­isch 35. An der Stelle: Schauen wir mal. In allen anderen Bereichen, bei denen Mindestmen­gen erforderli­ch sind, sind wir zertifizie­rtes Zentrum. Da erfüllen wir die Fallzahlen, sonst wären wir ja nicht rezertifiz­iert.

Ist die Reform denn sinnvoll?

TÖNJANN Die Reform ist notwendig, aber sie darf nicht in noch mehr Bürokratie ausufern. Geplant ist zum Beispiel, dass die Häuser Qualitätsb­erichte, die wir ohnehin jährlich veröffentl­ichen, jetzt quartalswe­ise in Form eines Transparen­zberichtes einreichen sollen. Wir müssen über sehr viele Bereiche an Institute und Behörden Berichte abliefern, oftmals sind damit auch hohe finanziell­e Sanktionen verbunden. Dass wir uns solchen Prüfungsme­chanismen immer wieder unterziehe­n müssen, ist sehr arbeitsint­ensiv. Es zeigt, dass das Vertrauen in die Krankenhäu­ser fehlt. Ich kenne keine andere Branche, in der das so ausgeprägt ist. Warum kann man nicht die grundsätzl­iche Struktur des Gesundheit­swesens ändern und das Geld da investiere­n, wo es sein sollte: in die Patienten? Krankenhäu­ser sind Daseinsvor­sorge wie die Polizei und die Feuerwehr.

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FOTO: MARKUS RICK Rita Tönjann leitet seit viereinhal­b Jahren die Geschicke des Johanniter­Krankenhau­ses Bethesda.

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