„Führungsstil ist wichtiger als das Geschlecht“
Ein Gespräch mit der Krankenhausdirektorin des Evangelischen Krankenhauses Bethesda über die Kliniklandschaft und die Notwendigkeit einer Reform. Die 55-Jährige spricht zudem über den Weltfrauentag, lange Arbeitstage und ihre Vorliebe für Afrika.
Sie sind nicht nur die Chefin des Bethesda, sondern auch Geschäftsführerin des ambulanten Pflegedienstes Logos, des Medizinischen Versorgungszentrums Mönchengladbach (MVZ), des Schulzentrums für Gesundheitsberufe am Niederrhein (SGN), und des Krankenhauses der Johanniter in Duisburg-Rheinhausen. Wie schaffen
Sie das alles, Frau Tönjann?
RITA TÖNJANN Ich habe ein tolles Team, mit einem guten Miteinander und vielen starken Persönlichkeiten. Wenn man im Team gut zusammenarbeitet und klare Ziele hat, ist das herausfordernd schaffbar. Die Arbeit im Krankenhaus ist vielseitig, abwechslungsreich. Das mag ich so sehr. Ich habe Freude bei der Arbeit.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
TÖNJANN Tagsüber dominieren die Termine mit Leitungskräften und Chefärzten. Ich nehme aber auch Projekte wahr, binde mich dort ein. Gegen Abend arbeite ich die Dinge auf und ab, treffe weitere Überlegungen strategischer Natur, denke an Themen, die wir unbedingt aufgreifen müssen. Die ergeben sich häufig aus meinen Terminen. Gemeinsam heißt es dann, Lösungen zu finden und das Bethesda voranzubringen.
Und wie lang sind Ihre Tage? (lacht)
TÖNJANN Das kommt drauf an. Ich habe zwei Lebensmittelpunkte: Münster und Mönchengladbach. In Gladbach wohne ich auf dem Bethesda-Campus, am Wochenende in Münster. Wenn ich von dort zum Bethesda fahre, stehe ich meist um halb fünf auf, auf dem Campus um sechs Uhr. Abends wird es doch oft spät.
Sie kommen offensichtlich mit wenig Schlaf aus?
TÖNJANN Häufig merke ich das gar nicht, weil ich in die Themen so vertieft bin. Einmal in der Arbeitswoche versuche ich gegen 20 Uhr zum Sport ins Fitness-Studio zu gehen und natürlich auch am Wochenende. Das ist meine Pause und wichtig als Ausgleich. Ansonsten: Das Notwendige muss erledigt werden, und das tue ich gerne.
Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?
TÖNJANN Mit Reisen. Mein Lieblingskontinent ist Afrika. Das Licht dort ist einzigartig. Und die Menschen in Afrika haben oft so wenig, und sind trotzdem sehr freundlich und wirken glücklich. Ich komme von dort geerdet zurück.
Am 8. März ist Internationaler
Frauentag. Weltweit demonstrieren dann Menschen an diesem Jahrestag für Gleichberechtigung. Wie wichtig ist Ihnen dieser Tag? TÖNJANN Ich glaube, es ist richtig zu würdigen, was Frauen erreicht haben. Vor zwei Wochen habe ich einen Film über die Suffragetten in England gesehen, die lange für das Frauenwahlrecht kämpften, bis es dann 1928 so weit war. In Deutschland wählen Frauen seit 1919, in der Schweiz wurde das Recht tatsächlich erst 1971 wirksam. In Deutschland haben wir sehr gute Rahmenbedingungen, wir dürfen hier in Freiheit leben. Schauen Sie auf Afghanistan, Iran, und viele andere Länder: Ich finde es zum Beispiel unglaublich mutig, was Frauen im Iran leisten, um ihre Freiheiten durchzusetzen. Wäre ich so mutig wie die Suffragetten damals oder die Iranerinnen heute? Letztere riskieren in ihrem Kampf sogar ihr Leben. Probleme anderer Natur gibt es in Deutschland – Frauen sind hier oftmals stärker von Altersarmut betroffen, arbeiten etwa wegen der Kindererziehung öfter in Teilzeit als Männer.
Sie sind die einzige Frau an der Spitze einer Mönchengladbacher Klinik. Macht es einen Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann an der Führungsposition steht?
TÖNJANN Ich persönlich glaube das nicht. Es kommt auf die Führungspersönlichkeit an, auf die Kompetenzen, letztendlich auf den Führungsstil, nicht auf das Geschlecht.
Ich habe noch nie Situationen erlebt, die ich als für mich komisch oder gar diskriminierend empfunden hätte.
Erzählen Sie uns doch etwas über Ihren Werdegang.
TÖNJANN Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr im Krankenhausbereich tätig, habe die Branche in der Verwaltung von der Pike auf gelernt, später bin ich berufsbegleitend zum Abendgymnasium gegangen und habe anschließend ein Studium absolviert. Auch während des Studiums habe ich im Krankenhaus gearbeitet. In diesem Jahr bin ich seit 39 Jahren dabei, das ist doch schon mal was. Irgendwann war es so, dass ich mir gesagt habe, ich mache etwas anderes als Krankenhaus, dann bin ich in die Arzneimittelherstellung gegangen. Die internationale Bühne dort fand ich spannend, da wollte ich etwas aufbauen. Das habe ich geschäftsführend gemacht, aber mir fehlte die Vielfalt und die zahlreichen Herausforderungen, die eine Klinik bietet. Man braucht in der Arzneimittelherstellung weniger Kreativität und Innovationskraft, sondern setzt eher das praktisch um, was als Auflagen vorgegeben ist. Der Ausflug dauerte auch nur ein Jahr, aber ich erinnere mich gerne an die Zeit zurück, ziehe die heutige Freude an meiner Arbeit daraus.
Wie sind Sie da angekommen, wo Sie jetzt sind?
TÖNJANN Zielorientiert, fleißig und ehrgeizig bin ich immer schon gewesen. Und dann hatte ich sicherlich noch eine gute Portion Glück. Zudem wurden mir an früheren Arbeitsstationen viele Freiräume gegeben, um mich entwickeln und meine Kompetenzen erweitern zu können. Diese Freiheit zum Gestalten brauche ich, dazu kommt noch das Vertrauen, das mir geschenkt wurde. Natürlich musste ich entsprechende Ergebnisse und Erfolge vorweisen, damit das Vertrauen bestehen bleibt.
Im Bethesda mit seinen 226 Betten in zehn Fachabteilungen werden rund 28.000 Patienten jährlich versorgt. Wie steht das Haus finanziell da?
TÖNJANN In Mönchengladbach sind wir das kleinste Krankenhaus, aber mit dem größten Träger. Seit zehn Jahren gehören wir zur Johanniter GmbH, wir sind Betriebsteil der
Zentrale in Berlin. Der Träger ist die große Stärke, aus der man agieren kann. Wir schreiben schwarze Zahlen, weil wir hoch spezialisiert sind. Ich bin voller Dankbarkeit, dass wir wirtschaftlich gut dastehen, und das ist das Ergebnis der Leistung unserer Mitarbeitenden im Bethesda.
Können Sie diese Spezialisierung erläutern?
TÖNJANN Seit 1. Juni 2022 haben wir die neue Fachabteilung Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin. Wir sind ein von der chirurgischen Onkologie geprägtes Krankenhaus, das mit seinen unterschiedlichen Zentren wie etwa Brustzentrum, gynäkologisches Krebszentrum oder Darmzentrum sehr spezialisiert ist. Die neue Station mit eigenständigem Palliativbereich fehlte, jetzt haben wir sie. Dann führen wir auch die roboterassistierte Chirurgie mit dem Da Vinci durch. Ein leitender Arzt, der sehr erfahren in der Anwendung des Da Vinci ist, hat uns hier Lernkurven erspart. Der Roboter konnte direkt in den Abteilungen Viszeralchirurgie und Gynäkologie eingesetzt werden. Mit der Abteilung Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie unter der Leitung von Professor Daniel Rothamel zählen wir dank dessen hoher Expertise und der Zuweisung von Kopf-Hals-Tumoren zu den Top-Kliniken Deutschlands, genauso wie im Endometriosezentrum unter der Leitung von Privatdozent Darius Salehin. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist unsere
Plastische Chirurgie.
Die Krankenhausreform sollte zum 1. Januar in Kraft treten. Den Termin hat man jetzt zunächst verschoben. Woraus ergibt sich die Verzögerung?
TÖNJANN Die Politik kann sich auf Bund-Länder-Ebene im Moment nicht verständigen. Die Zuweisung der Leistungsgruppen – welche Klinik zum Beispiel Interventionelle Kardiologie anbieten darf – ist Aufgabe der Bundesländer. Und die Krankenhausfinanzierung, deren Betriebskosten, ist Bundessache. Das ist die Herausforderung. Der Bundesminister für Gesundheit Karl Lauterbach möchte Leistungsgruppen über Finanzierung sicherstellen, die Zuweisung der Leistungsgruppen sind aber Ländersache.
Die Reform sieht vor, dass die Kliniken in den Leistungsgruppen eine bestimmte Anzahl von behandelten Primärfällen vorweisen müssen, um die Leistung weiter anbieten zu dürfen. Bei einem Brustzentrum sind es zum Beispiel 100 Fälle im Jahr.
TÖNJANN In unserem Brustzentrum haben wir 500 Primärfälle jährlich. Wir haben eines der größten Brustzentren in NRW. In unserer Pankreaschirurgie sind es 20 Fälle, perspektivisch 35. An der Stelle: Schauen wir mal. In allen anderen Bereichen, bei denen Mindestmengen erforderlich sind, sind wir zertifiziertes Zentrum. Da erfüllen wir die Fallzahlen, sonst wären wir ja nicht rezertifiziert.
Ist die Reform denn sinnvoll?
TÖNJANN Die Reform ist notwendig, aber sie darf nicht in noch mehr Bürokratie ausufern. Geplant ist zum Beispiel, dass die Häuser Qualitätsberichte, die wir ohnehin jährlich veröffentlichen, jetzt quartalsweise in Form eines Transparenzberichtes einreichen sollen. Wir müssen über sehr viele Bereiche an Institute und Behörden Berichte abliefern, oftmals sind damit auch hohe finanzielle Sanktionen verbunden. Dass wir uns solchen Prüfungsmechanismen immer wieder unterziehen müssen, ist sehr arbeitsintensiv. Es zeigt, dass das Vertrauen in die Krankenhäuser fehlt. Ich kenne keine andere Branche, in der das so ausgeprägt ist. Warum kann man nicht die grundsätzliche Struktur des Gesundheitswesens ändern und das Geld da investieren, wo es sein sollte: in die Patienten? Krankenhäuser sind Daseinsvorsorge wie die Polizei und die Feuerwehr.